Unbesiegt, Tabellenführer der Zweiten Liga und der erste Dreier überhaupt in Bochum - St. Pauli hat einen neuen Gegner: die Euphorie.

Bochum/Hamburg. Das 2:1 von Bochum. Es war der erste Punktspielsieg des FC St. Pauli beim VfL überhaupt. Es war dritte Sieg im vierten Saisonspiel. Und es war der Sieg, mit dem die Hamburger die Tabellenführung der Zweiten Liga erklommen. "Spitzenreiter", skandierten die berauschten Fans nach der besten Zweitligapartie dieser Spielzeit und: "Die Nummer eins im Pott sind wir", während Trainer, Betreuer und Spieler auf dem Rasen umhersprangen, ihre Fäuste in den Bochumer Nachthimmel reckten oder spontane Freudentänzchen aufführten. "Wir werden am Saisonende unter den ersten drei der Liga stehen", schien da lediglich die logische Schlussfolgerung zu sein. Überraschend nur, dass es Bochums Trainer Friedhelm Funkel war, der für sich zu dieser Erkenntnis gekommen war und seine Prophezeiung kämpferisch in die Notizblöcke der Medienvertreter diktierte, während sein Pendant, St.-Pauli-Trainer André Schubert, mit aller Vehemenz das einprasselnde Lob abzuwehren versuchte.

Der Bundesliga-Absteiger hat wie in der Aufstiegssaison 2009/2010 mit zehn Punkten aus vier Spielen einen nahezu perfekten Auftakt geschafft, wähnt sich aber selbst nach dem technisch wie physisch äußerst anspruchsvollen Auftritt vom Freitag längst noch nicht am Limit. Nach 90 Minuten Vollgas treten die Verantwortlichen mit ähnlicher Leidenschaft nun die Euphoriebremse durch. Die nächste Qualitätsstufe ist gezündet, der Raketenstart vollzogen, die Bodenkontrolle aber ist geblieben. "Das geht noch besser", weiß Innenverteidiger Lasse Sobiech. "Wir müssen schneller umschalten", konkretisiert Mittelfeldspieler Max Kruse, und Torhüter Philipp Tschauner empfiehlt, zukünftig die Konter sauberer zu fahren. Selbstkritische Worte, die den Anspruch verdeutlichen, nach dem überzeugenden, ja phasenweise begeisternden Auftritt, aber auch der Prophylaxe vor verfrühter Selbstzufriedenheit dienen dürften. Tabellenführer? "Das ist völlig uninteressant", findet Schubert, "wir hatten in Bochum auch das nötige Glück. Ich mache diese Euphoriewelle nicht so mit." Der Trainer lenkt den Fokus viel lieber auf die ersten 15 Spielminuten, in denen seinen Spielern die nötige Einstellung und taktische Ordnung kurzzeitig abhanden gekommen waren, seine Mannschaft dem Gegner zu viel Räume gelassen und nur mit Zeitverzögerung reagiert hatte.

Doch St. Pauli kam im Stile einer Spitzenmannschaft zurück, glich den Rückstand aus und sorgte wie schon beim 3:1 gegen Alemannia Aachen für die späte Entscheidung. Drei Siege und ein Unentschieden beim Aufstiegsfavoriten Eintracht Frankfurt haben das Vertrauen in die eigenen Qualitäten gestärkt. "Im Gegensatz zum 1:1 in Frankfurt sind wir in Bochum nicht mehr in diese Drucksituation gekommen, dass du denkst, die hauen uns jetzt hier die Bälle um die Ohren", sagt Schubert mit gebremster Euphorie: "Das war nicht beeindruckend, aber gut."

Eine Herangehensweise, die seine Vorgesetzten wohlwollend zur Kenntnis nehmen dürften. "Neue Ambitionen formulieren?", wiederholte Bernd-Georg Spies die ihm gestellte Frage kurz nach dem Abpfiff auf der Haupttribüne in Bochum und zog die Augenbrauen hoch, "nach vier Spielen? Nein! Es macht doch Spaß, oben mitzuspielen." Mitspielen. Nachdem bislang vornehmlich die Ergebnisse für Applaus gesorgt hatten, stimmte nun auch die Leistung mit dem Tabellenplatz überein. Vor allem die Offensivreihe im Mittelfeld kommt immer besser in Fahrt.

Charles Takyi scheint nach drei schwachen Auftritten nun endlich in der Saison angekommen zu sein, Florian Bruns konnte seinen Freistößen und Ecken wie auch seinem Passspiel die nötige Präzision verleihen. Und was Fin Bartels und Max Kruse vor allem im zweiten Abschnitt läuferisch und technisch anboten, ließ sogar einige Bochumer Zuschauer anerkennend die Hände zusammenschlagen. "Drei Tore sind sehr ordentlich", sagt Kruse, der nach seinem Doppelpack beim 3:1 gegen Alemannia Aachen nun mit einer Torvorlage für Bartels und einem eigenen Treffer entscheidend am Sieg beteiligt war. Das Duo setzt spielerische Akzente, überzeugt läuferisch, kommt anders als in der vergangenen Saison häufiger (erfolgreich) zum Abschluss und garantiert mit Treffern Punkte. Kruse und Bartels führen die interne Torschützenliste an. Bei St. Pauli gilt das Fin-Max-Prinzip, auch wenn Schubert energisch widerspricht: "Die beiden sind auf einem guten Weg. Aber das, was die Jungs jetzt zeigen, ist nicht überragend. Es ist eine Selbstverständlichkeit."

Das 2:1 von Bochum - es könnte rückblickend zum Meilenstein werden. Am Freitag hat die Mannschaft beim bislang stärksten Gegner für ein Aha-Erlebnis gesorgt und gezeigt, was sie zu leisten imstande ist. Dass der richtige Weg eingeschlagen ist, wissen sie beim FC St. Pauli. Was nötig ist, um ihn weiterzugehen, auch: Bodenkontrolle.