Viele Verletzte, immer wieder Ausfälle. Doch der FC St. Pauli schafft mit 28 Punkten aus 13 Spielen eine neue Bestmarke und ist Vierter.

Hamburg. Die Freude über den 2:0-Sieg vom Vorabend bei Union Berlin war abrupt beendet. Der gelbe Rettungshubschrauber, der am Sonnabendmorgen auf dem Trainingsgelände an der Kollaustraße landete, ließ Böses erahnen. Zwar sind die Verkündungen immer neuer Hiobsbotschaften schon fast alltäglicher Bestandteil der Nachrichtenlage beim FC St. Pauli , doch der ungewöhnliche Einsatz aus der Luft verlieh der Szenerie eine besondere Dramatik. Während einige Trainingskiebitze bangen Blickes bereits über infrage kommende Opfer und deren mögliche Verletzungen spekulierten, entfernten sich die Sanitäter allerdings in einem Polizeiwagen so schnell vom Gelände, wie sie gekommen waren, um Verletzten bei einem Unfall auf der Groß Borsteler Straße zu Hilfe zu kommen - falscher Alarm am Millerntor, ausnahmsweise einmal.

Wohl noch nie haben die Hamburger so viele verletzte Profis wie in dieser jungen Saison ersetzen müssen. Die Krankenakte 2011/2012 ist eine fast lückenlose Abbildung typischer Fußballerverletzungen, die Liste der Patienten so lang wie die Tabelle der Zweiten Liga. Gleich 18 Spieler mussten bislang unfreiwillige Pausen von mindestens einer Woche einlegen. Dennis Daube, Rouwen Hennings und Carsten Rothenbach verpassten bereits den Großteil der Vorbereitung, Marius Ebbers brachte es zwar bislang auf fünf Tore, aber nur sechs Einsätze, und mit Carlos Zambrano (seit 35 Wochen), Moritz Volz (seit 32), Lasse Sobiech (seit fünf Wochen), Deniz Naki (13) und Charles Takyi (zehn) beklagte oder beklagt der Bundesliga-Absteiger gleich fünf längerfristige Ausfälle. Lediglich zehn Spieler des 28-Mann-Kaders blieben von schwereren Blessuren verschont.

+++ Pommes braun-weiß Der FC St. Pauli-Videoblog vom Hamburger Abendblatt +++

+++ Auswärtshürde genommen: St. Pauli bleibt eisern oben dran +++

+++ Der Spielverlauf: Einmal half der Pfosten +++

Sehnen rissen durch oder ab, Muskelfasern wurden durchtrennt, Oberschenkel aufgeschlitzt, Rippen geprellt, Leisten gebrochen, Knie verdreht, Bänder gedehnt, beschädigt oder angerissen und Nerven per Hexenschuss gequetscht. "Wir hatten bislang wirklich sehr viele Umstellungen", sagt André Schubert nachrichtlich-nüchtern, und man kann noch so genau hinhören: ein durchaus nachvollziehbarer klagender Unterton ist nicht zu vernehmen. Selbst nach den drei Saisonniederlagen verkniff sich der Trainer stets den Hinweis auf die angespannte Personallage und nahm seinen Spielern damit eine willkommene Alibi-Option. Viel lieber verweist Schubert auf das Gesamtergebnis: "Wir gehören trotz der vielen Ausfälle zur Spitzengruppe der Liga." Mehr noch: St. Pauli befindet sich auf Rekordkurs. Nie zuvor in der Vereinsgeschichte hatten die Hamburger nach 13 Zweitliga-Spieltagen 28 Punkte erzielt. Schuberts Mannschaft liegt aktuell zwei Zähler über dem Wert der Aufstiegssaison 2009/2010. Die Erkenntnis: Der zweite Anzug sitzt, der dritte auch.

"Das ist schon etwas Besonderes hier", hatte Schubert bereits wenige Wochen nach dem Start in seine erste Vorbereitung mit St. Pauli bemerkt, "hier dürfen unglaublich viele Spieler den Anspruch haben, in der Startelf zu stehen." Diese Homogenität, auffälligstes Merkmal des braun-weißen Kollektivs, zahlt sich nun aus. Hinzu kommt die Flexibilität einzelner Profis. Außenverteidiger Sebastian Schachten wechselte nicht nur von der rechten auf die linke Seite und wieder zurück, sondern zeitweise sogar ins Mittelfeld, wo auch Abwehrchef Fabio Morena mehr Einsätze als auf seinem jahrzehntelangen Betätigungsfeld im Abwehrzentrum sammelte. Die Maßnahme, den leichtfüßigen und um 16 Zentimeter kleineren Mittelfeld-Dribbler Deniz Naki als Ersatz für den verletzten Stoßstürmer Marius Ebbers aufzustellen, war überraschend, mit zwei Toren in zwei Spielen aber vor allem erfolgreich. Selbst wenn wie zuletzt gegen den FSV Frankfurt und in Berlin acht Profis fehlen und sich bei Union auch noch Ralph Gunesch an der Schulter verletzte, verfügt Schubert dank der Variabilität immer noch über ernsthafte Alternativen, kann situativ reagieren.

Große Abstimmungsprobleme habe er zwar trotz permanenter Umstellungen nicht erkennen können, doch natürlich sehnt sich auch der Trainer nach einer eingespielten Stammelf. Vor allem in der Defensive, die nach der Winterpause noch einmal eine erhebliche Aufwertung erfahren dürfte. Sobiech, 20, und Zambrano, 22, würden das talentierteste, vielleicht sogar beste Abwehrzentrum der Liga bilden. Mit dem Innenverteidiger-Duo, Mittelfeldmann Fabian Boll und Torjäger Ebbers muss St. Pauli aktuell Leistungsträger auf vier Schlüsselpositionen ersetzen. Die Konkurrenz im Aufstiegskampf hingegen blieb von Rückschlägen verschont. Bei Eintracht Frankfurt und Düsseldorf fehlt mit Kittel und Ilsö jeweils ein Ergänzungsspieler, Fürth verzeichnet momentan drei Ausfälle, darunter mit Fürstner eine Stammkraft.

Schubert weiß um den Nachteil, thematisiert ihn aber nicht. Er beginnt diese Trainingswoche so sachlich wie die vergangenen: "Erst mal schauen, wer zurückkommt", so der Trainer am Sonnabend, während der Rettungshubschrauber seine Rotoren anwarf und von der Anlage schwebte. Vielleicht ja ein Bild mit Symbolkraft.