Unter Trainer Joe Zinnbauer hat der HSV durch konsequentes Pressing und geschickte Raumaufteilung zu lange verlorener Heimstärke zurückgefunden

Hamburg. Die Gesänge „Oh, wie ist das schön“, sie klingen dem Stadionbesucher auch zwei Tage später noch in den Ohren. Der Jubel war euphorisch nach dem 2:1-Sieg des HSV gegen Mainz 05. „Ja ist denn schon Weihnachten?“ ist man versucht, mit dem „Kaiser“ zu fragen. Nein, nur wieder Heimsieg, der dritte in Folge, und dieses Gefühl kannte der HSV seit fast genau zwei Jahren nicht mehr. Der frühere Selbstbedienungsladen in der Hamburger Sylvesterallee 7 scheint doch wieder eine Festung zu werden. „Oh, wie ist das schön.“

Die Heimbilanz der vergangenen fünf Jahre ist tatsächlich erschütternd. Nie wurden mehr als die Hälfte der 17 Partien gewonnen, die beste Bilanz schrieb man 2012/13 mit acht Heimerfolgen bei allerdings auch sieben Niederlagen. Damals gab es auch letztmals zwischen dem 17. November und dem 27. Januar vier Siege nacheinander. Allerdings wurde in jener Saison anschließend unter Trainer Thorsten Fink die mögliche Europa-League-Teilnahme um drei Punkte nach Heimpleiten gegen die vermeintlich schlagbaren Teams aus Frankfurt, Augsburg und Freiburg sowie einem Remis gegen Fürth verpasst. Unter dem Strich also ebenfalls mehr Heimfrust als Heimlust.

Umso erstaunlicher ist es, dass der HSV in der aktuellen Zuschauergunst mit durchschnittlich 52.022 Besuchern immer noch auf Platz sechs aller Bundesligisten liegt. Gegen Mainz fanden zwar nur 45.968 den Weg raus in die Arena, Saisonminusrekord, für Marketingvorstand Joachim Hilke ist das dennoch eine beeindruckende Zahl: „Wir sind wirklich gesegnet mit vielen Zuschauern. Man darf ja nicht vergessen, es war 2. Advent und unglaubliches Mistwetter.“ Für die letzte Partie der Hinrunde am 16. Dezember gegen Stuttgart erwartet er nun sogar wieder ein Anziehen des Vorverkaufs, auch wenn Dienstagabend „ein schwieriger Termin“, sei: „Natürlich gibt es einen Zusammenhang zwischen guten Nachrichten und der Nachfrage.“ Mit anderen Worten: Siege sind die beste PR.

Seit 2007 hat der HSV rund 4000 Zuschauer pro Spiel verloren, statt knapp 56.000 Zuschauern kamen letztes Jahr nur noch 51.600 im Schnitt. Das ist bei 20 Euro kalkuliertem Durchschnittspreis auch ein erheblicher finanzieller Verlust. In dieser Spielzeit liegt der Durchschnitt bisher bei 52.000 Besuchern, allerdings waren die Topspiele gegen Bayern und Bremen schon dabei. „Das ist absolut positiv für uns, die verkaufen sich immer gut“, erklärt Hilke, „wenn wir in der Rückrunde besser spielen und eine Aufbruchstimmung entsteht, dann verkaufen wir auch gegen Augsburg oder Köln zum Rückrundenstart mehr Karten.“

Der wirtschaftliche Erfolg interessiert Peter Knäbel in dem Zusammenhang nur am Rande. Knäbel ist als Direktor Profifußball für den sportlichen Ertrag zuständig. „Die Heimstärke muss immer die Basis für eine erfolgreiche Saison sein“, sagt Knäbel also. „Das ist doch auch die Erwartungshaltung der Leute: dass wir uns hier gut präsentieren und unser Heim verteidigen. In der Imtech Arena muss die Wurzel des Erfolgs zu finden sein.“ Seit Joe Zinnbauer als Trainer verantwortlich ist, treibt diese Wurzel aus. „Sehr enttäuscht mit der gezeigten Leistung“ war Mainz-Coach Kasper Hjulmand am Sonntag. So ging es zuletzt auch seinen Kollegen aus Bremen und Leverkusen, die Bayern mussten eines von nur drei Unentschieden in Hamburg hinnehmen und Hoffenheim konnte sich über eine glückliche Punkteteilung freuen.

„Jeder weiß, was er zu tun hat, und wenn wenn wir das alle machen, dann können wir auch Spiele gewinnen“, sagt Kapitän Rafael van der Vaart, „das machen wir zurzeit zu Hause überragend.“ Mit aggressivem Pressing setzt der HSV seinen Gegnern im eigenen Stadion zu, macht die Räume eng, erschwert den Aufbau. Das sieht zwar nicht immer schön aus, raubt aber auch besseren Mannschaften die Entfaltungsmöglichkeiten. So entsteht oft der Eindruck, der Gast sei schwächer gewesen als normalerweise. Aber – und jetzt kommt das Phrasenschwein – man ist halt nur so gut, wie es der Gegner zulässt. Und der HSV lässt mit seiner inzwischen stabilen Abwehr jedenfalls daheim nicht mehr viel zu. „Wir haben gut Druck gemacht, gut in die Spitzen gespielt, und man hat gesehen, zu welchen Leistungen die Mannschaft fähig ist, wenn man ihr Vertrauen schenkt“, freute sich Zinnbauer.

Jetzt muss das nur auch mal in der Fremde funktionieren. Vor allem am kommenden Sonnabend (15.30 Uhr) beim SC Freiburg, dem ersten Gegner in dieser Saison, der zum Zeitpunkt des Spiels schlechter in der Tabelle steht als der HSV. Noch in der eigenen Kabine haben sich die HSV-Profis auf die Partie im Breisgau eingeschworen. „Dort haben wir eine neue Gelegenheit, uns über 90 Minuten gut zu präsentieren“, wünscht sich Knäbel, fordert es eigentlich. Damit es nach Dortmund auch mal wieder aus dem Hamburger Gästeblock schallt: „Oh, wie ist das schön!“