Michael Frontzeck nutzte seine Jobpause für viele Reisen. Gegen Dresden betritt er nun den Ort, an dem seine letzte Mission scheiterte.

Hamburg. Er war ruhig und gefasst, schwärmte schon damals vom "tollen Publikum" und der "einzigartigen Atmosphäre" am Millerntor. Es war der 12. Februar 2011, und er hatte mit seiner Borussia aus Mönchengladbach soeben mit 1:3 beim FC St. Pauli verloren. Michael Frontzeck analysierte die Partie ausführlich, stand den Medienvertretern höflich Rede und Antwort und warb abschließend in eigener Sache um Geduld - letztlich vergebens. Es sollte für längere Zeit seine letzte Handlung als Trainer bleiben. Am Abend des Folgetags entbanden ihn die Verantwortlichen von seinen Aufgaben. Nun, 624 Tage später, wird er als Trainer des FC St. Pauli an diesen Ort zurückkehren. Mit dem Heimspiel gegen Dynamo Dresden am Sonntag (13.30 Uhr/Sky und Liveticker auf abendblatt.de) schließt sich ein Kreis.

Die vergangenen 20 Monate nutzte er ganz bewusst, um Abstand zu gewinnen. "Ich bin damals gut runter gekommen von der ganzen Geschichte. Ich bin dankbar, dass wir die finanziellen Ressourcen hatten, um uns so eine Pause leisten zu können und froh, dass ich die Geduld aufbrachte, überhaupt so lange warten zu können." Statt das erstbeste Angebot anzunehmen, um möglichst schnell wieder auf das Trainerkarussell aufzuspringen, nahm er sich eine Auszeit, suchte Ausgleich und Inspiration. "Ich bin viel mit der Familie gereist. Gleich zweimal waren wir in Amerika", erzählt er im Gespräch mit dem Abendblatt. Direkt nach der Entlassung ging es mit Ehefrau Anette nach Miami. "Einfach weg! Ab! Und dann noch einmal ein gemeinsamer Urlaub mit unseren beiden Kindern, was wir seit 20 Jahren nicht mehr gemacht hatten: für sieben Tage nach New York, das war eine tolle Woche. Aber ich habe mir auch viele verschiedene Sportarten angesehen."

Frontzeck, ehemaliger Profi bei Manchester City in England, fuhr für eine Woche nach Liverpool zum FC Everton, beobachtete das Training, vor allem aber die Abläufe im Umfeld. "Viele Kollegen schauen Arsène Wenger über die Schulter oder hospitieren bei anderen großen Klubs. Natürlich kannst du in Barcelona viel lernen, aber so wie in Everton aus wenig viel zu machen, hat mich immer schon begeistert", sagt Frontzeck, der im All England Lawn Tennis and Croquet Club das Training von Tennisprofis studierte und sich anschließend auch das Wimbledon-Endspiel 2012 zwischen Roger Federer und Andy Murray vor Ort anschaute.

Tennis in London, Baseball bei den New York Yankees und Eishockey-Training bei den Kölner Haien samt Gedankenaustausch mit Trainer Uwe Krupp: Frontzeck erweiterte seinen Horizont, widmete sich seit dem Sommer aber auch wieder vermehrt dem Fußball. "Die Bundesliga verfolgt man nebenher, aber ich habe auch viel Zweite und Dritte Liga geschaut. Durchschnittlich vier Spiele pro Wochenende. Du musst ja dranbleiben. Und dann hat mich nach der Beurlaubung von André Schubert der Rachid angerufen ..."

Sportdirektor Rachid Azzouzi lotste Frontzeck vor dreieinhalb Wochen zum FC St Pauli, den er in dieser Saison bereits zweimal gesehen hatte. Beim 1:1 gegen Ingolstadt saß er ebenso auf der Tribüne wie beim 0:0 in Köln. Auch sein persönlicher Start in Paderborn endete remis, nun soll gegen Dresden der erste Sieg gelingen. "Die werden uns alles abverlangen. Ich erwarte einen Gegner, der aus einer massierten Defensive heraus spielt. Aber ich habe ein gutes Gefühl, und das hatte ich vor Paderborn auch. Ich freue mich riesig auf das Spiel", sagt Frontzeck und meint damit auch die Fans, die Atmosphäre, Engagement und jene Leidenschaft, die alle Beteiligten einzubringen versprechen.

Der 48-Jährige weiß, was ihn erwartet am Millerntor. Er kennt die Gesänge und die Rituale - spätestens seit zwei Wochen: "Beim Testspiel in Wien habe ich ja schon mal die Hells Bells zum Einmarsch ins Stadion gehört", sagt er über das Testspiel beim SC Viktoria, "ich wollte dann direkt auf den Platz, aber Boller (Kapitän Fabian Boll, d.Red.) hat mich zurückgehalten und mit dem Kopf geschüttelt: ,Trainer, erst nach dem fünften Glockenschlag.'" Frontzeck ist gerüstet für die Rückkehr.