Sportlich und finanziell ist der HSV Monate nach dem Umbruch weit unterhalb der Erträglichkeitsgrenze angekommen. Eine Zustandsbeschreibung

Hamburg. Lange schlafen konnte Peter Knäbel nach den Ereignissen des Vorabends nicht. Um kurz vor sechs Uhr gab der Sportdirektor des HSV schließlich auf, machte sich Frühstück und setzte sich vor den Fernseher. Doch das, was Knäbel am Morgen nach dem erschütternden 0:1 seiner Mannschaft gegen das bisherige Schlusslicht Stuttgart zu sehen bekam, ließ den Manager nicht ruhiger werden. „Ich habe mir unser Spiel noch mal auf DVD angeschaut“, sagte Knäbel, „ich musste das alles einfach noch mal durchleiden.“

Das alles war ein 93 Minuten langer Anschauungsunterricht, der schonungslos offenlegte, wie grausam es ein halbes Jahr nach dem glücklichen Klassenerhalt um den HSV noch immer bestellt ist. „Das Spiel gegen Stuttgart war schlecht, es war enttäuschend“, gab Knäbel nach dem zweifachen Vergnügen ohne Umschweife zu, kündigte aber eine abschließende Analyse der Halbserie erst nach dem Hinrundenfinale beim FC Schalke 04 (Sa., 15.30 Uhr) an. Klar ist, dass sich Knäbel bei seiner Tiefenanalyse nicht von den Eindrücken eines Spiels leiten lassen will. Klar ist aber auch, dass die Gesamtsituation unabhängig von der Partie gegen Schalke alarmierend ist: „Die Situation ist ähnlich wie im vergangenen Jahr.“

Tatsächlich hat der HSV im Winter 2014 nach 16 Spielen 16 Punkte auf dem Konto, genauso viele Zähler wie im Winter 2013. Damals waren die Hamburger 13., hatten 31 Tore erzielt. Ein Jahr später rangiert die im Sommer eingetragene HSV AG auf dem 14. Platz, hat aber nur neun Treffer erzielt. „Es ist eine Qualitätsfrage – und die Qualität ist nicht vorhanden“, zieht Thomas von Heesen, im Aufsichtsrat für das Sportliche zuständig, im Abendblatt-Blog Matz ab ein vernichtendes Fazit. „Man muss personelle Qualität dazuholen."

Sportdirektor Knäbel stimmte zu und widersprach zugleich. „Wir haben Spieler mit individuellen Qualitäten“, stellt sich der Manager vor seine Mannschaft, die aber auch er im Winter verstärken will. „Wir müssen schauen, dass wir uns im Winter verbessern“, sagte Knäbel, der allerdings daran erinnert, dass für dieses Vorhaben die Abgabe von teuren Spielern unausweichlich ist.

Kandidaten sind Marcell Jansen und vor allem Tolgay Arslan. „Ich bin mit Tolgay, Marcell und allen Spielern, die Anfragen haben, im Gespräch“, sagte Knäbel, der am Wochenende einen besonders intensiven Gedankenaustausch mit Arslan hatte. Dessen öffentliches Vorpreschen, er könne sich aufgrund des fehlenden Stammplatzes einen vorzeitigen Wechsel gut vorstellen, gepaart mit der desaströsen Leistung gegen Stuttgart, ist bei den Verantwortlichen nicht gut angekommen. „Unser Trainer hat dafür deutliche Worte gefunden. Das, was gesagt werden musste, wurde gesagt“, so Knäbel.

Dabei ist Arslan nur einer von vielen HSV-Profis, bei denen sich offenbar eine große Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit auftut. So stellte sich Johan Djourou, der die Hälfte seiner Zweikämpfe verlor und vom Fachmagazin „Kicker“ die Note fünf erhielt, selbst ein gutes Spielzeugnis aus. Er habe am Anfang einen Fehlpass gespielt, so Djourou, sei aber ansonsten gut im Spiel drin gewesen. Und auch Kapitän Rafael van der Vaart fühlte sich von den aus seiner Sicht zu kritischen Fragen nach der Partie provoziert. „Was stellst du mir für komische Fragen?“ fuhr der Niederländer Sky-Reporter Rolf Fuhrmann an, und weiter: „Was ist los mit dir? Hast du schlecht geschlafen?“

Schlecht geschlafen haben dürfte neben Knäbel vor allem Trainer Joe Zinnbauer. Am Tag nach der Niederlage bot mit Mybet bereits der erste Wettanbieter die Wette auf den nächsten vorzeitigen HSV-Trainerwechsel an. Die unmoralische Quote: Für zehn Euro Einsatz bekäme man im Falle einer Zinnbauer-Demission gerade mal 24 Euro. Damit beschäftigt haben dürfte sich Zinnbauer aber nicht. Eine Antwort auf die Frage, warum seine Mannschaft zum Ende der Hinrunde gegen die direkten Konkurrenten Freiburg (0:0) und Stuttgart keine Lösungen erarbeiten konnte, hatte der Coach nach der Niederlage gegen zehn Stuttgarter allerdings auch nicht. „Wir müssen das jetzt in Ruhe analysieren“, sagte Zinnbauer, der dies am Morgen danach auch tat. Dabei dürfte ihm zweifelsohne aufgefallen sein, dass seine Idee, das System erneut umzustellen und mit Artjoms Rudnevs und Pierre-Michel Lasogga auf zwei Stürmer zu setzen, weder in Freiburg noch gegen Stuttgart aufging. „Die beiden ignorieren sich auf dem Feld“, kritisierte von Heesen, und auch Knäbel sah es ähnlich: „Manchmal hat man das Gefühl, dass sich die beiden vorne auf den Füßen stehen.“

Als Trainerschelte wollte Knäbel seine Kritik allerdings nicht verstanden wissen. „Der Trainer genießt unser Vertrauen. Wir haben keine Diskussion“, bekräftigte Knäbel, der auf eine Nachfrage zu Zinnbauer pikiert reagierte, dann aber sagte: „Die Frage zum Trainer stellt sich momentan nicht.“

Die Frage zu den Finanzen stellt sich ein halbes Jahr nach der Umwandlung des e. V. in eine AG dafür umso mehr. Denn nicht nur sportlich warten die Anhänger vergeblich auf die vom neuen HSV-Chef Dietmar Beiersdorfer prognostizierte Entwicklung. Auch finanziell scheint die Lage schlimmer denn je. So ist es kein Geheimnis mehr, dass der HSV bei den Verbindlichkeiten die Schallmauer von 100 Millionen Euro längst durchbrochen hat. Der Club hat eine ganze Reihe von Krediten und Darlehen, die aufgenommen werden mussten, um die Liquidität zu gewährleisten. Und von den groß angekündigten Investoren, die nach einer Ausgliederung parat stehen sollten, ist keine Rede mehr. Nicht mal Milliardär Klaus-Michael Kühne, dessen Generalbevollmächtigter Karl Gernandt sogar den Vorsitz des Aufsichtsrats übernehmen durfte, steht noch als Geldgeber bereit.

Redebedarf gibt es also genug, wenn sich der Aufsichtsrat an diesem Donnerstag um 17.30 Uhr zu seiner turnusmäßigen Sitzung trifft. Die gute Nachricht ganz zum Schluss: An Erfahrungen mit Krisen mangelt es den HSV-Verantwortlichen nun wahrlich nicht.