Umbau beschert Schule perfekte Einblicke. Auch der Kiezklub könnte profitieren: Ohne Südtribüne gewann man 2007 alle Heimspiele und stieg auf.

Hamburg. Das Stadion ist mit 19 800 Zuschauern ausverkauft, die Südtribüne mit ihren 1120 Business-Seats und elf Separees voll bis unters Dach. Die Loge mit dem besten Blick auf das Spielfeld aber liegt momentan im Westen - und ist kostenlos. "Der Baulärm ist manchmal schon etwas störend", sagt Ulrich Natusch und schaut durch die Fensterfront seines Lehrerzimmers, "aber die Aussicht ist natürlich fantastisch." Natusch ist Schulleiter des Wirtschaftsgymnasiums St. Pauli, das in direkter Nachbarschaft zum Stadion liegt, und kommt seit dem Abriss der Haupttribüne in den Genuss der wohl besten Aussicht auf die Spielfläche.

Und wer den freien Blick einmal erlebt hat, kann nachvollziehen, weshalb der ehemalige Trainer des damaligen Verbandsligaklubs HEBC am Sonntag freiwillig seinen Arbeitsplatz aufsucht. Das Spiel des FC St. Pauli gegen Union Berlin (13.30 Uhr/Sky, Liveticker auf abendblatt.de) ist die erste Partie, die ohne Haupttribüne stattfindet. Gemeinsam mit einem Teil des Kollegiums und Schülern des Abiturjahrgangs wird der St. Pauli-Fan die Partie aus dem Kunstraum im obersten Stockwerk der Schule verfolgen. In jedem Fall dabei sein wird Kunstlehrer Artur Dieckhoff, der mit seinem Kurs die Arbeiten am Stadion in einer Dokumentation fotografisch und mit Videokamera begleitet. "Wir sind eine fußballbegeisterte Schule mit fußballbegeisterten Schülern und Lehrern", erklärt Dieckhoff.

Und geht es nach Holger Stanislawski, dürfen sich Natusch, Dieckhoff und Co. nicht nur wegen der schönen Aussicht auf Sonntag freuen. "Es wird ein sehr intensives, stimmungsvolles Spiel werden. Nach unserem guten Spiel in Augsburg wollen wir uns die drei Punkte zurückholen und eine neue Serie starten", sagt der Trainer, der noch offen ließ, ob er Davidson Drobo-Ampem, Jan-Philipp Kalla oder Offensivkraft Max Kruse auf die Position des nach dem Platzverweis gegen Florian Lechner vakanten linken Außenverteidigers beordert. Möglicherweise muss auch Fabian Boll ersetzt werden. Der 30-Jährige nahm wegen eines Magen-Darm-Infekts binnen drei Tagen vier Kilogramm ab und ist geschwächt. Dennis Daube und Florian Bruns lauten die Alternativen im defensiven Mittelfeld.

Gedankenspiele, die Stanislawski gestern ins Geheimtraining einfließen ließ. Der Trainer übte mit seiner Mannschaft - beobachtet von Schülerinnen und Schülern des Gymnasiums- gestern am Millerntor. "Die Jungs sollen sich an die neuen Bedingungen gewöhnen, sollen ein Gefühl für die ungewohnte Szenerie bekommen", erklärt Stanislawski, "zudem sind unsere Trainingsplätze an der Kollaustraße eine einzige Katastrophe. Das ärgert mich sehr."

Vor drei Tribünen, so paradox es angesichts der großen Fanunterstützung erscheint, ist St. Pauli bislang noch ungeschlagen. Mehr noch: im ausgedehnten Zeitraum des Südtribünen-Abrisses gelang von Februar bis Mitte Mai 2007 eine eindrucksvolle Serie, die letztlich den Grundstein zum Aufstieg in die Zweite Liga legte: sieben Heimsiege bei einem Torverhältnis von 16:0!

Lehrer und Schüler hoffen nun auf einen ähnlichen Effekt und hätten nichts dagegen, ab Sommer einen Bundesligaklub als Nachbarn zu haben. Sie werden die Spiele verfolgen bis die neue Haupttribüne im Frühjahr die Sicht versperrt. Ihrer Verbundenheit werden sie Sonntag mit einem Transparent Ausdruck verleihen: "Das Wirtschaftsgymnasium St. Pauli grüßt Spieler und Fans! Ahoi!"

Nutzen Sie unseren St. Pauli SMS-Dienst und seien Sie immer auf dem Laufenden bei News und Ergebnissen rund um den Kultverein.