Der Zweitligist muss wegen Platzarbeiten unprofessionell trainieren - mit einem unangemeldeten Gastspiel beim Niendorfer TSV.

Hamburg. Fabio Morena war um 15.56 Uhr der erste, der aus dem Kabinentrakt nach draußen trat, die Mannschaftskollegen folgten ihm unmittelbar aus der Sporthalle über Pflastersteine und die rote Aschenbahn zum Rasenplatz mit seiner etwas in die Jahre gekommenen Stehplatzgeraden.

Start in die Saisonvorbereitung 2011 beim FC St. Pauli, und neu war nicht nur der Trainer.

André Schuberts Dienstbeginn erfolgte zur Überraschung aller auf ungewohntem Terrain in Niendorf, beim Turn- und Sportverein, dessen Plätze ansonsten Schulsport, Oberligafußball und die größte Jugendabteilung Hamburgs beherbergen. "Hey, das ist unser Schulgelände", pöbelten einige Halbstarke im HSV-Trikot gen Spieler. St. Paulis Übungsplätze an der Kollaustraße mussten aufgrund der erst in 14 Tagen beendeten Rasenpflege geschont werden, so dass dieser Auftakt den Charakter einer Sportstunde erhielt.

Ein Fehlstart für St. Pauli, der sich auch beim Niendorfer TSV negativ auswirkte. "Eigentlich freuen wir uns, dass wir St. Pauli helfen können", so Jugendleiter Maik Tarnaske, "aber es wäre schön gewesen, wenn uns jemand von der Stadt darüber informiert hätte. Dann wären wir vorbereitet gewesen." So mussten die kleinen Kicker einer F- und einer E-Jugendmannschaft unverrichteter Dinge wieder nach Hause fahren. Die Fußballschuhe blieben unbenutzt in der Tasche. Zwei weitere Jugendteams wichen auf andere Plätze aus, und im überbelegten Kabinentrakt mit vier Räumen, von denen zwei für St. Pauli reserviert waren, herrschten chaotische Zustände.

Für einige Profis hatte bereits der Weg dorthin eine erste knifflige Aufgabe bedeutet. Dennis Daube und Max Kruse, die bereits mehr als eine Stunde vor Trainingsbeginn aufgetaucht waren, drückten vergeblich einige Türklinken herunter, ehe sie den Weg in die Sporthalle geschafft hatten. Andere mussten sich durchfragen oder wurden von den Fans zum Eingang geleitet.

Ein Findungsprozess steht ihnen ohnehin bevor. "Ich halte es nicht für gut, Hierarchien vorzugeben. In den kommenden Wochen wird sich einiges von selbst regeln", glaubt Schubert, der 20 Minuten vor Trainingsbeginn im braunen Dress, mit einem Lächeln auf den Lippen und einer Laptoptasche unter dem Arm auf dem Trainingsgelände erschien.

"Herzlich willkommen in Hamburg", begrüßten ihn die Fans, vereinzelt gab es Applaus. Glückwünsche, die er gebrauchen kann. Schubert muss eine Mannschaft formen, einen durch bislang neun Ab- und vier Zugänge stark veränderten Kader. "Es sind viele Spieler dabei, die zu Recht den Anspruch haben, in der Startformation zu stehen. Es wird immer wieder Konflikte geben, das ist ganz normal", weiß Schubert. Er muss die Stimmung ausloten, muss die richtige Ansprache finden, den Ton treffen. Die Begegnung gestern war die erste mit der Mannschaft, Gespräche mit ausgewählten Führungsspielern hatten zuvor nicht stattgefunden. Viereinhalb Wochen bleiben ihm.

Zeit, in der er zudem noch "zwei bis drei Verstärkungen für den Offensivbereich" erwartet. Sportchef Helmut Schulte, der der Begrüßungsrede von Präsident Stefan Orth an die Mannschaft gemeinsam mit den Vizes Jens Duve, Bernd-Georg Spies und Gernot Stenger auf dem Platz lauschte, ist nach ersten Transfererfolgen weiter gefordert, wie auch Schubert verdeutlichte. Seine Saisonziele versah er mit einer nicht unwichtigen Einschränkung: "Wir werden oben mitspielen, wenn uns das gelingt, was wir uns für den Offensivbereich vorstellen."

Ein oder zwei Stürmer plus ein Mittelfeldspieler werden noch erwartet, den Wunschzettel hat er Schulte längst übergeben. "Wir werden uns dabei in unserem Etat bewegen, der möglicherweise noch außerplanmäßig erhöht wird", erklärte der Sportchef mit Blick auf Transfererlöse bei den erwarteten Abgängen von Mittelfeldspieler Charles Takyi und Innenverteidiger Carlos Zambrano. Zudem soll Außenverteidiger Davidson Drobo-Ampem ein weiteres Jahr verliehen werden.

Vorerst trainierte der 23-Jährige wie Takyi, der einen hervorragenden Eindruck hinterließ, mit. Ein paar lockere Läufe, Dehnübungen und ein erstes Trainingsspielchen mit dem ersten Torschützen Marius Ebbers standen auf dem Stundenplan, nachdem der Platzwart nach 16 Minuten dann endlich unter Mithilfe des neuen Torwarttrainers Mathias Hain die hochgezogenen Tornetze gespannt hatte.

Schubert gab nur wenige Kommandos, schaute mit vor der Brust verschränkten Armen aufmerksam zu. Nach zwei Stunden trabten seine 24 Spieler, darunter die vier Neuzugänge Philipp Tschauner, Sebastian Schachten, Lasse Sobiech und Patrick Funk sowie die Nachwuchskräfte Ole Springer, Deniz Herber und Petar Filipovic wieder zurück in die Sporthalle, schrieben Autogramme und erlebten inmitten der neugierigen Jugendlichen auf der Anlage ein Treiben wie auf dem Pausenhof. "Herr Boll, Sie sind doch Polizist", sprach ein Familienvater den Mittelfeldspieler an, "können Sie mir sagen, wie ich von hier zurück in die Innenstadt komme?"

Heute geht es weiter mit dem Sportunterricht am Sachsenweg. Perfektionist Schubert nimmt die Verlegung zumindest öffentlich gelassen: "Ich habe in fünf Jahren Paderborn gelernt zu improvisieren." Diesen Start wird er dennoch nicht erwartet haben.