Nach der Gewalt in der Sporthalle übt der Klub Kritik und stellt sich hinter seine Fans, die eine Sammelklage gegen die Ordnungshüter erwägen

Hamburg. Die Resonanz war so groß, dass Stefan Orth die Situation gleich zur offiziellen Begrüßung nutzte: "Trotz des wieder mal turbulenten Starts: ein frohes neues Jahr", sprach der Präsident des FC St. Pauli beim Blick in den überfüllten Medienkonferenzraum. Ein Neujahrsempfang der unfreiwilligen Art, nachdem die 26. Auflage des Internationalen Hallenfußballturniers am Freitagabend auch wegen der Verwicklung von St. Paulis Fans in gewalttätige Auseinandersetzungen abgebrochen worden war.

Veranstalter und Ordnungskräfte hatten ihre Sicht der Dinge bereits am Wochenende geschildert. Nun also auch der Klub, dessen Anhang sich in der Sporthalle Hamburg zunächst einem Angriff einer von Fans des VfB Lübeck und des Hamburger SV durchmischten Gruppe gegenübergesehen und anschließend selbst tatkräftig an der Gewaltspirale mitgewirkt hatte. Ganz bewusst habe man bislang Stellungnahmen verweigert. "Wir wollten keine vorschnellen Schlüsse ziehen, so wie es andere getan haben", erklärte der Präsident und benannte Polizei und Veranstalter, aber vor allem auch die Medien als Adressaten seiner Kritik. Vieles sei einseitig und nicht wahrheitsgemäß dargestellt worden: "Man darf Ursache und Wirkung nicht verwechseln." Angriff ist die beste Verteidigung.

Wie eine differenzierte Beurteilung der Lage aus Sicht des Klubs aussehe, dokumentierte anschließend Sicherheitschef Sven Brux, der die Chronologie des mit 90 Verletzten desaströsen Abends anhand von Zeugenaussagen nacherzählte und damit einigen Darstellungen der Polizei widersprach. So habe es beim Marsch der St.-Pauli-Fans zur Halle "keine erkennbare Aggressivität oder Gewaltbereitschaft" gegeben. "Und ich frage mich, weshalb die beiden Lager auf der Toilette nur durch ein Hamburger Gitter und nicht durch einen Bauzaun mit Sichtblende getrennt wurden", so Brux, der in mehreren Beispielen das Eingreifen der Polizei als unverhältnismäßig und willkürlich kritisierte und bestätigte, dass Fans eine Sammelklage gegen die Einsatzleitung der Polizei vorbereiten. "Der St.-Pauli-Bereich ist auf dem WC und auf der Tribüne zweimal angegriffen worden, und trotzdem konnten sich die Lübecker zurückziehen. Warum gab es da keine Ingewahrsamnahme? Den Organisatoren und der Polizei sind massive handwerkliche Fehler unterlaufen. Die Polizei hat in der Wahl und bei ihrem Einsatz der Mittel überzogen", stellte Brux fest.

Worte, die Polizeisprecher Mirko Streiber nicht nachvollziehen kann: "Auch wir bereiten den Einsatz nach und schauen kritisch, ob alles richtig gelaufen ist." Dass die St.-Pauli-Anhänger die Angriffe auf Ordner und Polizisten als Notwehr bezeichneten, sei ebenso "abstrus" wie der Vorwurf des unverhältnismäßigen Schlagstock- und Pfefferspray-Einsatzes: "Diese Maßnahmen waren erforderlich, um die Situation in den Griff zu bekommen und weitere Ausschreitungen zu verhindern", sagte er. "Die Polizei war nicht der Ausgangspunkt dieser Krawalle, sondern angebliche Fans von Fußballvereinen", unterstrich Innensenator Michael Neumann (SPD) bei NDR 90,3. Falsch sei laut Streiber auch der Vorwurf, dass die Polizei nur die St.-Pauli-Fans und nicht die Lübecker eingekesselt habe. "Für beide Gruppen war jeweils die gleiche Anzahl an Beamten abgestellt", sagte der Pressesprecher. Dass sich Polizei und Verein nun gegenseitig Vorwürfe machen, sei zudem wenig hilfreich.

Bei der Täterermittlung hat der Verein seine Unterstützung zugesagt. Im späteren Verlauf der Auseinandersetzungen hätten einige überreagiert und es sei zu Straftaten gekommen. "Gewalt, die losgelöst von Angriffen ausgeübt wird, verurteilen wir", so Brux, der allerdings kein neues Fanproblem beim Stadtteilklub erkennen kann: "Auch wir leben nicht auf der Insel der Glückseligen. Aber im Vergleich zu anderen Vereinen unserer Größenordnung haben wir in unserer Fanszene eine überschaubare Anzahl von Problemfällen, die körperliche Auseinandersetzungen sucht. Und man muss es mal so deutlich sagen: Wir werden landauf, landab dafür gerühmt, dass wir gegen Nazis stehen, und dann muss man sich auch mal gerademachen", so Brux mit Blick auf die diskriminierenden und rassistischen Gesänge der Lübecker am Freitag: "Wenn einer Nazi-Sprüche macht, muss ihm klar sein, dass ihm das auch körperlich nicht guttun wird."

Insgesamt hatte die Polizei 74 Randalierer, davon 72 St. Paulianer, in Gewahrsam und zwei festgenommen. "Darunter befanden sich zehn im Zusammenhang mit Sportveranstaltungen registrierte Gewalttäter, vier Gewalttäter aus dem linken Spektrum sowie 16 polizeilich bekannte Tatverdächtige", sagt Streiber. 31 Personen waren von auswärts, auch aus Schottland und Österreich. Die Ermittler bitten nun Zuschauer, die Taten oder Täter - insbesondere mit Foto- oder Videokameras - beobachtet haben, sich bei der Polizei zu melden. Hinweise sind unter der Telefonnummer 428656789 möglich.

Bei den Veranstaltern haben sich erste Besitzer von Karten für den abgesagten Finaltag gemeldet, die ihr Geld zurückfordern. Morgen will die von der Insolvenz bedrohte Sport Peterson Event GmbH, die gestern Gespräche über mögliche Ausfallzahlungen mit den Sponsoren fortsetzte, einen Kassensturz machen. Die Hoffnung auf ein Entgegenkommen St. Paulis scheint unbegründet. "Ich sehe nicht, dass wir auf unser Antrittsgeld verzichten", so Orth, "da sind andere in der Haftung."

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