DSF-Moderator Fabian Greve hatte sich den denkbar ungünstigsten Zeitpunkt für seinen Interview-Wunsch ausgesucht.

Hamburg - Der TV-Journalist hatte sich nach dem gestrigen Vormittagstraining mit St. Paulis Trainer Holger Stanislawski verabredet, um für die Sommerpausen-Sendung "Bundesliga-Hits" über die Tops und Flops der Saison zu fachsimpeln. Dabei merkte Greve bereits vor der lange geplanten Plauderstunde, dass Stanislawski am Morgen nach der blamablen 0:1-Niederlage bei Rot-Weiss Ahlen nicht zu Smalltalk aufgelegt war - viel zu sehr lagen ihm die eigenen Saisonflops im Magen, die den Coach auch 18 Stunden nach der Partie noch beschäftigten.

"Gegen Ahlen haben wir Dinge nicht beherzigt, die man in der D-Jugend lernt", schimpfte Stanislawski, nachdem er sich Teile des Ahlen-Spiels noch mal auf Video angeschaut hatte. "Die ganze Partie konnte ich einfach nicht ertragen, da musste ich vorher den Fernseher ausmachen." Was den frischgebackenen Fußballlehrer am meisten aus der Fassung brachte, war die Tatsache, dass seine Mannschaft nur eine Woche nach dem starken Auftritt gegen Tabellenführer Freiburg zum wiederholten Male in dieser Saison gegen eine Mannschaft aus dem unteren Tabellendrittel ihr wahres Potenzial nicht zeigte: "Meine Spieler sind nicht in der Lage, über einen gewissen Zeitraum am Maximum zu spielen. Das ist auch eine Qualitätsfrage."

Q u a l i t ä t - bewusst sprach Stanislawski immer wieder die seiner Meinung nach fehlende Klasse seiner Profis an, um aber gleichzeitig ihre Einstellung zu verteidigen: "Die Jungs sind alle feine Charaktere. Aber wenn man wiederholt nicht an seine Leistungsgrenze herankommt, dann ist das kein Einstellungsproblem, sondern eine Frage von mangelnder Qualität." Dabei betonte Stanislawski während der Saison immer wieder, dass ihm weder Ergebnisse noch Tabellenstand wichtig seien, sondern alleine die Weiterentwicklung seiner Mannschaft. Und diese gilt es nach den dürftigen Auftritten gegen vermeintlich schlechtere Mannschaften in der Rückrunde zu hinterfragen.

Horcht man bei Marcel Eger nach, zuckt der nur hilflos mit den Schultern. Keine Antwort ist manchmal eben auch eine Antwort. "Man kann uns den Willen nicht absprechen. Auch gegen Ahlen haben wir versucht, dagegenzuhalten", wehrt der Innenverteidiger ähnlich wie Stanislawski zumindest den Vorwurf der mangelnden Einstellung ab - einen Vorwurf, der bereits zum Ende der vergangenen Saison laut geworden ist, nachdem der Kiezklub im Gefühl der sicheren Rettung die letzten drei Spiele ohne Gegenwehr verloren hatte.

Ähnliches können sich die Hamburger in dieser Saison nicht mehr erlauben. Schließlich hat Trainer Stanislawski den Abstiegskampf höchstpersönlich eingeläutet. Und obwohl die praktischen Chancen auf den Abstieg gen Null tendieren, hat der Coach zumindest theoretisch recht: Sollte Osnabrück sämtliche Spiele gewinnen, St. Pauli dagegen drei der restlichen vier Partien verlieren, könnte der Kiezklub tatsächlich noch auf einen Relegationsplatz abrutschen. Rein rechnerisch wäre bei vier Niederlagen und vier Siegen Ingolstadts sogar Platz 17 möglich. Viel zu viel Konjunktiv - mit vier Punkten aus den letzten vier Spielen könnte der Klassenerhalt sogar mathematisch perfekt gemacht werden.

Doch selbst wenn dieses Ziel bereits am Wochenende gegen Mainz 05 nahezu erreicht werden kann, will Stanislawski in der nächsten Saison nicht so einfach zur Normalität übergehen. "Ich habe einige Änderungen im Kopf. Sicher ist, dass ich mich selbst, aber auch die Profis mehr hinterfragen werde. Besonders auf die Belastbarkeit der Spieler werden wir in der neuen Saison mehr Wert legen." So will der 39-Jährige seine Profis insgesamt sechs Wochen lang auf die kommende Spielzeit vorbereiten, dabei einen Schwerpunkt auf die Prävention von Verletzungen legen. "Es ist immer ein sehr steiniger und langer Weg, wenn man sich weiterentwickeln will", sagt Stanislawski, der den von ihm eingeschlagenen aber nicht verlassen will. Nun müssen seine Spieler nur noch mitkommen. (ks)