Der frühere „Bis auf Weiteres“-Trainer Joe Zinnbauer hat Erfolg, ist aber mit dem Fußball in seiner ersten HSV-Halbserie unzufrieden. Ein Zwischenfazit

Hamburg. Joe Zinnbauer stutzt. „Was ich gegessen habe?“, wiederholt der HSV-Trainer die Frage. „Es gab Fisch. Fisch und Reis. Aber ich habe, ehrlich gesagt, nur zwischen Tür und Angel gegessen. Keine Zeit“, antwortet Zinnbauer, der schmunzeln muss, als er den Grund für die ungewöhnliche Einstiegsfrage hört. „Ja, das stimmt wirklich. Seit ich HSV-Trainer bin, habe ich rund fünf Kilo abgenommen. Es muss sich aber niemand Sorgen machen.“

Macht sich auch niemand – ganz im Gegenteil. Seit diesem Wochenende ist der Schwandorfer Josef „Joe“ Zinnbauer genau seit einer Halbserie HSV-Trainer. Und mit 22 Punkten aus 17 Spielen holte der gelernte Zerspanungsmechaniker allein beinahe genauso viele Zähler wie seine beiden Vorgänger Mirko Slomka (12 Punkte aus 16 Partien) und Bert van Marwijk (12 Punkte aus 15 Spielen) zusammen. „Als Trainer muss man sich in der Bundesliga immer wieder aufs Neue beweisen. Das hat man ja auch bei Jos Luhukay in Berlin gesehen“, sagt Zinnbauer. „Luhukay hat gute Arbeit geleistet, ist aufgestiegen, hat die Klasse gehalten. Aber irgendwann ist die Halbwertzeit eines Trainers abgelaufen. So ist das Fußballgesetz.“

Zinnbauer steht im Besprechungsraum des provisorischen HSV-Trainingszentrums und wirkt wie unter Strom. Den ganzen Vormittag über saß er mit Analyst Sören Meier im Schneideraum, hat den glücklichen Heimsieg gegen Hannover Sequenz für Sequenz seziert. Dann das Zwischen-Tür-und-Angel-Mittagessen, der Termin mit dem Abendblatt und direkt danach das Nachmittagstraining. „Wirklich ausruhen kann und will ich mich nicht“, sagt Zinnbauer. „Es gibt keinen Stillstand. Ich muss immer in Bewegung sein.“

Oliver Kreuzer kennt das. Der frühere HSV-Sportchef war es, der Zinnbauer vor einem halben Jahr als U23-Trainer aus Karlsruhe zum HSV gelotst hat. „Joe ist ein Macher. Er kann gar nicht anders. Er ist vom Erfolg besessen“, sagt Kreuzer. „Schon in unserem ersten Gespräch sagte mir Joe, dass sein persönliches Ziel die Bundesliga ist.“

Dass es aber wirklich so schnell klappt, damit hat nicht mal Zinnbauer selbst gerechnet. „Vielleicht wäre es im Nachhinein besser gewesen, wenn ich als U23-Trainer ein wenig mehr Zeit gehabt hätte. Dann hätte ich mich langsam an alles gewöhnen können, hätte den Verein und die Stadt erst mal kennengelernt. Dazu hatte ich keine Zeit“, sagt der Fußballlehrer, der vor fünf Monaten am Tag nach der Entlassung von Slomka per SMS von Clubchef Dietmar Beiersdorfer in die Geschäftsstelle beordert wurde. Um 14.15 Uhr saß Zinnbauer in Beiersdorfers Büro, um 14.30 Uhr war er neuer HSV-Cheftrainer. „Letztendlich ist es wie bei einer Hochzeit: Entweder es passt oder es passt nicht. Und beim HSV, da passt es.“

Ob er sich verändert habe? Zinnbauer zuckt mit den Schultern. Sportdirektor Peter Knäbel, der im Pöseldorfer Restaurant Butcher’s am Abend nach Zinnbauers Profidebüt gegen Bayern München (0:0) erstmals auf den einstigen Spielertrainer des Henger SV traf, hat da schon eine bessere Antwort. „Joe hat sich entwickelt, sich dabei aber nicht verändert“, sagt Knäbel, der die eigene Theorie auch umgehend belegt: „Joe musste erst lernen, Verantwortung abzugeben und zu delegieren. Am Anfang hat er fast alles allein gemacht.“

Der Chef hat natürlich recht. „Das stimmt schon“, sagt Zinnbauer. „Ich musste tatsächlich erst lernen, Verantwortung abzugeben. In der Vergangenheit hatte ich ja nie ein wirkliches Funktionsteam.“ So schleppte er einst beim VfB Oldenburg noch Mülltonnen zum Mannschaftsbus, um daraus nach dem Spiel provisorische Eistonnen zu basteln. Im Trainingslager des HSV in Dubai standen ihm plötzlich zwei der modernsten Kältekammern der Welt zur Verfügung. „Da wusste ich, dass ich in der Bundesliga angekommen bin.“

Wirkliche Anpassungsprobleme hatte er aber nie. „Joe hat ein besonderes Einfühlungsvermögen. Er ist konsequent, aber gleichzeitig menschlich“, sagt Kreuzer. So schickte Zinnbauer gleich in seiner ersten Trainingseinheit Valon Behrami nach einem lustlosen Auftritt frühzeitig vom Platz. „Ich habe ihn aber direkt nach dem Training zu mir gerufen. Dabei habe ich Valon versichert, wie wichtig er für mich ist, dass ich aber mehr von ihm erwarte.“ Behramis Reaktion: Vier Tage später war der Mittelfeldleader beim 0:0-Achtungserfolg gegen Bayern bester Mann.

Trotz des Überraschungserfolgs zu Beginn blieb Zinnbauer zunächst nur „Bis auf Weiteres“-Profitrainer, wie es HSV-Chef Beiersdorfer formulierte. „Klar musste ich zunächst mal Überzeugungsarbeit leisten. Ich denke, dass mich Didi und Peter am Anfang auch gar nicht so wirklich gekannt haben“, sagt Zinnbauer heute – und hat damit offenbar Recht. „Die Aussage von Didi war kein Versehen, sie war im Sinne des Vereins. Auch ich musste schauen, ob man aus dem ‚bis auf weiteres’ schlicht und einfach beim ‚weiter’ bleiben kann“, sagt Knäbel. „Heute weiß ich, dass dies der Fall ist. Für Joe und den HSV geht es weiter – so viel ist jetzt sicher.“

Dabei ist natürlich nicht alles Gold, was da glänzt. Den Vorwurf, dass sich der HSV spielerisch unter seiner Regie kaum bis gar nicht entwickelt habe, lässt sich Zinnbauer gefallen – solange er das Dilemma auch begründen darf. „Langfristig ist es mein Ziel, dass meine Mannschaft ein Spiel dominiert und mehr Ballbesitz hat. Kurzfristig mussten wir den Plan aber ändern und auf schnelles Umschaltspiel setzen. Wir sind im Abstiegskampf und haben nicht das nötige Selbstvertrauen, dem Gegner unser Spiel mit ganz viel Ballbesitz aufzudrücken“, erklärt Zinnbauer, der nach stundenlanger Analyse der Vorrunde im Trainingslager in Dubai zu dem Schluss kam, dass „eines unserer größten Probleme in der Hinrunde war, dass wir den Ball zu oft im eigenen Ballbesitz abgegeben haben.“ In diesem Fall musste er also gegen seine eigene Überzeugung entscheiden: Wir spielen momentan einen Fußball, den ich selbst nicht mag, der aber für den Moment notwendig ist. Langfristig will und werde ich aber wieder einen attraktiveren Fußball spielen lassen.“

45 Minuten, eine Halbzeit, sind rum. Dreimal hat das Handy geklingelt, beim vierten Mal geht er schließlich ran. „Ich bin sofort da“, sagt Zinnbauer. Bloß kein Stillstand.