Sportchef Rachid Azzouzi spricht über das Fördern von Talenten, den Bundesliga-Aufstieg und das Gemeinschaftsgefühl des FC St. Pauli.

Hamburg. Nach 15 Jahren als Spieler, Nachwuchstrainer und Sportchef bei Greuther Fürth wechselte Rachid Azzouzi im Juli 2012 zum FC St. Pauli. Ein Trainerwechsel und der Absturz in den Tabellenkeller - nach dem ersten halben Jahr in sportlicher Verantwortung zieht der 41-Jährige Bilanz.

Hamburger Abendblatt: Herr Azzouzi, St. Pauli überwintert zwar nur auf Platz 13, hat aber auch nur zehn Punkte Rückstand auf Rang drei. Ist der Aufstieg wirklich schon abgehakt?

Rachid Azzouzi: Diese Überlegungen verbieten sich für uns derzeit. Natürlich will jeder immer so schnell wie möglich aufsteigen, und auch wir haben nichts zu verschenken, müssen aber wachsam mit Blick nach unten sein. In dieser Liga musst du mit allem rechnen. Du kannst schnell durchgereicht werden, aber mit einer kleinen Serie auch Anschluss ans obere Drittel finden. Es ist unser Ziel, die bestmögliche Platzierung zu schaffen. Das ist auch wichtig für das Fernsehranking, wo es ums Geld geht.

Sie sind 185 Tage im Amt, haben schon eine Trainerentlassung hinter sich und waren Vorletzter. Haben Sie sich Hamburg so stürmisch vorgestellt?

Azzouzi: Es ist sehr viel passiert, das stimmt. Aber wir hatten im Sommer auch einen großen Umbruch. Spieler, die jahrelang hier Leistungsträger waren, sind weggegangen. Das haben wir zu spüren bekommen. Als ich gekommen bin, hatten wir nicht genügend Spieler. Das war keine ganz einfache Aufgabe zu diesem Zeitpunkt. Aber ich bin jeden Tag gerne hier, wenn ich diese Begeisterung für den Klub sehe. In Fürth dauerte unsere Jahreshauptversammlung zwei Stunden, und davon wurden eineinhalb die Berichte vorgelesen. Hier sind die Fans so engagiert, dass wir im November sieben Stunden heftig diskutiert haben - im Sinne des Vereins. Das war ein Erlebnis für mich.

Einige Fans beklagen aber auch immer wieder, dass die Identität St. Paulis verloren geht, weil Spieler den Klub nur als Durchgangsstation sehen.

Azzouzi: Wenn du heute Spieler drei, vier Jahre lang halten kannst, ist das schon lange. Das haben wir in Fürth hinbekommen, aber wenn sich Spieler positiv entwickeln, was wir ja immer hoffen, dann sind sie eben auch schwer zu halten. Wir sind nicht der FC Bayern München. Das ist der einzige Verein, der jeden Spieler halten kann. Selbst Borussia Dortmund verliert mal Stars, siehe Shinji Kagawa. Wir müssen mit längerfristigen Verträgen aber zumindest hinbekommen, dass wir sagen können: Okay, der Spieler darf gehen, aber nur gegen eine deftige Ablösesumme.

Fünf Spieler im Kader haben nur Leihverträge. Darunter Top-Torjäger Daniel Ginczek (Borussia Dortmund). Sie haben die Karten nicht in der Hand.

Azzouzi: Es ist unser großes Ziel, diese Leute zu halten. Perspektivisch möchten wir solche Spieler verpflichten, nicht nur leihen. Ginczek konnten wir nur ausleihen, er fühlt sich wohl hier, und wir wollen ihn halten. Ich brauche von ihm aber auch ein klares Bekenntnis. Patrick Funk möchte sehr gerne weiter bleiben, Christopher Avevor war auch nur als Leihspieler zu bekommen. Da möchte sich Hannover noch Zeit lassen. Klar ist, die Spieler sollen sich hier nicht nur entwickeln, sondern auch längerfristig dableiben. Ob das alles realisierbar ist, hat auch mit Geld zu tun. Der Verein hat sich auf die Fahne geschrieben, wirtschaftlich solide zu arbeiten und immer eine schwarze Null zu erreichen. Das ist auch meine Prämisse.

Unteres Mittelfeld der Zweiten Liga, keine üppigen Gehälter - welche Argumente liefern Sie jungen Profis denn?

Azzouzi: Der FC St. Pauli bietet eine Plattform, wo junge Spieler Vertrauen und Einsatzzeiten bekommen, sich entwickeln und eben auch mal schlechtere Spiele machen können. Mir ist eben immer wichtig, dass wir ein gesundes Gehaltsgefüge haben. Wenn du Stars hast, die viel Geld verdienen, und andere, die deutlich weniger bekommen, entstehen schnell Misstöne. Wir leben hier nun mal noch mehr vom Gemeinschaftsgefühl als andere Klubs.

Trotz des Plädoyers für junge Profis haben in den vergangenen Jahren kaum Spieler den Sprung vom eigenen Nachwuchs in den Kader geschafft.

Azzouzi: Unser Nachwuchsleistungszentrum ist zwar im vergangenen Jahr mit drei Sternen (die höchste Wertung, d. Red.) zertifiziert worden, aber deshalb haben wir halt nicht automatisch fünf Jungs im Profikader. Unsere Spieler werden nun schon immer häufiger wieder zu Junioren-Länderspielen eingeladen. Das ist ein Zeichen, dass sich etwas positiv entwickelt, aber es ist ein langer Prozess, bis es besser wird. Wir werden ins Trainingslager nun auch zwei, drei junge Spieler mitnehmen, um ihnen zu zeigen, wie ihr Leistungsstand im Vergleich zu den Profis ist, und damit wir sehen, wie weit die Jungs sind. Wenn wir es dann irgendwann hinbekommen, pro Jahr einen Nachwuchsmann zu etablieren, machen wir es gut.

Nicht nur die Verträge Ihrer jungen Leihspieler laufen aus, sondern auch die von Fanlieblingen wie Marius Ebbers und Benedikt Pliquett, die sportlich wenig Argumente liefern konnten. Wie viel Sozialromantik steckt da noch im Klub?

Azzouzi: Ich führe mit Bene immer wieder Gespräche, genauso auch mit Marius. In den nächsten Wochen werden wir uns unsere Gedanken über die Kaderplanung machen - und auch sehen, welche Vorstellungen die Jungs selber haben. Diese Spieler haben sehr viel für den Verein getan. Ebbe als Torjäger auf dem Platz und Bene - zwar vielleicht nicht in Sachen Einsatzzeiten -, aber wie er diesen Geist von St. Pauli verkörpert. Aber das gilt auch für Fabian Boll und Florian Bruns, deren Verträge ebenfalls auslaufen. Wir werden in den nächsten Wochen die Gespräche mit den Spielern aufnehmen.

Konnten Sie bei all den Verhandlungen überhaupt Urlaub machen?

Azzouzi: Ein Stück weit arbeite ich immer, das Handy ist nie aus. Aber ich konnte es mal für ein paar Stunden weglegen und mich um die Familie kümmern. Das ist schon Entspannung.

Heute startet das Team in die Vorbereitung. Präsentieren Sie uns in diesem Monat noch Neuzugänge?

Azzouzi: Das ist eigentlich nicht geplant. Der SC Paderborn möchte ja Mahir Saglik verpflichten, aber wir geben ihn nur gegen eine entsprechende Summe ab. Aber auch wenn Mahir uns verlassen sollte, werden wir nicht zwangsläufig jemanden holen. Unser Kader ist breit genug und es kommen einige verletzte Spieler zurück. Wir setzen in der Rückrunde beispielsweise auf Lennart Thy, der auch ganz vorne im Sturm spielen kann. Das Transferfenster ist ja noch bis Ende Januar offen und wir werden sicherlich auch die Augen offen halten.