Der einstige HSV-Star Felix Magath sagt, dass er den Job in England gar nicht erst hätte antreten dürfen. Zurück auf die Insel zieht es ihn trotzdem.

Hamburg. Zu Beginn des Gesprächs bestellt er sich einen Pfefferminztee, natürlich. Schließlich gilt Felix Magath, HSV-Legende und Erfolgstrainer, als passionierter Teetrinker. Eigens für den Neujahrsempfang des Abendblatts im Atlantic war Magath aus seiner Wahlheimat München nach Hamburg gereist. Nach dem Empfang sprach der 61-Jährige mit dem Abendblatt über die Vorherrschaft der Bayern, die Probleme des HSV und seine Sehnsucht nach Fußball auf der Insel.

Hamburger Abendblatt: Herr Magath, freuen Sie sich angesichts der extremen Dominanz der Bayern überhaupt noch auf die Bundesliga-Rückrunde?
Felix Magath: Wenn man so lange wie ich in diesem Geschäft tätig ist, überrascht einen nur wenig. Dass Bayern so klar die Liga beherrschen wird, war schon vor der Saison erkennbar. Überrascht haben mich nur die großen Probleme der Dortmunder. Nach den Verlusten von Robert Lewandowski und Mario Götze an die Bayern hatte ich zwar erwartet, dass sie den Bayern nicht mehr Paroli bieten können. Aber mit diesem tiefen Sturz konnte niemand rechnen. Auch nicht mit dem schlechten Abschneiden des HSV und von Stuttgart. Vor der vergangenen Saison erzählte mir noch ein Aufsichtsratsmitglied des HSV, es gehe bald wieder Richtung Champions League.

Immerhin hat sich die Struktur des HSV mit der Ausgliederung der Profiabteilung in eine AG völlig verändert.
Magath: Aber der HSV hat es fast geschafft, sich mit der Debatte um eine neue Struktur in die Zweitklassigkeit zu zerstreiten. Damals war die sportliche Situation schon dramatisch. Hätte diese Situation im Vordergrund der Diskussion vor einem Jahr gestanden, wäre die Rückrunde sicherlich besser gelaufen. Stattdessen ging es nur um die Struktur, von der sportlichen Krise wurde abgelenkt. Was zeigt, welchen Stellenwert der Sport beim HSV genießt. Mir hat jemand gerade beim Neujahrsempfang erzählt, dass der Klassenerhalt nicht ein Wunder war, sondern zwei.

Was muss der Verein ändern, um wieder in die Erfolgsspur zu kommen?
Magath: Beim HSV gab es 14 Trainer in den vergangenen zehn Jahren. Zuletzt musste Mirko Slomka gehen, der dann auch noch mit Dreck beworfen wurde. In jeder Krise wird meistens der Trainer geopfert. Das müsste sich ändern.

Investor Klaus-Michael Kühne will nun doch keine Anteile an der AG kaufen. Hat Sie das überrascht?
Magath: In den Gesprächen, die ich mit Herrn Kühne vor einem guten Jahr geführt habe, hatte ich das Gefühl, dass er für den HSV alles tun will. Er hat sich dann für HSVPlus engagiert, so dass eine Zusammenarbeit für mich kein Thema mehr war. Warum er sich jetzt gegen den Kauf von Anteilen entschieden hat, kann ich nicht beurteilen.

Große Hoffnungen hatte der HSV auch in seine Neuverpflichtungen gesetzt. Sie haben Lewis Holtby in Fulham trainiert. Sind Sie enttäuscht von seinen Leistungen in Hamburg?
Magath: Enttäuscht bin ich eigentlich nicht. Bei uns in Fulham war die Situation ja ähnlich. Lewis wechselte zu Fulham, weil er unbedingt durch Einsätze noch auf den deutschen WM-Zug aufspringen wollte. Aus meiner Sicht hat er die Aufgabe, Verantwortung für die Mannschaft zu übernehmen, in Fulham nicht erfüllen können. Dafür konnte er aber gar nicht so viel. Es gab andere erfahrene Spieler in Fulham, die dies gar nicht zulassen wollten.

Ist das in Hamburg ähnlich?
Magath: Beim HSV spielt Rafael van der Vaart, und Rafael van der Vaart wird sich kaum von einem Lewis Holtby die Verantwortung streitig machen lassen. Beides sind aber Spielmacher, die allerdings nur schwer auf dem Platz zu vereinen sind. Das ist eine echte Herkulesaufgabe für einen Trainer.

Langfristig soll Holtby van der Vaart beim HSV ersetzen. Kann er das?
Magath: Das weiß ich nicht, aber es ist zumindest mal eine Idee. Van der Vaart und Holtby zusammen finde ich anspruchsvoll. Aber ich kann mir schon vorstellen, dass Lewis aufblüht, wenn er die alleinige Verantwortung übernehmen soll.

Also kann er doch Verantwortung übernehmen?
Magath: Natürlich kann er das. Er hat das ja auch bei Schalke bewiesen. Er kann es aber nicht in jeder Situation und bei jedem Verein. Manchmal schätzen die Spieler eben nicht, was sie an ihrem aktuellen Arbeitgeber haben. Lewis wollte damals ja unbedingt nach England, aber dass dieser Wechsel seiner Karriere nicht gerade gut getan hat, das weiß man heute. Vielleicht hätte er seine Rolle auf Schalke ein bisschen mehr wertschätzen sollen. Aber das fällt manchen Spielern zunehmend schwer. Ich würde mich jedenfalls freuen, wenn er beim HSV den Dreh schafft. Herausragende Fähigkeiten hat er.

Heiko Westermanns Vertrag beim HSV läuft aus. Sie haben ihn einst für rund acht Millionen Euro von Schalke zum HSV verkauft und sollen den Deal damals „den besten Transfer aller Zeiten“ genannt haben.
Magath: Das ist wieder einmal ein Gerücht, das nicht stimmt. Heiko war deutscher Nationalspieler, sein Transfer hatte vor allem wirtschaftliche Gründe und diente außerdem der Verjüngung der Mannschaft. Erst hatte Schalke Bordon nach Dubai abgegeben, dann eben Westermann zum HSV. Wir hatten noch Höwedes, Matip, Papadopoulos und Metzelder als Verteidiger. Aus diesen Gründen habe ich mich dann von unseren beiden teuersten Innenverteidigern getrennt, was aber eben nicht jeder auf Schalke gut fand.

Westermanns Verkauf hatte also nur finanzielle Gründe?
Magath: Hauptsächlich. Ich weiß ja, dass Heiko in Hamburg immer viel und gerne kritisiert wird. Aber ich sage Ihnen, dass er zu Unrecht kritisiert wird. Er hat einen sehr guten Charakter, eine tolle Mentalität. Und fußballerisch muss man die Erwartungen eben anpassen.

Wie meinen Sie das?
Magath: Ich sehe Heiko eher im Mittelfeld als in der Innenverteidigung. Ich weiß, dass er das spielen kann. Er hat das nur schon ziemlich lange nicht mehr gespielt.

Westermann gilt aber nicht gerade als ein begnadeter Stratege.
Magath: Das muss er auch gar nicht sein. In meiner Wolfsburger Meistermannschaft hatte ich auch Josué im zentral-defensiven Mittelfeld. Der ist zwar Brasilianer, ist aber trotzdem kein Edeltechniker. Aber wie Josué könnten auch Westermanns Stärken vor allem im Mittelfeld zum Tragen kommen. Er ist unglaublich zweikampfstark und durch seine Kopfballstärke auch sehr torgefährlich. Man muss die Spieler ihren Fähigkeiten entsprechend einsetzen.

Neben dem HSV stehen auch andere Traditionsvereine wie der VfB Stuttgart oder Werder Bremen unten. Nur ein Zufall?
Magath: Nein, gerade in Traditionsvereinen wird oft viel zu viel Politik gemacht. Jeder will mitreden, jeder will ein Pöstchen, aber wenn es nicht läuft, ist es nur der Trainer, der gehen muss, alle anderen sind fein raus. Schauen Sie sich den FC Augsburg an. Da blieb der Trainer, stattdessen musste ausnahmsweise der Manager gehen. Dass dieser Weg nicht der schlechteste war, zeigt der sechste Tabellenplatz.

Die kleinen Vereine sind ohnehin im Kommen. Nach Paderborn im vergangenen Jahr steht jetzt der FC Ingolstadt vor dem Sprung in die Bundesliga. Mindert dies die Attraktivität der Bundesliga?
Magath: Stellen Sie sich nur mal vor, Fürth hätte sich in der Relegation durchgesetzt, der HSV wäre abgestiegen. Dann hätten wir jetzt schon Paderborn, Fürth, Freiburg und Augsburg in der Bundesliga. Dann nächste Saison noch Ingolstadt, eventuell Darmstadt. Mich wundert, dass diese Entwicklung nicht thematisiert wird. Stattdessen reden wir nur vom Bundesligaboom.

Wie sehen Sie die Situation im englischen Fußball im Vergleich?
Magath: Da muss man differenzieren. In meiner Fulham-Zeit habe ich mal über die englische Nationalmannschaft gesprochen, was dann völlig falsch wiedergegeben wurde. Aber Fakt ist doch, dass England zuletzt 1966 einen Titel gewonnen und seitdem nur ganz wenig erreicht hat. Deutschland hat dagegen bei den letzten vier Weltmeisterschaften zumindest das Halbfinale erreicht. Da sagt mir doch schon der Menschenverstand, dass es sich für die Engländer mal lohnen könnte zu schauen, ob die Deutschen irgendetwas besser machen.

Und im Vereinsfußball?
Magath: Da haben die Engländer durch die TV-Verträge noch viel mehr Geld zur Verfügung als die Vereine in der Bundesliga. Und die Clubs werden häufig von Investoren geführt, die Tickets sind viel teurer. Außerdem halten englische Clubs wie etwa Fulham ihre Fans auf Distanz. Niemand darf das Trainingsgelände betreten, so dass auch niemand beim Training zuschauen kann.

Erleichtert dies die Arbeit ?
Magath: Würden Sie sich in der Redaktion beim Schreiben eines Artikels gern von Lesern über die Schulter schauen lassen? Natürlich erschwert es die Trainingsarbeit, wenn ständig die Fans zuschauen können. Andererseits habe ich bei Fulham immer dafür geworben, dass der Kontakt zwischen Spielern und Fans gestärkt wird. Zum Beispiel habe ich wöchentlich einen Brief auf der Vereinshomepage an die Fans geschrieben. Aber es darf nie so weit kommen, dass Fans die Arbeit der Clubs beeinflussen.

Herr Magath, am Montag wird der Weltfußballer des Jahres gekürt. Manuel Neuer ist ein Kandidat, aber als Favoriten gelten Messi und Ronaldo.
Magath: Ich habe schon nicht verstanden, wie Messi zum besten Spieler der WM gekürt werden konnte. Und nicht Neuer, dem wir den Titel zu verdanken haben. Ich verstehe nicht, wie ein Verband wie die Fifa jeden Hype um Messi oder Ronaldo mitmacht.

Sie wären für Neuer als Weltfußballer?
Magath: Selbstverständlich. Es darf doch nicht sein, dass nur zählt, ob jemand zum richtigen Zeitpunkt den Fuß richtig hinhält, um ein Tor zu erzielen. Neuer hält nicht nur hervorragend, sondern erfüllt mit seiner Spielweise zusätzlich noch Verteidigeraufgaben.

Herr Magath, was sind Ihre Pläne? Angeblich haben Sie sich ein Prozent der Anteile der Glasgow Rangers gekauft.
Magath: Ich kaufe seit mehr als 30 Jahren Aktien und bin deshalb immer an irgendwelchen Unternehmen beteiligt. Ich wollte auch schon mal Aktien von Borussia Dortmund kaufen, das wurde mir damals als Bundesliga-Trainer aber untersagt, weil ich ja absichtlich gegen Dortmund verlieren könnte, um den Kurs zu steigern.

Es wird spekuliert, dass Sie Technischer Direktor in Glasgow werden könnten.
Magath: Ich war in der vergangenen Woche in Glasgow, das stimmt. Welche Schlüsse Sie daraus ziehen wollen, bleibt Ihnen überlassen.

Aber Sie möchten wieder auf die Insel?
Magath: Ich kann ja schlecht sagen, dass ich bei Fulham eine erfolgreiche Zeit hatte. Aber ich habe mich in London unheimlich wohl gefühlt. Dort würde ich gern wieder arbeiten, weil der Fußball interessanter ist. In England ist die individuelle Klasse größer, die Schiedsrichter unterbrechen weniger. Hier wird fast jeder Körperkontakt abgepfiffen. Mit dem Ergebnis, dass die Mannschaft, die das Foul begangen hat, profitiert. Sie kann die Räume wieder besetzen, das Spielfeld eng machen, zumal der Ball ja wieder genau da liegen muss, wo das Foul passiert ist. Das schnelle Ausführen ist so praktisch verboten. Neben Toren ist es auch der Zweikampf, der für mich ein Fußballspiel attraktiv macht. Und da bietet die Premier League mehr.

Würden Sie denn notfalls auch zu einem ambitionierten englischen Zweitligisten gehen?
Magath: Selbstverständlich. Ich habe fünfzehn Jahre als Trainer in der Ersten Liga oder der Champions League gewirkt, aber einen Zweitligisten in die Premier League zu bringen, würde mich auch reizen.

War Fulham dennoch ein Fehler?
Magath: Ja, ich hätte dort gar nicht antreten dürfen. Vor einem Jahr um diese Zeit ging es mir genauso gut wie jetzt. Ich war gesund, ich hatte Spaß mit meiner Familie. Fulham dagegen hatte ein Problem, zwei Trainer verschlissen, letzter Tabellenplatz. Fünf Monate später war auf einmal ich das Problem, nicht Fulham. So schnell kann die Welt sich drehen.

Was war denn wirklich das Problem?
Magath: Fulham hat mich nur geholt, weil sie hofften, mit mir den Abstieg zu verhindern. Verändern aber wollte sich der Verein nicht, obwohl er schon jahrelang Probleme hatte. Mir ging es genau wie Mirko Slomka beim HSV, der auch im Februar kam und mit den personellen Fehlentscheidungen der Vorgänger leben musste. Deswegen wollte ich den Job ja auch erst nicht machen, aber dann hat mich England zu sehr gereizt. Das war ein Fehler.