Die Saisonbilanz als historischer Tiefpunkt, St. Pauli steckt mitten im Abstiegskampf - und die großen Gegner kommen erst noch.

Regensburg/Hamburg. Auch nach Mitternacht war die Hotellobby des Atriums im Park noch gut gefüllt. Sportdirektor Rachid Azzouzi, das Trainerteam, Betreuer und auch Spieler diskutierten im Eingangsbereich der Mannschaftsunterkunft die spätestens seit Freitagabend hochbrisante sportliche Lage und begaben sich auf die gemeinsame Suche nach Lösungsansätzen. Niedergeschlagenheit und Enttäuschung über ein wenige Stunden zuvor verlorenes Spiel waren bereits weitgehend aus den Köpfen gewichen, vielmehr dominierte eine grundsätzliche Besorgnis die Gefühlswelten beim FC St. Pauli. "Es ist ein Tiefpunkt erreicht worden", sagte Interimstrainer Thomas Meggle nach dem 0:3 in Regensburg. Worte, resultierend aus den blutleeren Vorstellungen der Mannschaft. Sechs Spiele reichten aus, um den Braun-Weißen ihr gesamtes Selbstvertrauen zu entziehen. Und Meggles gefühlte Werte entsprechen Tatsachen. Sechs Punkte und 4:10 Tore nach acht Spielen bedeuten die schlechteste Zweitligabilanz in der Geschichte des FC St. Pauli!

Ein neuer Negativrekord als Konsequenz entlarvender Schwächen. "Die Abstände auf dem Feld sind zu groß", hat Außenverteidiger Jan-Philipp Kalla erkannt. Auch Meggle kritisiert die "fehlende Kompaktheit. Außerdem kommen wir bei Ballverlusten nicht schnell genug wieder hinter den Ball." Spieltaktische Defizite, die allerdings von einem anderen Problem überlagert werden: Angst. Leistungsträger wie Philipp Tschauner, Fin Bartels oder Marius Ebbers schwächeln, selbst erfahrene, charakterfeste Profis wie Markus Thorandt oder Florian Bruns leisten sich unerwartete Aussetzer.

War der Totalausfall am dritten Spieltag bei Energie Cottbus noch in die Kategorie Ausrutscher eingeordnet worden, huschten die Spieler bei Ballbesitz sowohl beim 0:1 gegen Aalen als auch in Regensburg verschüchtert über das Feld, während sich im Defensivverhalten immer häufiger Fehler einschleichen. Es krankt vorne wie hinten, links wie rechts. Die Spieler haben sich gegenseitig in eine Abwärtsspirale gezogen. Individuelle Fähigkeiten bleiben unter Verschluss, es fehlt an Struktur, Sicherheit, Vertrauen und Mut. "Es fehlt an allem", kürzt Sebastian Schachten ab, "wir spielen schon seit Wochen schlecht, und wenn du dann eine gute Leistung zeigst wie wir in Frankfurt, aber trotzdem verlierst, ist das für dein Selbstvertrauen nicht gerade förderlich." Das 1:2 beim FSV, als St. Pauli reihenweise beste Torchancen vergab, hat dem Selbstbewusstsein die größten Kratzer beigefügt und einiges durcheinandergebracht. Die Rädchen greifen nicht mehr. So stimmt zwar der Einsatz, nicht aber das Ergebnis. St. Pauli tritt kräftig in die Pedale, was im Leerlauf folgenlos bleibt. Binnen acht Tagen folgten die weiteren Pleiten gegen Aalen und Regensburg, drei in Serie hatte es zuletzt vor mehr als zweieinhalb Jahren gegeben - welch herbe Enttäuschung gegen die individuell allesamt deutlich schwächeren Gegner.

Sämtliche Profis des FC St. Pauli haben die Bundesliga im Blick, wollen sich eigentlich noch einmal in der höchsten deutschen Spielklasse mit der Elite und Stars der Kategorie Schweinsteiger, Reus, Huntelaar oder Robben messen. Die Wahrheit ist, dass es zuletzt nicht mehr gegen Akteure wie Huber, Roshi, Traut, Buballa, Erfen oder Kotzke genügte. "Wir müssen jetzt erst mal wieder in Richtung einstelliger Tabellenplatz kommen", sagt Azzouzi. Neue Ziele, neue Maßstäbe. "Man fragt sich, wie man mit diesen Leistungen überhaupt noch ein Spiel gewinnen will", sagt Schachten. Eine berechtigte Frage, zumal auswärts schon seit dem 17. Februar kein Sieg mehr gelang und St. Pauli in den fünf Partien auf fremdem Platz nur einen Treffer erzielte. Gesucht werden nun Erfolgserlebnisse und Aha-Effekte, um das zweifelsfrei vorhandene Potenzial wieder freizulegen. Die Gegner allerdings werden nicht leichter. Die echten Schwergewichte wie Braunschweig, 1860 München, Kaiserslautern und Hertha BSC stehen noch in diesem Jahr auf dem Spielplan.

"Wir müssen jetzt nicht darüber diskutieren, wer da alles noch kommt", so Meggle, "aber sicherlich auch nicht lachend über die Reeperbahn laufen." Was sich angesichts der Negativbilanz auch verbietet. Nur sechs Punkte nach acht Spielen gab es bislang nur in der Saison 1999/2000, die am letzten Spieltag in einem der emotionalsten Momente der Klubhistorie mündete, als Marcus Marin gegen Oberhausen erst mit seinem Treffer in der 90. Minute den Klassenerhalt sicherte ...