Hamburg. HSV beweist Moral: “Gefühlter Sieg“, “überragend“, ein “Scheißegal“-Modus und Lob für einen mutigen Trainer Tim Walter.

Fußball-Wahnsinn in Heidenheim: Nach einer turbulenten Woche mit lauter Themen abseits des Fußballplatzes hat der HSV auch sportlich einen turbulenten Auftritt hingelegt. Auf eine schwache erste Halbzeit und einem 0:3-Rückstand beim 1. FC Heidenheim kämpften sich die Hamburger in beeindruckender Manier zurück und erreichten tatsächlich noch einen Punkt. 3:3 endete die Partie in der Voith-Arena – es war ein Zweitliga-Topspiel, das seinem Namen gerecht wurde und das allen Zuschauern wohl nachhaltig in Erinnerung bleiben wird.

Damit hält der weiterhin zweitplatzierte HSV (41 Punkte), der an diesem Abend zwei Gesichter zeigte, Verfolger Heidenheim (37) tabellarisch auf Distanz.

HSV-Comeback in Heidenheim: Glatzel schwärmt

"Es ist überragend, dass wir nicht aufgegeben haben und so zurückgekommen sind", sagte Torjäger Robert Glatzel, der eines der drei Hamburger Tore erzielte. "Der Trainer lebt offensiven Vollgas-Fußball und den Glaube an ein Comeback nach 0:3-Rückstand vor. Wir haben uns in der Halbzeit gesagt: Jetzt ist doch alles scheißegal, wir spielen einfach mutig nach vorne." Das Unentschieden in Heidenheim sei ein "gefühlter Sieg", der in der Endabrechnung noch "sehr, sehr wichtig" sein könne.

Torhüter Daniel Heuer Fernandes, der seine Mannschaft beim Stand von 0:3 mit einigen Paraden im Spiel hielt, ergänzte: "Wenn jemand so zurückkommen kann, dann sind wir das."

"Das ist der neue HSV, wir hören nie auf und glauben bis zum Ende an uns", sagte Trainer Tim Walter, der sich angesichts einer "schlechten ersten Halbzeit" aber nicht die Formulierung des gefühlten Sieges in den Mund legen wollte. Auch Glatzel wisse um die "bodenlose Halbzeit", die "richtig schlecht" gewesen sei.

HSV beweist in Heidenheim Moral

Auch wenn Walter beim spektakulären Ausgleichstor durch Bakery Jatta, der den Ball mit seinem schwächeren linken Fuß in den rechten Torwinkel jagte, überschwänglich jubelte, will er mit seiner Mannschaft noch einmal über die ersten 45 Minuten reden, als die Gastgeber in allen Belangen besser waren und sogar mehr als „nur“ drei Tore hätten schießen können. "Wir haben 30 Minuten gut gespielt, die ersten 60 Minuten haben wir nicht funktioniert", sagte Walter.

Lesen Sie auch die HSV-Einzelkritik:

Im zweiten Durchgang bewies der HSV allerdings Moral. Walters Umstellungen auf ein phasenweise risikofreudiges 3-1-4-2 fruchteten. Vor allem der eingewechselte Noah Katterbach machte ein starkes Spiel, der Winterneuzugang war an fast allen Offensivaktionen beteiligt.

Und so kämpfte sich der HSV mit zwei Toren des eingewechselten Andras Nemeth und eben Glatzel zurück, drückte auf den Ausgleich und belohnte sich schließlich für ein starkes Comeback. "70 Minuten ging gar nichts, es ist unfassbar, dass es hier am Ende 3:3 steht", gestand Kapitän Sebastian Schonlau, der ebenfalls Walter lobte. "Der Trainer lebt den Mut vor, den er von uns sehen will."

Tabellenspitze der 2. Bundesliga
1. Heidenheim 34 / 67:36 / 67
2. Darmstadt 98 34 / 50:33 / 67
3. HSV 34 / 70:45 / 66
4. Düsseldorf 34 / 60:43 / 58
5. FC St. Pauli 34 / 55:39 / 58

HSV rauft sich zur Halbzeit zusammen

Dass dieses Zweitliga-Topspiel ein besonderes werden könnte, deutete sich bereits in der Anfangsphase an. Die Mannschaft von Trainer Walter, der wie erwartet Unfallfahrer Jean-Luc Dompé und Neuzugang Javi Montero für den verletzten Jonas David (Hüfte) von Beginn an brachte, fing zunächst gar nicht so schlecht an. Als Glatzel gleich zu Beginn die Standhaftigkeit des Pfostens prüfte (8.), durften die mitgereisten Fans im Gästeblock noch auf einen Auswärtssieg hoffen.

Doch im Anschluss an diese Szene wurde Heidenheim immer stärker, übernahm das Kommando und schoss durch Jan-Niklas Beste (28.), Jan Schöppner (30.) und Tim Kleindienst (41.) drei Tore binnen 13 Minuten, die aus Hamburger Sicht kaum gruseliger hätten verlaufen können. Es hätten sogar noch mehr Tore für die Gastgeber fallen können, doch die Latte und Heuer Fernandes verhinderten Schlimmeres.

Mit 0:3 ging es in die Pause, wo der HSV einen neuen Geist entfacht haben muss. "Wir haben uns gesagt, dass wir einfach weiterspielen und nicht die Köpfe hingen lassen sollten, bevor wir das 0:4 und das 0:5 kassieren. Der Trainer lebt diesen Mut vor", sagte Schonlau.

HSV "klaut" einen Punkt in Heidenheim

Zur zweiten Halbzeit brachte Walter Sonny Kittel und Laszlo Benes für die schwachen Dompé und Montero, der vor allem beim 0:3 alt aussah. Ein Hamburger Sturmlauf sollte aber zunächst ausbleiben. Stattdessen drückte Heidenheim auf das vierte Tor, verpasste aber die Vorentscheidung – unter anderem durch Pick (63.). "Der HSV muss hier mit 5:0 eine Rutsche kriegen", sagte Heidenheim-Stürmer Tim Kleindienst in seiner Art.

Doch ins Rutschen gerieten vor allem die Gastgeber mit zunehmender Spieldauer. Dem HSV gelang es tatsächlich, noch einmal in dieses verrückte Spiel zurückzufinden und einen Punkt zu entführen. "Dass der HSV uns hier einen Punkt klaut, ist Wahnsinn", urteilte Heidenheim-Trainer Frank Schmidt. "Es war ein Fußballfest heute."

Die Statistik:

  • Heidenheim: Kevin Müller – Busch (74. Theuerkauf), Mainka, Siersleben, Föhrenbach – Maloney, Schöppner (90.+5 Schimmer) – Pick (63. Sessa), Thomalla (74. Geipl), Beste (74. Kühlwetter) – Kleindienst. – Trainer: Schmidt
  • HSV: Heuer Fernandes – Heyer, Montero (46. Kittel), Schonlau, Muheim – Meffert (66. Nemeth) - Reis, Königsdörffer (65. Katterbach) – Jatta, Glatzel, Dompe (46. Benes). – Trainer: Walter
  • Schiedsrichter: Deniz Aytekin (Oberasbach)
  • Tore: 1:0 Beste (27.), 2:0 Schöppner (30.), 3:0 Kleindienst (41.), 3:1 Nemeth (72.), 3:2 Glatzel (79.), 3:3 Jatta (88.)
  • Zuschauer: 15.000 (ausverkauft)
  • Gelbe Karten: Pick, Siersleben (4), Kevin Müller - Benes (3), Muheim (3)
  • Torschüsse: 24:14
  • Ecken: 4:5
  • Ballbesitz: 43:57 Prozent