St. Paulis Deniz Naki hat Spaß und Form wiedergefunden. Er überrascht bisher. Die vergangene Saison war für ihn enttäuschend.

Schneverdingen. Die Arme sind fast in Halbkreisen an dem schmalen Körper angewinkelt, man könnte problemlos zwei Fußbälle unter ihnen festklemmen. Der kleine Kopf ist eingezogen, die aufgepumpte Brust herausgestreckt. Mit leichter Rücklage stolziert Deniz Naki über den Platz, ehe das Trainingsspielchen fortgesetzt wird. Der Torschütze blickt kurz zum Trainer, dann verstohlen zu den Journalisten und registriert die Aufmerksamkeit mit einem Wohlwollen, dass manchen Vater an sein Kind erinnert, das gerade erstmals allein vom Klettergerüst gesprungen ist: Papa, guck mal, was ich kann.

Nakis Spielplatz ist der Fußballplatz, und alle sollen sehen, welche Qualitäten der 21-Jährige besitzt. Er sucht wieder die Eins-gegen-eins-Situationen, kreiert Torchancen und trifft. Im Trainingslager wie in den Testspielen des FC St. Pauli. "Ich habe jetzt schon mehr Tore als in der gesamten letzten Vorbereitung", weiß der Offensivspieler, der nach zwei Tests mit neun Toren die interne Scorerliste anführt. Ergebnisse, die aufgrund seiner außergewöhnlichen Fähigkeiten eigentlich nicht verwundern dürften, doch Naki ist nach einem maßlos enttäuschenden letzten Jahr die bislang größte Überraschung. Er hat sein Temperament wieder, gestikuliert, zwinkert, redet, scherzt - ob auf dem Platz oder in der Hotellobby. St. Paulis Klassenclown hat seine Unbekümmertheit zurück. Es wirkt geradezu, als hätte ihm jemand vor einem Jahr den Stecker gezogen und nun neu eingestöpselt. Monsieur 100 000 Volt ist wieder am Netz.

Verändert habe er sich nicht, "aber wieder Spaß am Fußball", sagt Naki, der den Urlaub bei seiner Großfamilie in Düren verbrachte. "Die Zeit zu Hause bei Mama, mit meinen Cousins, hat mir Energie gegeben." Seine Eskapaden mit Verspätungen und Disziplinlosigkeiten sind abgehakt, und auch der unprofessionelle Lebensstil mit regelmäßigen nächtlichen Besuchen von Fast-Food-Restaurants und fast täglichen Anrufen beim Pizzaservice soll der Vergangenheit angehören: "Ein Jahr Pause ist genug. Ich habe viel Scheiße gebaut. Es musste etwas passieren."

Sein neuer Trainer André Schubert ist mit dem Zwischenergebnis zufrieden. "Deniz hat Lust und Spaß. Er ist eine ehrliche Haut und absolut emotional gesteuert, muss aber lernen, Emotionen und Frustrationen in die richtige Bahn zu lenken." Keine leichte Aufgabe für den Heißsporn, wie eine Trainingsszene vom Dienstag zeigt. Die Rüge von Mannschaftskollege Ralph Gunesch, nachdem Naki die Rückwärtsbewegung vernachlässigt und sein Gegenspieler ein Tor erzielt hatte, konterte er mit einigen Beleidigungen, trat gegen den Pfosten, schmiss sein Leibchen auf den Boden und schoss den Ball weg. "Ralle hatte natürlich recht", gab Naki später reumütig zu. Die gerechte Strafe aber war prompt gefolgt. Der Ball landete über dem Zaun, und Naki musste durch das Unterholz stapfen, während sich Schubert und die Mannschaftskollegen über den unfreiwilligen Ausflug amüsierten.

Der Trainer findet Gefallen an dem kleinen Temperamentsbolzen: "Mit elf Nakis kommst du nicht weit, aber eben auch nicht mit elf Guneschs allein." St. Paulis Nummer 23 könnte von dem Trainerwechsel profitieren, obwohl mit Holger Stanislawski gerade sein Mentor den Verein verließ. "Er war für mich eher wie ein Vater, immer für mich da", sagt Naki. Auf dem "Spielplatz" gehen seine Blicke dennoch nach fast jeder gelungenen Aktion zur Außenlinie. Die Bezugsperson ist eine andere - so wie der Spieler auf dem Rasen.