Der ehemalige HSV-Trainer kämpft in Stuttgart gegen den Abstieg und Bedingungen, die man aus Hamburg kennt

Hamburg. „Wir, Mitglieder und Fans, sind entsetzt über die Situation, die wir von Spiel zu Spiel ansehen müssen. Wir hadern mit Spielern einer Mannschaft, deren Willen NICHT abzusteigen, nur schwer erkennbar ist. Die Glaubwürdigkeit der Entscheidungsträger hat massiv gelitten.“

Diese Worte eines engagierten Fans in einem Forum kommen einem Hamburger doch sehr bekannt vor. Bundesliga-Gründungsmitglied, Traditionsverein, Institution mit großer Vergangenheit. Und fehlender Realitätssinn. Knapp 13 Millionen Euro Verlust in den vergangenen beiden Geschäftsjahren, unzeitgemäße Strukturen, eine Mannschaft im Abstiegskampf, eine anscheinend unaufhaltsame Abwärtsspirale. Zehn Trainer in den letzten zehn Jahren. Im kommenden Frühjahr soll über die Ausgliederung der Profiabteilung abgestimmt werden. Der gemeinnützige VfB Stuttgart wirkt wie eine Blaupause des alten HSV – vor dessen grundlegender Strukturreform.

An diesem Dienstag (20.00 Uhr/Sky und Liveticker bei abendblatt.de) kommen die Schwaben als Tabellenletzter in den Volkspark. Als Trainer sitzt wieder Huub Stevens auf der Bank. Es ist sein viertes Spiel seit seiner Rückkehr. Stevens soll das tun, was er am besten kann – und was er einst auch beim HSV erfolgreich geschafft hat: retten. „Beim HSV wartet die nächste Herausforderung“, sagte der Niederländer, „der HSV wird sehr aggressiv zu Werke gehen, darauf müssen wir uns einstellen.“

In Hamburg hat der knurrige Fußballlehrer seit seiner geglückten Rettungsmission im Jahr 2007 einen guten Ruf und noch wenige Freunde. „Ab und zu ruft noch mal jemand an, sonst gibt es keine Bande mehr“, erzählte er nun. Nach der Entlassung von Thorsten Fink im September 2013 war er beim HSV im Gespräch. „Nein, das war ernsthaft kein Thema damals“, sagte Stevens jedoch, der im Sommer 2013 in Saloniki aufgehört hatte: „Ich war damals noch nicht bereit, wieder einzusteigen, war überarbeitet.“ Im März aber ging er dann als Nachfolger von Thomas Schneider zum VfB und gewann sein erstes Heimspiel mit 1:0 – gegen den HSV. In der Abschlusstabelle hatten die Schwaben als 15. am Ende fünf Zähler mehr als die Hamburger auf Rang 16. Der Niederländer hatte seine Schuldigkeit getan, der Niederländer konnte wieder gehen.

Denn beim VfB, da waren sie in Gedanken immer noch ein Spitzenclub, auch das kennt man in Hamburg ja irgendwie. Meistertrainer Armin Veh war auf dem Markt und mit ihm die Hoffnung auf alte, bessere Zeiten. Veh versprach spannenden Offensivfußball, Kombinationen, Tore, Spektakel. Ausdauerndes Feilen an Abwehrstrategien aber ist seine Sache nicht. „Uns hat oft das notwendige Glück gefehlt. Das gehört einfach dazu. Das projiziere ich auch auf mich“, begründete Veh seinen Rücktritt nach dem zwölften Spieltag, als der VfB auf Platz 18 abgestürzt war. Zwei Tage später war Stevens wieder da.

„Er hat den Riesenvorteil, dass er die Mannschaft, den Verein und das Umfeld kennt“, begründete Präsident Bernd Wahler seine Entscheidung, mit der er seine Fehleinschätzung aus dem Sommer korrigierte. Der VfB rief, und Stevens kam wieder. Und mit ihm die Defensive und die Disziplin.

Die Spieler müssen zwei Stunden vor Trainingsbeginn in der Kabine sein, das Frühstück wird gemeinsam eingenommen. Bei zwei Einheiten täglich wird auch zusammen Mittag gegessen, die Spieler sollen lernen, sich gesund zu ernähren. Laute Ghettoblaster in der Kabine sind verboten. „Positive Energie und ein Miteinander erzeugen“ will Stevens. Man kennt das schon.

Im Spiel ist ebenfalls wieder Basisarbeit eingekehrt, die Partie gegen den VfB droht eine anstrengende Mühsal für den HSV zu werden. „Wir brauchen mehr Stabilität“, begründete Stevens seine defensive Ausrichtung, die ganz seiner alten Maxime „Die Null muss stehen“ entspricht. 32 Gegentreffer hat Stuttgart bislang kassiert, nur Werder Bremen (34) hat mehr. „Wir haben immer noch viel Arbeit vor uns“, mahnt Stevens.

Das gilt für den ganzen Verein. Der VfB sucht auch immer noch nach einem neuen Sportchef. Fredi Bobic wurde am 3. September beurlaubt, der Nachfolger soll erfahren sein und über ein gutes Netzwerk verfügen. Als aussichtsreichster Kandidat gilt nun der in Bremen als Trainer gescheiterte Robin Dutt (zuvor Sportdirektor beim DFB). Groß auf dem Transfermarkt tätig werden kann er im Winter aber auch nicht, es fehlt das Geld.

Also Ausgliederung. Im April sollen die Mitglieder darüber abstimmen, es sind 75 Prozent Zustimmung nötig, wie einst beim HSV. Anders als beim HSV aber geht der Anstoß von der Strukturreform vom amtierendem Präsidium aus. Und dem vertrauen die meisten Mitglieder nach dem Niedergang der letzten Jahre nicht mehr. Wenn es wider Erwarten aber doch klappt, dann steht in Stuttgart mit Mercedes ein Weltkonzern als Partner bereit – in Hamburg ist es bislang nur ein sehr reicher Fan.