Mit neuer Geschlossenheit und neuen Kräften suchen die Kicker des FC St. Pauli gegen den VfB Stuttgart den Weg aus der aktuellen Krise.

Hamburg. Manchmal hilft der Blick zurück. Mit fünf Spielen ohne Niederlage war der FC St. Pauli ins Jahr 2010 gestartet und hatte eine Aufstiegseuphorie entfacht, die mit drei herben Pleiten in Folge jäh wieder abebbte. Ein unerwarteter und nur ansatzweise erklärbarer Leistungseinbruch wie ihn die Mannschaft nun, ein Jahr später, aufs Neue erlebt, drohte die Saisonziele zu gefährden. Damals drückte Holger Stanislawski erfolgreich die Reset-Taste, stauchte seine Spieler zusammen, erhöhte Trainingsintensität und -umfang. Alles kam auf den Prüfstand.

Im März 2011 aber gibt sich der Trainer moderat. Vor dem überlebenswichtigen Aufeinandertreffen mit dem VfB Stuttgart (Sonntag, 17.30 Uhr/Sky und Liveticker auf abendblatt.de) setzt Stanislawski auf lange Einzelgespräche, versprüht Optimismus, lobt und gibt Ratschläge. Denn so sehr sich die nackten Zahlen im Vergleich zum Vorjahr ähneln, so unterschiedlich ist die Ausgangsposition vor dem Wochenende, das die Trendwende bringen soll. Mit Carsten Rothenbach, Carlos Zambrano, Fabio Morena und Bastian Oczipka fehlt eine komplette Abwehrkette, mit dem gesperrten Mittelfeld-Motor Matthias Lehmann zudem der wichtigste Profi. "Ich habe so eine Situation noch nie erlebt", sagt der Trainer, "Rothenbach, Zambrano und Oczipka waren gesetzt, Lehmann sowieso. Es ist ärgerlich, dass uns in so einer Phase so viele Leistungsträger wegbrechen."

Und somit wird die Krise zur Chance für all jene, die ansonsten bereits eine Nominierung für den Kader als Erfolg verbuchen. St. Paulis aktuelle Hoffnungsträger heißen Moritz Volz, Jan-Philipp Kalla, Dennis Daube oder Marcel Eger. Spieler aus der zweiten Reihe, die sich empfehlen wollen. Für weitere Einsätze, für neue Verträge, letztlich auch für andere Vereine. Wer diese am Sonntag tatsächlich erhalten wird, wollte Stanislawski vor dem heutigen Abschlusstraining noch nicht verraten. Trotz der Verletzungssorgen erscheint vor allem im Defensivverbund einiges möglich. Kehrt Markus Thorandt nach Zambranos Saisonaus wieder ins Abwehrzentrum neben Ralph Gunesch zurück, könnten sowohl Volz als auch der lange verletzte Florian Lechner, aber auch Kalla auf der rechten Seite verteidigen. Sollte die Wahl auf Kalla fallen, wäre links ein Platz frei für den zuletzt verschmähten Florian Bruns. Bleibt Thorandt in der ungeliebten Rolle des Rechtsverteidigers, würde Eger ins Abwehrzentrum rücken. "Bei Lechner müssen wir vorsichtig sein, vielleicht spielt er erst mal in der zweiten Mannschaft", sagt Stanislawski, "aber es gibt tatsächlich viele Möglichkeiten, und ich habe da auch schon eine Idee ..."

Teil dieser wird in jedem Fall ein 21-jähriges Talent aus Bergedorf sein. Dennis Daube, der das Fußballspielen beim SV Nettelnburg/Allermöhe lernte, ehe er 2004 zum Kiezklub wechselte, ist fest als Lehmann-Vertreter eingeplant. "Selbst wenn ich wollte, komme ich an seinen Trainingsleistungen nicht vorbei", würdigt Stanislawski seinen zentralen Mittelfeldspieler, der auch in seinen bisherigen zwei Kurzeinsätzen 2011 gegen Mönchengladbach (3:1) und den HSV (1:0) einen hervorragenden Eindruck hinterließ und beim desaströsen 0:5 in Nürnberg einziger Akteur in Normalform war. "Ich habe mich entwickelt", beschreibt er einen Reifeprozess, "spiele zum Beispiel körperlich viel, viel härter als früher." Für Sonntag hat er eine Chance erkannt. Für sich, aber vor allem für die gesamte Mannschaft: "Wir haben die jüngste Niederlage weggesteckt und uns gut vorbereitet. Der Druck ist da, darf aber keine Rolle spielen."

St. Pauli plant die Trendwende. Gemeinsam. Mit neuen Kräften und als Kollektiv. "Von mir aus kann auch Marcel Eger im Sturm spielen und Gerald Asamoah in der Abwehr. Wichtig ist, dass wir zusammen wieder unsere Leistungsgrenze erreichen. Alle müssen wollen", erklärt Daubes Nebenmann, Fabian Boll. St. Pauli probt den Schulterschluss. Auch abseits des Platzes. Der Zeitpunkt für die Fan-Aktion "Warum bist du bei St. Pauli?" hätte kaum besser gewählt sein können. Mannschaft und Verein solidarisieren sich, das fünfköpfige Präsidium wird höchstselbst Flyer verteilen. Das Stadion ist ausverkauft, der neue Rasen wird unter Flutlicht eingeweiht. "Wir freuen uns", versichert Stanislawski und trotzt dem Negativlauf: "Wir kennen das aus der Zweiten Liga. Da hatten wir auch Phasen mit vielen gewonnen Spielen und anschließender Niederlagenserie." Im März 2010 endete diese am 26. Spieltag. Damals gelang seiner Mannschaft mit dem 5:3 gegen Oberhausen ein furioses Comeback, ließ drei weitere Siege folgen und stieg am Ende souverän auf.