Architekt Christoph Helbich optimierte die Stadionpläne. Baufortschritt ohne Verzögerungen. 2000 Quadratmeter zusätzliche Nutzfläche kommt.

Hamburg. Von Dezember 2006 bis Juli 2008 dauerte der komplette Neubau der Südtribüne des Millerntor-Stadions. 19 Monate, begleitet von Hoffnung und Vorfreude, aber auch Fehlplanungen, Kostenerhöhungen und Streitigkeiten, die gerichtlich entschieden werden mussten. Nun kommt es auch beim Bau der Haupttribüne zu Irritationen. Im Zentrum der Probleme: Generalunternehmer Walter Hellmich, Architekt Christoph Helbich und Wolfgang Helbing, Geschäftsführer der Millerntor-Stadionbetriebsgesellschaft (MSB). "Wenn wir drei gemeinsam am Tisch sitzen, kommen andere häufig durcheinander", sagt Helbing und beginnt zu lachen.

Die Stimmung ist gut, denn mit Ausnahme der Namensverwechslungen schreiten Planung und Durchführung des Haupttribünen-Neubaus planmäßig und ohne störende Nebengeräusche voran. Als "ganz normales Prozedere" bezeichnet Helbing fast schon etwas gelangweilt den Fortschritt des zweiten Bauabschnitts: "Im Vergleich zur Südtribüne haben wir das Ding eben konsequent geplant." St. Pauli hat die Lehren aus der Vergangenheit gezogen.

Und mehr noch: Die Pläne werden nicht nur eingehalten, sondern wurden auch noch gewinnbringend überarbeitet. "Wir haben die Erschließung optimiert", sagt Architekt Helbich. Ein Satz, der lapidar klingt, für den Verein aber Gold wert ist. Der Diplom-Ingenieur schwang den Bleistift und konstruierte neu. Im Ergebnis stehen dem Klub im Bauch der Tribüne nun 8000 statt 6000 Quadratmeter Nutzfläche zur Verfügung. Es können 28 statt 18 Separees vermietet werden, und der Zuschauer darf sich auf eine bessere Sicht mit größerem Höhenunterschied zum Vordermann und ohne einschränkende Säulenkonstruktion freuen - die Kapazität von 4800 Plätzen blieb dabei ebenso unangetastet wie die Größe der Tribüne.

Was nach Zauberei klingt, ist zu einem großen Teil höherer Effizienz geschuldet. "Wir haben die Anzahl der Stufengänge optimiert und ein gutes Mittelmaß aus Erreichbarkeit und Dichte der Plätze gefunden", nennt Helbich einen Grund. Zudem ist der große Balkon, den die ursprüngliche Planung vor dem VIP-Bereich vorsah, Geschichte. "Er sorgte für ein zerrissenes Tribünenbild. Außerdem konnten wir so neue Plätze erzeugen", erklärt der 36-Jährige, dem bei der Überarbeitung auch die Kindertagesstätte in der Ecke zur Südtribüne in die Pläne spielte. 100 Zuschauer finden unterhalb des "Piraten-Nests" Platz. Die größte Platzersparnis schaffte der Architekt aber durch einen Trick. Laut Brandschutzverordnung muss die Tribüne einen 1,20 Meter breiten Fluchtweg haben, der vor der ersten oder hinter der letzten Reihe verläuft. Helbich änderte auch hier den Plan. Der Gang verläuft nun vorne, direkt hinter den Plätzen für 56 Rollstuhlfahrer, sodass zwei Drittel der Sicherheitszone mit der 80 Zentimeter tiefen Sitzfläche der Klappsitze genutzt werden können. Effizienz, die sich bei einer Tribünenlänge von 120 Metern bemerkbar macht und durch Erhöhung des Neigungswinkels weiter steigt. Helbich machte die Tribüne steiler und sparte weitere Plätze ein: "Die letzte Reihe ist jetzt da, wo zuvor die drittletzte war. Insgesamt konnten wir drei Reihen entfallen lassen, ohne Platz zu verlieren. Der Fan merkt davon nichts."

Während es auf der Tribüne geringfügig enger zugehen wird, wirkt sich der gewonnene Raum unter den Rängen und bei den doppelstöckigen Logen nachhaltig aus. 28 statt 18 Separees bedeuten eine mögliche Mehreinnahme von etwa 850 000 Euro pro Saison (Zweite Liga: 750 000 Euro). Eine Summe, mit der die jährlichen Aufwendungen für Zins und Tilgung bereits zur Hälfte gedeckt wären.

Und auch im Bauch der 17 Millionen Euro teuren Haupttribüne hat der Klub nun mehr Handlungs- und Gestaltungsspielraum. Auf der ersten Ebene, die Promenade und Verkaufsstände beherbergt, in der zweiten Etage, die den Business-Kunden Zugang zum neuen Ballsaal verschafft und auch im obersten Stockwerk, wo Räume für Stadiontechnik und Medienvertreter inklusive eines Pressekonferenzraums entstehen. Auf der Tribüne befinden sich über der Presse nur noch die Logen mit ihren vorgelagerten Sitzbereichen und das Dach, dessen Länge um 2,50 Meter reduziert wurde und daher anders als im Süden nicht von Stützpfeilern, sondern einem Krakarm hinter der Tribüne gehalten werden kann.

Ab der neuen Saison soll die uneingeschränkte Sicht dann auch von den Zuschauern genossen werden können. "Vielleicht bekommen wir ja auch zunächst ein Auswärtsspiel. Dann sollte auch der Innenausbau zum ersten Heimspiel komplett fertig sein", blickt Wolfgang Helbing nach vorne. Eine vorzeitige Öffnung der neuen Haupttribüne, so wie im Süden geschehen, ist jedenfalls nicht vorgesehen. "Das kostet in der Vor- und Nachbereitung zu viel Zeit, die uns am Ende hinten heraus fehlen könnte."

Es läuft eben alles etwas anders als beim ersten Bauabschnitt. Und gerichtliche Streitigkeiten können wohl jetzt schon ausgeschlossen werden. Beim Architekturbüro Scheffler Helbich, das die im Streit geschiedene agn GmbH ersetzte, freut man sich bereits jetzt auf eine weitere Zusammenarbeit. "Es macht einfach Spaß", sagt Dortmund-Fan Helbich, "man kann nur begeistert sein, wenn man sieht, wie der Verein sich Werte und Image bewahrt. Dieses hohe Maß an Individualität und geistiger Spritzigkeit ist besonders."