Seit 2006 wird das Stadion des FC St. Pauli umgebaut. Heute erscheint ein Buch, das die Zeit davor festhält. Es ist ein Dokument über die Schönheit des Verfalls, ein Abschied in Bildern

Es ist der 19. Dezember 2006. Mit einem Helm auf dem Kopf bedient Corny Littmann die Hebel eines Baggers, dessen Schaufel an diesem eiskalten Abend als Abrissbirne fungiert. Der Präsident des FC St. Pauli kümmert sich persönlich um die ersten Zäune und Mauern vor der Südtribüne. Ein positives Signal soll gesetzt werden. Für den Verein markiert jener Tag den Aufbruch in eine neue Zeitrechnung. St. Pauli hat am Millerntor öffentlichkeitswirksam zur "Bagger-Party" geladen. In vier Etappen will und wird der Klub ein modernes Fußballstadion bauen. Doch die Vorfreude wird von Wehmut und Melancholie überlagert. Viele der zahlreichen Fans weinen hemmungslos, wissend, dass dieser 19. Dezember gleichzeitig den Anfang vom Ende bedeutet.

In den folgenden Jahren betrifft der Wandel alle Fans. Der Südtribüne folgt 2009 die Haupttribüne, in diesem Sommer wurde die Gegengerade binnen 97 Tagen durch einen Neubau ersetzt. In diesen Jahren verschwinden Meckerecke und Kuchenblock, man nimmt Abschied von Klubheim und Anzeigetafel. Kein Anstehen mehr vor gefluteten Toilettencontainern, die bröckelnden Steine in den Stehplatzreihen sind Geschichte. Sichtweisen verändern sich. Die Bäume, in deren Kronen sich Fans eingenistet hatten, sind gefällt, der Dom ist von der Haupttribüne nur noch zu erahnen. Man sitzt höher und komfortabler. Mit jedem Tag schwinden die Erinnerungen an das alte Millerntor-Stadion, die Bilder in den Köpfen verklären sich pixelweise.

Das Buch "Millerntor - Das alte Stadion" ist daher nicht nur künstlerisch relevant. Den Fotografen Susanne Katzenberg und Olaf Tamm ist es gelungen, Erinnerungen abzubilden, Emotionen festzuhalten. Auf 160 Seiten bauen sie das alte Millerntor-Stadion wieder auf. "Ihre Aufnahmen sind zärtliche Beschwörungen des morbiden Charmes des Verfalls. Wehmut, Melancholie, Sehnsucht, Leidenschaft, Tränen und Jubel stecken in dieser Hommage an ein Fußballstadion", schreibt der ehemalige Trainer und Sportchef des FC St. Pauli, Helmut Schulte, in seinem Editorial, "wenn es Meister der Herzen gibt, dann ist das Millerntor das Stadion der Herzen. Und Susanne Katzenberg ist mit ihren liebevollen Fotografien die Gralshüterin unserer Erinnerungen."

"Millerntor - Das alte Stadion" ist vor allem eine Liebeserklärung. Katzenberg und Tamm nehmen den Betrachter mit auf einen Rundgang durch die 1961 eingeweihte Spielstätte. Die alten Blickwinkel und Fluchten sind wieder da, Gerüche und Geräusche scheinen zurückzukehren. Es ist eine Reise zum Herzen von St. Pauli. Ein Buch, dessen Wert mit jedem Tag steigt.