Das Buch “Zockerliga“ erzählt von der Spielsucht des ehemaligen St.-Pauli-Spielers René Schnitzler und seiner Rolle im Wettskandal.

Hamburg. Die Familie, seine Freundin Sara, der frühere Berater Gerd vom Bruch, Holger Stanislawski und Helmut Schulte, die Mitspieler vom FC St. Pauli, Marcell Jansen, der DFB oder die Kreditbank - sie alle haben es nicht geschafft. Keiner von ihnen war in der Lage, René Schnitzler aufzuhalten und sein Leben in eine geordnete Bahn zu lenken. Sie haben ihn behandelt wie einen aufstrebenden Fußballprofi mit außerordentlichem Talent. Doch das war er nicht.

Das Buch "Zockerliga", das am 22. August im Gütersloher Verlagshaus erscheint, beschreibt den tiefen Fall des Fußballprofis René Schnitzler vom hochgejubelten Talent zum verspotteten Wettbetrüger. Es führt den Leser in die verr(a)uchten Hinterzimmer der Spielkasinos an Niederrhein und Elbe, sucht Gründe für den Absturz des jungen Mannes und berichtet von regelmäßigen Zockerabenden von Bundesligaprofis und Nationalspielern. Das Buch will aufrütteln, will die Gefahr des illegalen Glücksspiels darstellen, das laut einiger Wissenschaftler und Psychologen unter Fußballern weit verbreitet ist. Und es ruft dazu auf, etwas dagegen zu tun. Aber es klingt in vielen Teilen auch wie ein Versuch von Schnitzler, Geschehenes zu rechtfertigen. Was der ehemalige Jugendnationalspieler jedoch getan hat, dafür ist er zum größten Teil selbst verantwortlich, sein überbordendes Ego, seine Dummheit, seine Suchtanfälligkeit. Sich mit Menschen einzulassen, die Fußballspiele manipulieren und dafür Unsummen kassieren, lässt sich nicht rechtfertigen.

Schnitzler und die Autoren Wigbert Löer und Rainer Schäfer nennen Namen von Spielern, die ihre Lust am Zocken mal mehr und mal weniger ausleben, die aber alle längst nicht so extrem vorgehen wie Schnitzler. Auch ehemalige und aktuelle Spieler des FC St. Pauli werden als Zockerkollegen beschrieben. So soll ein aktueller Spieler des Zweitligaklubs einmal 11 000 Euro beim Online-Poker verloren haben, ein anderer soll mit höheren Beträgen hantieren als die meisten seiner Kollegen. Marcell Jansen, Profi beim HSV, will Schnitzler vor einigen Jahren an einem illegalen Pokertisch getroffen haben. Jansen kennt Schnitzler seit der Jugend in Gladbach, brach vor sieben Jahren allerdings den Kontakt ab. Der Unterschied zwischen Schnitzler und allen namentlich genannten ist eindeutig: Schnitzler ist süchtig. Er gerät außer Kontrolle. Wenn er verliert, will er Revanche, und wenn er gewinnt, glaubt er, dass er einen Lauf hat, und verspielt seinen Gewinn sofort wieder. Das Problem Spielsucht darf sicher nicht vernachlässigt und als lapidar abgetan werden, und es mag Spieler geben, die gefährdet sind, aber es darf auch nicht aus jedem Monopoly-Spieler ein Immobilienhai gemacht werden.

Schnitzler spielt krankhaft, seit er 18 Jahre alt ist, der Fußball gerät irgendwann zur Nebensache. Seine Leistungen werden schwächer, sein Bauch speckiger, er kann sich beim Training nicht mehr konzentrieren, weil er an das nächste Pokerspiel denkt. Er verschuldet sich, gerät in Konflikte mit unangenehmen Zeitgenossen aus dem Rotlichtmilieu, besorgt sich zum eigenen Schutz eine Gaspistole. Er verprellt seine wenigen Freunde und seine Familie, kaum jemand, der im Buch zu Wort kommt, kann nicht über einen ärgerlichen Vorfall mit Schnitzler berichten. Es kommt dem heute 26-Jährigen jedoch nicht in den Sinn, sich zu entschuldigen. Er habe kein Interesse daran, sich selbst zu analysieren, heißt es, er möge sein Leben und die Anekdoten darin. Schnitzler hält sich für einen coolen Typen und abgebrühten Zocker. Das Buch entlarvt ihn jedoch als Aufschneider und Profilneurotiker, der stets darauf bedacht ist, das tollste Auto zu fahren und mit lautem Getöse Aufmerksamkeit zu erregen. Schnitzler ist vielleicht kein Einzelfall, wie St. Paulis Sportdirektor Helmut Schulte es im Vorwort ausdrückt, er ist - wie die Autoren richtig anmerken - ein Extremfall. Deshalb sind die Vergleiche des abgestürzten Schnitzler mit Profis, die in heimischer Runde um kleine Beträge spielen, nicht gerechtfertigt.

Auch die Verbindung zwischen Pokerspiel und dem Wettskandal, der den deutschen Fußball Anfang dieses Jahres erschütterte, gelingt nicht gut. Schnitzler brauchte Geld, um seine Schulden (aktuell rund 150 000 Euro) zu bezahlen, er war bereits in illegalen Kreisen unterwegs und bekam leicht Kontakt zu Paul Rooij, dem Wettpaten aus den Niederlanden. Vom Freizeit-Pokerspieler zum Kriminellen, der für Geld Fußballspiele manipuliert, ist es ein langer Weg. Im Buch liegt zwischen den Pokergewohnheiten einiger Spieler des VfL Osnabrück und dem Wettskandal nicht mal ein Absatz.

Trotzdem ist das Buch insgesamt gelungen. Besonders dann, wenn sich die Autoren an recherchierte Fakten über den Wettskandal halten, wenn sie die Zusammenhänge aufdecken und Paul Rooij in einem entlarvenden Interview zu Wort kommen lassen. Auch wenn sie anprangern, dass der DFB die Werbung von Wettanbietern befürwortet, ist das gerechtfertigt. Und beim FC St. Pauli dürfte die Aussage von Mario Cvrtak, einem Angeklagten im Bochumer Wettskandalprozess, Aufsehen erregen. Cvrtak behauptet, dass neben Schnitzler noch vier weitere Spieler des Kiezklubs auf der Gehaltsliste von Rooij gestanden haben sollen. Der Bochumer Prozess wird hoffentlich für weitere Aufklärung sorgen.