St. Pauli gewinnt gegen das Team von Ex-Trainer Stanislawski einen Punkt, denkt positiv, hat aber an Substanz eingebüßt. Boll angeschlagen.

Köln. Er stand noch unter dem Eindruck der torlosen 90 Minuten, als Holger Stanislawski die Treppen in den Bauch des Kölner Stadions hinuntersprang und grimmig vor sich hin murmelte. Mit einem Satz nahm er die letzten drei Stufen und klatschte St. Paulis Co-Trainer Thomas Meggle ab, beließ seinen Blick aber starr geradeaus. "528 Torchancen. So ein Scheiß", grantelte Stanislawski und verschwand in der Mannschaftskabine.

Trotz einer spielerisch ansprechenden und kämpferisch einwandfreien Leistung reichte es nur zum zweiten Saisonpunkt - weil der zweite Saisontreffer wieder ausblieb. Viel Trost daher auch vom Gegner für den alten Trainer. Amtsnachfolger André Schubert widmete gleich die Hälfte seiner Spielanalyse dem Kölner Potenzial. "Das waren heute zwei richtig gute Mannschaften, Köln fehlten oft nur wenige Zentimeter", so St. Paulis Coach, "Fußball ist eine Kopfgeschichte, und deshalb sollten sie so weitermachen und können jetzt gern anfangen richtig zu punkten."

Eine Empfehlung, die auch für seine Mannschaft gilt. Nach dem ersten Saisonsieg über Sandhausen konnte das Team mit Glück und Geschick einen Zähler in Köln einsammeln, scheint den richtigen Weg eingeschlagen zu haben, muss allerdings ebenfalls mehr Durchschlagskraft entwickeln. In drei von fünf Saisonspielen blieb St. Pauli ohne Treffer. Nicht nur der FC blieb bislang hinter den Ansprüchen zurück. "Unsere Entwicklung ist der Kölner ähnlich", findet auch Schubert, "nur dass wir ein paar Punkte mehr haben." Sechs sind es nun. "Köln war ein Schritt nach vorn, ein Punktgewinn. In der Tabelle ist uns noch niemand entflohen", findet Mahir Saglik. Und so steht die Einschätzung von Philipp Tschauner für die allgemeine Meinung im Kader: "Wenn wir in Frankfurt gewinnen, war es immer noch kein sehr guter Start, aber mit dann neun Zählern ein guter. Wir sollten den Punkt am Freitag vergolden."

Gut gelaunt und selbstbewusst bestieg die Reisegruppe gestern Morgen den Mannschaftsbus Richtung Neu-Isenburg, wo St. Pauli bis zum Auswärtsspiel beim überraschenden Tabellendritten seine Zelte aufschlägt. Köln war ein Aha-Erlebnis, ein Punkt für den Kopf. "Wir mussten von Beginn an voll dagegenhalten. Aber es war einfach stark, wie sich die Mannschaft hier verkauft hat. Bei dieser wahnsinnigen Akustik und sensationellen Stimmung, dieser immensen Wucht des Gegners", so Schubert begeistert, "gegen Sandhausen und auch jetzt war ein ganz anderer Geist in der Truppe spürbar." Tatsächlich präsentierte sich St. Pauli den 45 000 Zuschauern in der Kölner Arena als kampfstarke Einheit.

Bleibt nur die Frage, ob drei Tage genügen, um sich vom Kraftakt von Köln wirklich zu erholen. Nicht nur für den am Rücken verletzten Kapitän Fabian Boll könnte es eng werden. "Das war sehr kräfteraubend, ja", bestätigt Florian Bruns, "ich weiß nicht, was Stani seinen Spielern bei einem Sieg versprochen hatte, aber die sind abgegangen wie die Feuerwehr."

Bruns und Co. gingen mit und erlebten 90 Minuten an der Leistungsgrenze. "Wahnsinn, wie viele Leute nach dem Spiel Krämpfe hatten", berichtete Tschauner. Und so ist in Neu-Isenburg jetzt Regeneration Trumpf. Für Körper - und Seele. Schließlich ist Fußball eine Kopfgeschichte, wie Schubert weiß: "Beim FSV", so der Coach mit augenzwinkerndem Blick auf die Tabelle, "beim FSV sind wir diesmal krasser Außenseiter."