Bei der 0:1-Niederlage gegen den VfB Stuttgart erspielten sich die HSV-Profis trotz Überzahlspiel kaum eine Torchance

Hamburg. Die letzten Minuten wollte sich Joe Zinnbauer einfach nicht mehr hinsetzen. Mal mit versteinerter Miene und den Händen tief in den beigen Mantel vergraben, dann wieder wild gestikulierend tigerte der HSV-Trainer an der Außenlinie auf und ab. Als Schiedsrichter Felix Brych Zinnbauers Leiden schließlich beendete, hatte der Fußballlehrer nur noch ein Ziel: die Flucht. 0:1 hatte sein HSV zuvor gegen den vorherigen Tabellenletzten VfB Stuttgart verloren und dabei ein weiteres Mal bewiesen, dass auch die seit Sommer eingetragene HSV AG kaum bundesligatauglich ist.

Dabei hätten die Vorzeichen für einen erfolgreichen Hinrundenabschluss vor dem 50. Bundesligaheimspiel des HSV gegen den VfB Stuttgart kaum besser sein können. Denn das letzte Heimspiel des Jahres 2014 fiel ausgerechnet auf einen Dienstag, zweifelsohne den größten Feiertag des HSV. Seit Gründung der Bundesliga, so rechneten es die fleißigen Macher des HSV-Stadionheftes im Vorfeld der Partie aus, holten die Hamburger am zweiten Tag der Woche 2,16 Punkte im Schnitt – kein anderer Wochentag konnte da mithalten.

Von aggressiven Hamburgern bekam VfB-Coach Stevens nichts zu sehen

Doch Fußball ist bekanntlich keine Mathematik. Das bekam Timo Baumgartl bereits nach 105 Sekunden zu spüren, als der VfB-Innenverteidiger von Nicolai Müller als erster Stuttgarter zu Fall gebracht wurde. Erwähnenswert ist dies vor allem deswegen, weil Ex-HSV-Trainer Huub Stevens sich bemüßigt gefühlt hatte, prophylaktisch bereits vor dem ersten Zweikampf vor den so aggressiven Hamburgern zu warnen. Dabei präsentierte sich der HSV in der vorab von Zinnbauer zum Sechs-Punkte-Spiel deklarierten Partie handzahm. Zunächst durfte sich Stuttgarts Florian Klein ungestört im Fernschuss üben. Dann war es der gebürtige Hamburger Martin Harnik, der gleich dreimal ohne Begleitschutz in Jaroslav Drobnys Strafraum zum Abschluss kam. Der Hanseat aus Kirchwerder hatte allerdings genauso wenig Zielvermögen wie wenig später Georg Niedermeier, dessen Kopfball Lewis Holtby gerade noch von der Linie kratzen konnte (36.).

Und der im Vergleich zum Freiburg-Spiel personell unveränderte HSV spielte unverändert im Vergleich zum erschreckend schwachen Spiel gegen Freiburg. Nach vorne reichte es gegen das Schlusslicht der Liga in Halbzeit eins gerade mal zu einem gemeinsamen Torschussversuch durch Pierre-Michel Lasogga und Müller (12.). Und nach hinten präsentierte sich der HSV wie die Gewerkschaft der fröhlichen Weihnachtsmänner, die unbedingt pünktlich vor Heiligabend alle Geschenke ausgeliefert haben wollte. Exemplarisch hierfür war die Fehlerkette vor Stuttgarts hochverdientem 0:1 (42.) durch Klein, bei dem sich ausgerechnet die HSV-Führungsspieler Rafael van der Vaart und Valon Behrami in der Pleiten-Pech-und-Pannen-Statistik hartnäckig versuchten zu überbieten. Für den Schlusspunkt der wahrscheinlich schlechtesten Heim-Halbzeit unter Zinnbauer sorgte der einst von Stuttgart umworbene Lasogga, der sich nach 45 kaum bundesligatauglichen Minuten mit einer Oberschenkelverletzung auswechseln ließ. Ein donnerndes Pfeifkonzert war der Lohn.

Stimmungsmäßig begann der zweite Durchgang, wie die ersten 45 Minuten aufgehört hatten: Fehlpass Djourou, Pfiffe. Fehlpass van der Vaart, und wieder Pfiffe. Für etwas Abwechslung sorgte schließlich ein einziger Pfiff, nämlich der von Schiedsrichter Felix Brych. Der Unparteiische ahndete ein wohl unstrittiges Foul Niedermeiers an Artjoms Rudnevs und zückte umgehend die Rote Karte. Dass die bis dahin aus Hamburger Sicht desolat verlaufende Partie nun wieder offen war, unterstrich van der Vaart mit dem anschließenden Freistoß an die Latte (55.). „Hey, hey, hey, hier kommt Hamburg“, sangen die für den Moment versöhnten HSV-Fans, die nach drei Heimsiegen in Folge Lust auf mehr hatten.

Selbst in Überzahl erspielten sich die HSV-Profis so gut wie keine Chance

Zehn schwache Stuttgarter reichten allerdings zunächst, um elf ganz schwache Hamburger in Schacht zu halten. Trotz der numerischen Überlegenheit erspielte sich der chronisch offensivschwache HSV genauso viele Torchancen wie nahezu die gesamte Saison über: keine. Ein harmloses Schüsschen van der Vaarts (70.) und ein tatsächlich noch harmloseres Schüsschen Müllers (71.) waren die deprimierenden Höhepunkte, über die sich die enttäuschten 48.223 Zuschauer freuen durften.

Nach 93 erschütternden Minuten war der passende Heim-Jahresausklang für ein durch und durch miserables 2014 vollbracht. Obwohl Zinnbauers Team am Sonnabend auf Schalke noch einmal die Möglichkeit hat, die zuletzt gezeigten Minus-Leistungen sogar noch ein weiteres Mal zu unterbieten, steht bereits jetzt fest, dass sich die leidgeprüften HSV-Fans in der Rückrunde auf exakt das Gleiche wie in der Rückrunde der Vorsaison „freuen“ dürfen: auf den Abstiegskampf.