Heute tritt St. Pauli beim Primus in Braunschweig an. Ein Duell auf Augenhöhe, nimmt man nur die letzten sechs Spiele.

Hamburg. Die Tabelle lügt nicht! Angesichts der zutreffenden These, die so alt ist wie der Ligabetrieb selbst, scheinen die Kräfteverhältnisse vor dem heutigen Auftritt des Tabellenzwölften FC St. Pauli beim im heimischen Eintracht-Stadion noch ungeschlagenen Spitzenreiter aus Braunschweig (17.30 Uhr/Sky und Liveticker auf abendblatt.de) klar verteilt. Die aktuelle Situation indes ist weniger deutlich. Seit Michael Frontzeck am 8. Oktober das Traineramt bei den Hamburgern übernahm, hat sich der Stadtteilklub stabilisieren können. Mehr noch: Die drei Siege, zwei Unentschieden und nur eine Niederlage aus den sechs Partien unter dem neuen Chefcoach heben St. Pauli mit den Braunschweigern auf Augenhöhe. In der Formtabelle hat die Mannschaft den Aufstiegskurs bereits eingeschlagen, belegt hinter Hertha BSC, dem 1. FC Kaiserslautern (beide 14 Punkte) und dem SC Paderborn (12) mit elf Zählern und 11:6 Toren noch vor den punktgleichen Braunschweigern den vierten Platz. Und auch diese Rangliste sagt keinesfalls die Unwahrheit aus.

Es sind vor allem zwei Dinge, die den positiven Trend bewirkt haben. Zum einen hat Frontzeck seinen Spielern verloren gegangenes Selbstbewusstsein wiedergegeben. Bereits unmittelbar nach dem höchsten Saisonsieg am Sonntag gegen den MSV Duisburg war die Vorfreude auf die Partie in Braunschweig bei den Profis greifbar. Mittelfeldspieler und Doppeltorschütze Fin Bartels beschrieb "eine breite Brust", Routinier Florian Kringe kündigte an, auch bei den Niedersachsen Punkte mitnehmen zu wollen. "Mit dem Sieg haben wir uns eine gute Ausgangssituation geschaffen, um mit viel Selbstvertrauen in das Spiel in Braunschweig zu gehen", erklärte Frontzeck den Optimismus. Er sagt: "Das Spiel wird ausverkauft sein, wir kommen mit einem 4:1 im Gepäck. Was gibt es Schöneres, als jetzt beim Spitzenreiter anzutreten. Wir freuen uns einfach ein Stück weit, aus dieser Situation heraus da hinzufahren. Ohne die drei Punkte gegen Duisburg wäre es nicht so angenehm."

Mit der Truppe, die vor zwei Monaten noch mit 0:3 in Regensburg unterging, hat das Kollektiv nicht mehr viel gemein. Neues Selbstverständnis, das sich aus guten Leistungen und den entsprechenden Ergebnissen speist. Womit die zweite Frontzecksche Leistung zum Tragen kommt: die Stabilität. Der 48-Jährige hat das fragile Gebilde gestützt, in dem er das Augenmerk vom ersten Tag an auf die Defensivarbeit legte. Auch wenn die Schwerpunktverlagerung, wie etwa bei den Außenverteidigern, anfangs zu verminderter Wucht im Offensivspiel führte, sorgten taktische Disziplin und Positionstreue für die Rückkehr auf den Erfolgsweg. Kaum ein Trainingstag vergeht, an dem Frontzeck in seinem rheinischen Slang nicht über "die Ochtnung" spricht oder die Abstände zwischen den Mannschaftsteilen und den Spielern untereinander korrigiert.

Mit der Folge, dass die Hamburger aus dem Spiel heraus deutlich weniger Torchancen zulassen als zu Saisonbeginn, was sich auch in der Anzahl der Gegentore niederschlägt. Unter Frontzeck kassiert St. Pauli durchschnittlich nur noch einen Treffer pro Partie, zuvor waren es noch 1,33 gewesen. Das Hamburger Spiel fußt auf einer funktionierenden Defensive, und mit dem neuen Selbstbewusstsein greifen immer öfter auch wieder die Mechanismen im Spiel nach vorn. Und Frontzeck weiß, wo noch deutliches Steigerungspotenzial vorhanden ist. "Wir wollen an die guten Auswärtsleistungen in Paderborn und München anknüpfen. Auch bei Hertha BSC haben wir defensiv gut gestanden, nach vorne war es aber nicht so gut. Das werden wir besser machen müssen."

Insofern ist es möglicherweise gleich doppelt bitter, dass Angreifer Daniel Ginczek, mit fünf Treffern in den sechs Frontzeck-Spielen ein Erfolgsgarant, heute gelbgesperrt fehlt. "Allein schon deshalb wird es die eine oder andere Veränderung geben", wusste Frontzeck bereits am Montag. Gestern senkte nach Kapitän Fabian Boll dann auch noch Florian Mohr den Daumen. Während der angeschlagene Abwehrchef Markus Thorandt auflaufen kann, muss Nebenmann Mohr wegen Adduktorenproblemen passen. Dem Innenverteidiger bleibt das Verletzungspech damit treu.

Mohr, Boll, Ginczek: Bei den starken Braunschweigern muss St. Pauli auf eine wichtige Achse verzichten. Wer nach den Ausfällen fragt, erntet aber nur Schulterzucken. Das Selbstbewusstsein ist ungebrochen, zumal Spieler wie Trainer die Personalprobleme seit Wochen gewohnt sind. "Ich mache mir da gar keine Gedanken", sagt Zuschauer Ginczek, "wir haben genug Qualität im Kader." Ob die ausreicht, um bei der Eintracht zu bestehen? "Braunschweig ist in der Situation gewinnen zu müssen", sieht Frontzeck seine Elf nach der ersten Saisonniederlage des Gegners beim 1:3 in Cottbus in der angenehmen Außenseiterrolle.

"Da wird fantastisch gearbeitet", lobt er das eingespielte und ungemein laufstarke blau-gelbe Kollektiv. "Sie sind individuell vielleicht nicht so gut besetzt wie zum Beispiel Hertha BSC Berlin. Aber als Mannschaft machen sie es überragend. Die werden bis zum Schluss oben dabei sein", orakelt Frontzeck, und man sollte ihm lieber glauben. Denn auch Trainer lügen bekanntlich nicht.