Zwei Tore nach Eckbällen bringen St. Pauli einen 3:2-Sieg gegen Nürnberg und machen den besten Saisonstart aller Zeiten perfekt.

Hamburg. Sein ansteckendes, schelmisches Grinsen hat er seit Wochen konserviert. Bastian Oczipka, der Linksverteidiger des FC St. Pauli , dessen Lausbuben-Attitüde stets den Anschein erweckt, als würde er etwas im Schilde führen. Und so hatte er nach dem Abpfiff des 3:2-Sieges gegen den 1. FC Nürnberg dann auch die Lacher auf seiner Seite. Konfrontiert mit der Tabelle, die St. Pauli am Sonnabend um 17.30 Uhr als Tabellenvierten auswies, antwortete der 21-Jährige trocken: "Wir wollen jetzt noch drei Plätze nach oben klettern." Doch anders als die Umstehenden blieb Oczipka ausnahmsweise ernst, schaute verwundert in die belustigte Runde und erklärte seine vollmundige Aussage umgehend: "Wir wollen jedes Spiel gewinnen. Da kann es dann doch kein anderes Ziel geben, oder?"

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Nun ist der FC St. Pauli noch weit davon entfernt, Ansprüche im Kampf um die deutsche Meisterschaft anzumelden, doch die Überzeugung, mit der das von Bayer Leverkusen ausgeliehene Abwehrtalent seine Worte wählte, macht deutlich, dass die Brust der Braun-Weißen nach dem erfolgreichen Zweitligajahr trotz neuer Spielklasse nicht schmaler geworden ist - im Gegenteil. "Ich fühlte mich gegen Nürnberg ein wenig an die Zweite Liga erinnert. Wir kriegen Chancen und schießen auch Tore", hat Sportchef Helmut Schulte weitere Parallelen ausgemacht. Was in der Konsequenz bedeutet, dass die Erfolgsgeschichte im Wochenrhythmus neue Kapitel erhält. Der erste Heimsieg der Saison war ein Musterbeispiel dafür, mit welch unerschütterlichem Glauben an die eigenen Stärken das Kollektiv zu Werke geht. Binnen vier Jahren ist unter der Federführung Stanislawskis aus einer allenfalls mittelmäßigen Regionalligatruppe ein bundesweit beachteter Bundesligist geworden. Was für eine Wandlung. Erfolg ist Standard.

Was am Sonnabend in doppelter Hinsicht galt. Den ersten beiden Treffern der Hamburger war jeweils ein Eckball vorausgegangen. "Ich hatte es ja prophezeit, dass die ruhenden Bälle entscheidend sein könnten, denn es war das erwartet schwere, enge Spiel. Und man hat nach dem 2:2 gemerkt, dass die Jungs wollten und überzeugt davon waren, dieses Spiel für sich zu entscheiden", so Holger Stanislawski, dessen Analyse vom Trainerkollegen umgehend bestätigt wurde: "Es hat am Ende die Mannschaft dieses Spiel gewonnen, die 15 Zentimeter Leidenschaft mehr hatte", so ein enttäuschter Nürnberger Coach, Dieter Hecking.

Zweimal hatte seine Mannschaft in einer lange Zeit von taktischen Fesseln und vielen Fehlpässen geprägten Partie die Hamburger Führung ausgeglichen, was am Ende aber dennoch nicht reichte, da der eingewechselte Florian Bruns einen sehenswerten Angriff über Rouwen Hennings und Max Kruse per Kopf zum entscheidenden 3:2 abschloss und den neuen Startrekord nach acht Spielen auf 13 Zähler schraubte. Zum Vergleich: in der Aufstiegssaison 2009/2010 hatte St. Pauli nach acht Zweitligapartien 16 und damit lediglich drei Punkte mehr auf dem Konto. "Ich weiß ja nicht, was er den anderen sagt. Aber zu mir meinte er, ich solle das Spiel nach Hause bringen und einen reinmachen", beantwortete der Matchwinner nach dem Sieg auch die Frage, welchen Inhalt der Dialog zwischen Stanislawski und ihm vor seiner Einwechslung gehabt habe. "Wir sehen, dass wir mithalten können und uns nicht zu verstecken brauchen. Ein Bierchen auf die Tabelle, aber dann geht es weiter", so Bruns, der trotz des vierten Saisonsiegs wie seine Mannschaftskollegen ungestillten Hunger ausstrahlte. "13 Punkte sind super, aber wir werden uns nicht darauf ausruhen", verspricht auch Fabian Boll.

Und so verwunderte es auch nicht, dass ihr Trainer bereits am nächsten Morgen zur Tagesordnung überging. Pünktlich um 10 Uhr begann Stanislawski am Sonntag seine Ansprache an die Mannschaft. "Die Jungs waren gestern noch beim Boxen, aber es sind alle da", konnte er auch von keinen Ausfällen berichten. Der Erfolgscoach lobte den Willen und die Moral, gab den Trainingsplan der kommenden Tage und einige kleinere organisatorische Absprachen aus. Das war es. "Wenn die Jungs alles abrufen, sind wir schwer zu schlagen", hat auch Stanislawski erkannt. Befürchtungen, wonach sich Mannschaft, Klub und Umfeld an die Erfolge gewöhnen könnten, teilt er nicht. "Es wäre fatal, wenn das irgendwann passieren sollte. Diese Siege sind keine Selbstverständlichkeit, wir erarbeiten uns den Erfolg hart in jeder Woche. Es greift einfach, und die Jungs haben das verinnerlicht."

Mit neuer Motivation geht der Trainer in die neue Woche, an deren Ende das Spiel beim Tabellenletzten VfB Stuttgart wartet und die Stanislawski eine Premiere beschert. Donnerstag schaut er sich mit der Europa-League-Partie des VfB gegen den spanischen Vertreter vom FC Getafe erstmals ein Europapokalspiel als Vorbereitung auf den kommenden Punktspielgegner an. St. Pauli hat einen neuen Level erreicht. Auch wenn die Beobachtungen sich noch einzig und allein auf den deutschen Vertreter fokussieren. Aber das könnte sich ja in der kommenden Saison theoretisch ändern, wie Bastian Oczipka sicher gern bestätigen wird.