Nach Lehmanns Führung patzt Torhüter Hain. Dem Debütanten gelingt das Last-Minute-Siegtor.

Hamburg. Zusteigen! Anschnallen! Abschuss! Attraktionen werden auf dem Heiligengeistfeld in Zeiten des Sommerdoms einige geboten. Die größte fand einmal mehr in unmittelbarer Nachbarschaft am Millerntor statt. Mit einer denkwürdigen Partie eröffnete der FC St. Pauli die neue Zweitligasaison. Das 2:1 gegen Rot Weiss Ahlen lieferte Überraschungen, spielerische Klasse und höchste Dramatik. Und am Ende der Zugabe, Schiedsrichter Jochen Drees ließ zwei Minuten nachspielen, sogar noch ein echtes Fußballmärchen.

Mit der letzten Aktion des Spiels bugsierte ein gewisser Nils Pichinot den Ball ins Ahlener Tor. Pichi-wer? Gekommen war der 19 Jahre junge Angreifer im Sommer, um die zweite Mannschaft in der Regionalliga zu unterstützen. Sein Saisonziel: "Bei den Profis regelmäßig mitzutrainieren wäre schon eine schöne Sache." Das durfte er bereits während der Vorbereitung. Nach den Verletzungen von Marius Ebbers (Bruch der Nasennebenhöhle) und Morike Sako (Reha) waren Trainer Holger Stanislawski im Angriff die Alternativen ausgegangen. Die Leistungen des Oberligastürmers vom Spielverein Curslack-Neuengamme waren ansprechend, er durfte wiederkommen und rutschte zum Saisonstart sogar in den Kader.

Von der Bank aus verfolgte er gemeinsam mit 22 294 Zuschauern einen Auftakt nach Maß seiner Mannschaft. St. Pauli, im 4-2-3-1-Schema agierend, sprühte nach dem enttäuschenden Pokalsieg in Villingen trotz der Ausfälle von Spielmacher Charles Takyi (Grippe) und Wirbelwind Max Kruse (Oberschenkelprobleme) vor Spielfreude, agierte zielstrebig, druckvoll und kam folgerichtig zu Chancen. Matthias Lehmanns Treffer zum 1:0 schmeichelte den Gästen noch, die kurz vor der Pause den Spielverlauf auf den Kopf stellten. Mathias Hain kam beim ersten Ahlener Eckball aus seinem Tor - aber nicht an den Ball. Dörings Kopfball zum 1:1 konnten auch die wütenden Proteste ("Toborg hat mir fast das Trikot ausgezogen") nicht verhindern. St. Paulis Drehbuch zum Auftakt, bis zu der Szene mit dem perfekten Rasen, sonnigem Wetter, stimmungsvoller Kulisse und passablem Offensivspiel detailliert eingehalten, nahm seine erste ungeplante Wendung. Der Auftakt drohte zu misslingen, da die Hamburger gegen biedere Westfalen in der zweiten Hälfte zu einfallslos agierten.

Stanislawski handelte und vollzog nach 62 Minuten einen taktischen Wechsel: Dennis Daube ging, der offensiv stärkere Timo Schultz kam - und mit Marius Ebbers ein weiterer Stürmer. Die gewünschten Folgen ließen dennoch auf sich warten, sodass der Trainer eine Viertelstunde später seinen letzten Joker zog: Pichinot.

Der wandelte nach seinem Last-Minute-Treffer wie benommen übers Feld, wurde geherzt, gedrückt, geküsst. "Ich habe davon geträumt, aber muss das erst einmal realisieren", gab der Jüngste im Kader zu Protokoll. Er rettete St. Pauli den seit neun Jahren (6:3 in Ahlen) wieder einmal siegreichen Zweitligaauftakt und sprang für Oldie Hain (36) in die Bresche.

St. Pauli: Hain - Rothenbach, Morena, Thorandt, Drobo-Ampem - Boll, Daube (62. Schultz) Bruns (77. Pichinot), Lehmann, Naki - Hennings (62. Ebbers).

Ahlen: Kirschstein - Busch, Omodiagbe, Döring, Felgenhauer - Lartey, Wiemann, Book (70. Mikolajczak), Moosmayer - Toborg (55. Reichwein), Kumbela (82. Bröker).

Tore: 1:0 Lehmann (31.), 1:1 Döring (43.), 2:1 Pichinot (90.+1). Schiedsrichter: Drees (Münster-Sarmsheim). Zuschauer: 22 294. Gelbe Karten: Morena - Döring, Book. Lartey, Moosmayer, Bröker, Wiemann.