Hamburg. Die ganz große Euphorie suchte man beim HSV nach dem 4:0-Sieg gegen Erzgebirge Aue am Mittwochmorgen vergeblich. Die Stammspieler haben eine regenerative Einheit absolviert, der Rest kickte auf dem Trainingsgelände am Volksparkstadion beim Spielersatztraining. Alles wie immer. Allerdings war die Laune etwas besser, schließlich konnte man die fünf Spiele andauernde Sieglosserie beenden.
"Die Stimmung ist definitiv gut. Gerade wenn man ein Spiel so überzeugend gewinnt. Es tat unfassbar gut, dass wir mal wieder ein Spiel gewinnen konnten", sagte Defensiv-Allrounder Moritz Heyer (27) nüchtern und sachlich.
Öffentliche Kritik nervt den HSV
In den verbleibenden sechs Spielen, das weiß auch Leistungsträger Heyer, geht es für den HSV nicht nur darum, die bisher eher durchschnittliche Zweitliga-Saison so ordentlich wie nur möglich zu beenden, sondern auch gegen die zuletzt berechtigt negative Stimmung rund um den Verein anzukämpfen.
Die schwachen Auftritte haben logischerweise Kritik nach sich gezogen, mit der offenkundig nicht jeder umgehen konnte. Bereits vor dem Aue-Spiel hatte HSV-Trainer Tim Walter (46) in seiner für ihn typisch süffisanten Art eine klare Botschaft an die Kritiker. "Die Frustration kommt von anderen, nicht von uns", erklärte Walter bei Sky.
- Bakery Jatta: Nächste Pleite für die Staatsanwaltschaft
- April, April! HSV besiegt Fluch und kann wieder hoffen
- Ein fliegender Holländer und ein ganz leiser Jubler
Und auch in der Pressekonferenz nach der Partie merkte man Walter an, dass er auf das branchenübliche Frage-Antwort-Spiel so mittelmäßig große Lust hatte. Auf die Frage, ob diese atmosphärischen Störungen rund um den HSV womöglich einen "Jetzt zeigen wir es allen"-Effekt innerhalb der Mannschaft auslösen könne, antwortete Walter: "Uns interessiert nicht, was gesagt oder geschrieben wird. Wir bleiben bei uns".
HSV: Kittel "jubelt" Richtung Kritiker
Nicht ganz so wortgewaltig, aber durchaus mit Gesten, wendeten sich die Hamburger Profis an ihre Zweifler. Sowohl der Jubel von Robert Glatzel (28), der mit einer "Jetzt macht mal halblang"-Geste seinen Treffer zu feiern schien, als auch der zuletzt unsichtbare Führungsspieler Sonny Kittel (29), der nach seinem Freistoßtreffer seinen Zeigefinger demonstrativ auf die Lippen legte, machten deutlich, dass der Druck, der in Hamburg nun einmal traditionell auf dem HSV lastet, etwas mit den Spielern macht.
Vor allem Trainer Walter wirkte zuletzt zunehmend genervt und bissig ob der aufkommenden Kritik. "Nach Siegen ist die Laune des Trainers natürlich besser. Aber das ist bei uns allen so. Wir haben die Spiele sachlich analysiert. So auch die Partie gestern. Was von außen kommt, können wir eh nicht beeinflussen", sagte Heyer.
Und der Druck wird nach dem Sieg gegen Aue ganz sicher nicht kleiner. Auch wenn die Walter-Elf eine deutliche Reaktion auf die zuletzt unbefriedigenden Auftritte zeigte, gehört zur ganzen Wahrheit aber auch, dass der personell dezimierte Quasi-Absteiger aus Aue der richtige Gegner zur richtigen Zeit war.
Erzgebirge-Coach Pavel Dotchev (56) hatte bereits vor der Partie offen zugegeben, dass das Spiel am Sonnabend gegen Hannover 96 viel wichtiger sei, und er deshalb die Belastung einiger Spieler steuern wolle. Und so traten die Ostdeutschen über die 90 Minuten auch auf. Was der Pflichtsieg gegen Aue für den HSV und den Aufstiegskampf bedeutet, wird man spätestens am Sonntag nach dem Spiel bei Holstein Kiel wissen.
Aufstieg? HSV hat die wenigsten Siege
Zwar haben die Hamburger nach dem Sieg im Nachholspiel "nur" noch sechs Punkte Rückstand auf Platz drei, der aktuell vom Stadtrivalen FC St. Pauli belegt wird, mit lediglich elf Siegen aus 28 Spielen hat der HSV aber auch die mit Abstand wenigsten Siege in der Top Sieben eingefahren.
Aus eigener Kraft wird die Rückkehr in die Bundesliga daher nicht mehr gelingen. Die einzige Hoffnung: Die Topclubs nehmen sich im Endspurt auch gegenseitig noch Punkte weg. "Wir tun gut daran, von Spiel zu Spiel zu denken. Was andere Mannschaften machen, können wir eh nicht beinflussen. Klar, viele spielen noch direkt gegeneinander, aber unsere Devise ist, dass wir bei uns bleiben und unsere Spiele gewinnen wollen", erklärte Heyer.
HSV muss bei Angstgegner Kiel bestehen
Dienstreisen nach Kiel waren in der Vergangenheit wenig erfolgreich. Seit dem Bundesliga-Abstieg gab es für die Hamburger keinen Sieg an der Förde. "Gegen Kiel war es wirklich nie einfach. Da waren wir nicht so erfolgreich, wie wir uns das vorgestellt haben. Es kommt auf uns an, dass wir unser Spiel durchdrücken können. In der Zweiten Liga kommt es auf Nuancen an", erklärte Heyer.
Für einen endgültigen Stimmungsumschwung braucht der HSV in den verbleibenden sechs Spielen vor allem zwei Dinge: Eine wieder positive Entwicklung und im Idealfall gute Ergebnisse. Die Partie gegen Aue war da definitiv ein kleiner Anfang, vielleicht doch noch im Saisonendspurt so etwas wie Euphorie zu entfachen.
Mehr Artikel aus dieser Rubrik gibt's hier: HSV