Vor dem letzten Saisonspiel gegen Mainz 05 am Sonnabend befindet sich die Mannschaft des Absteigers FC St. Pauli in desolatem Zustand.

Hamburg. Auf das Zeichen von André Trulsen hatten die 20 Fans gewartet. Schnellen Schrittes ging es für die langjährigen Trainingskiebitze auf den Platz, wo sich das Team bereits für ein gemeinsames Erinnerungsfoto aufgestellt hatte. Eine schöne Geste. Ob die Mannschaft nach dem peinlichen 1:8-Debakel gegen Bayern München am Sonnabend beim letzten Spiel in Mainz ihren Anhängern auch auf dem Fußballplatz Versöhnliches offerieren wird, muss dagegen stark bezweifelt werden.

Die drückende Schwüle, die gestern das 80-minütige Training erschwerte, passt zum Betriebsklima. Dieses droht sich nach hitzigen Tagen in einem Gewitter zu entladen. "Bei uns ist viel passiert. Und es ist schwer zu erklären, dass eine Mannschaft so auseinanderfällt. Man kann sich nur bei allen Beteiligten entschuldigen", richtet Kapitän Fabio Morena den Blick noch einmal zurück, "aber es sind viele Kleinigkeiten vorgefallen. Das alles hat dann in dem Spiel gegen Bayern seinen Ausdruck gefunden." Kleinigkeiten?

Morena untertreibt bewusst. Die Sorgfalt, mit der der Routinier, 31, seine Worte wählt, macht deutlich, wie sehr er sich bremst. Es liegt ihm fern, Namen zu nennen, Schuldige anzuklagen. Und doch verdeutlicht seine Kritik, wie es im Mai 2011 um die Gemeinschaft bestellt ist. Längst hatte das braun-weiße Massiv tiefe Risse erhalten, die Erfolgsgeschichte vom beispielhaften Zusammenhalt war zu einem Märchen verkommen. Angedachte Verstärkungen erwiesen sich als Brunnenvergifter. St. Pauli beraubte sich seiner großen Stärke selbst. Nun, im Angesicht des Abstiegs, zerfiel das Kollektiv in seine wertlosen Einzelteile.

Besserung ist kaum zu erwarten, zu gespannt ist das Verhältnis im sensiblen Mannschaftsgefüge. "Es gibt gewisse Regeln auf und neben dem Platz", sagt Morena, "und wenn ich die Dinge nicht umsetze, die von mir innerhalb einer Mannschaft gefordert werden, dann kommt so etwas wie am Sonnabend dabei heraus." Neben den Egotrips Einzelner torpediert die ungeklärte Vertragssituation einiger Profis den Wohlfühlfaktor. Zu lange mussten sich altgediente Spieler wie Florian Lechner, Ralph Gunesch, Timo Schultz, Marcel Eger oder auch Torhüter Mathias Hain, deren Arbeitspapiere bis zum 30. Juni befristet sind, mit Halbwahrheiten vermeintlicher Insider und Medienberichten über ihre berufliche Zukunft begnügen. Keine Kommunikation, keine Ahnung. Angesichts der kaum mehr zu überblickenden Problemfelder sieht sich Morena in seiner Rolle überlastet. "Das sind Sachen, die du als Einzelner nicht mehr steuern, nicht mehr greifen kannst. Auch nicht als Trainer."

Und so wird Holger Stanislawski in Mainz wohl nur eine Einheit auf den Platz bekommen, wenn er auf vermeintliche Leistungsträger verzichtet. Zwar sollen die ab Juli vertragslosen Spieler nach Abendblatt-Informationen noch vor dem Spiel erfahren, ob sie eine Zukunft am Millerntor haben, doch die Störungen bleiben. "Wir müssen schauen, dass sich so etwas wie gegen Bayern nicht wiederholt", sagt Morena. Die Frage, ob am Sonnabend Wiedergutmachung zu erwarten ist, lässt er unbeantwortet, presst die Lippen aufeinander und schaut mit ernstem Blick über das Trainingsgelände. Es sind dunkle Wolken aufgezogen.