Der ehemalige Kapitän David Jarolim ärgert sich wie Valon Behrami über das ewige Auf und Ab der Mannschaft und plädiert für harte Aussprachen

Hamburg. Die Worte gingen direkt ins Mark: Es fehle den HSV-Profis an „Charakter und Mentalität“. Das erkannte nicht irgendein Funktionär auf der Suche nach Erklärungen für die sportliche Talfahrt, sondern mit Valon Behrami einer der Betroffenen selbst. Eigentlich die härteste (Selbst)Kritik, die denkbar ist. Würde es in erster Linie an fußballerischer Klasse fehlen, könnte man diese ausgleichen, eben genau mit den von Behrami angeprangerten Attributen. Die Möglichkeit eines solchen Unterfangens beweisen Jahr für Jahr Mannschaften, die sich als Team begreifen und mit vergleichsweise wenig Budget die Etablierten doch immer wieder ärgern können. Zudem könnte das Trainerteam hier ansetzen und ihre Schützlinge nach und nach besser machen. Doch den Charakter eines Spielers und dessen Persönlichkeit zu verändern, ist einem Fußballlehrer ungleich schwerer möglich.

Ein Blick zurück ins Jahr 2010. Der HSV hatte zweimal in Folge das Halbfinale der Europa League erreicht. Doch schon damals erkannten die Verantwortlichen um den Vorstandsvorsitzenden Bernd Hoffmann ein schwerwiegendes Problem. „Wir haben gute Spieler im Kader, aber eine gute Mentalität muss sich aus der Mannschaft herausbilden“, sagte der damalige HSV-Boss. „Gier und Galligkeit“ würden seinen Profis in entscheidenden Punktspielphasen fehlen, zudem mangele es den Spielern an der nötigen Einstellung, knappe Spiele für sich zu entscheiden. Auch in den Jahren danach wurde immer wieder von einem „Mentalitätsproblem“ gesprochen, wenn der HSV einem guten Auftritt einen schlechten folgen ließ. Problem erkannt, Gefahr gebannt – das gilt für den HSV offenbar nicht, darf man den Aussagen Behramis Glauben schenken, die vom Direktor Profifußball Peter Knäbel am Sonntag im Kern bestätigt wurden.

Nur wenige HSV-Profis der jüngeren Vergangenheit sind über solche Art von Kritik erhaben – David Jarolim ist einer von ihnen. Dem ehemaligen Kapitän wurde vielleicht vorgeworfen, er würde das Spiel langsam machen oder könne nicht weiter als 20 Meter schießen, jedoch nie, dass er nicht immer alles dem Erfolg untergeordnet hätte. Seine legendäre Kämpfernatur verhalf ihm jetzt sogar zum einem Abschiedsspiel in der Imtech-Arena am 28. März kommenden Jahres. Der Tscheche verfolgt weiterhin fast jede Partie des Bundesliga-Dinos und kann die negative Beurteilung Behramis nachvollziehen. „Es gibt ja schon seit Jahren diese Tendenz im Verein. Nach dem 2:0-Sieg gegen Bremen haben wohl einige gedacht, sie könnten wieder nachlassen. Doch so bekommt der HSV nie Konstanz in sein Spiel.“ Eine offene Aussprache würde jetzt helfen, sagt ihm seine Erfahrung. „Wir hatten auch Konfrontationen in der Mannschaft, doch am Ende waren wir meist eine Einheit.“

Dabei kritisierte Jarolim schon vor vier Jahren den mangelnden Charakter seiner Kollegen, nach einer Phase, in der der HSV so erfolgreich war wie lange nicht. „Einer muss dem anderen helfen, das hat gefehlt, das gefällt mir nicht. Man darf nicht im Kopf haben, dass man selbst blöd aussehen könnte. Diese Dinge sind nicht schwer, das ist eine Grundeinstellung, die man haben muss“, sagte der Mittelfeldspieler im Sommer 2010. Da stellt sich die Frage, warum dieses Problem den HSV offenbar durchzieht wie roter Faden. Im Jahr 2012, das der HSV auf Platz 15 abschloss, fand Mentalcoach Olaf Kortmann eine mögliche Erklärung: Die Mannschaftsleistung werde zu häufig zu positiv dargestellt, dadurch gingen Spieler übermotiviert in die Partie und umso härter träfe es sie dann, wenn sie den Ansprüchen nicht gerecht werden, erklärte der frühere Volleyball-Bundestrainer. Knäbel hatte diesen Aspekt am Sonntag auf das Umfeld ausgeweitet. Die Leute in Hamburg seien generell erstaunlich schnell zufrieden, meinte der 48-Jährige.

In der Tat ist dies gerade im Laufe dieser Saison zu beobachten. Wurde vor Jahren ein spielerisch armer Auftritt, der mit einem glücklichen Sieg endete, durchaus kritisch betrachtet, wird die Mannschaft jetzt schon von den Anhängern bejubelt, so lange das Bemühen erkennbar war. Nach der katastrophalen letzten Spielzeit sind die Fans offenbar mit Mittelmaß zufriedenzustellen, obwohl das Team gegenüber der Vorsaison derartig aufgerüstet wurde, dass es vom Gehaltsetat eigentlich um die Europa League mitspielen müsste. Gut möglich, dass die Profis dann eher zur Selbstzufriedenheit neigen. Für Jarolim ein zweischneidiges Schwert. „Das ist nicht einfach zu bewerten. Einerseits fehlt so vielleicht ein wenig der Antrieb, in der Trainingswoche nach einem Erfolg noch mehr zu machen, andererseits können die Spieler zumindest in Ruhe arbeiten, wenn die Öffentlichkeit hinter ihnen steht“, sagt der Ex-Profi, der gerade seinen Trainerschein macht.

Jarolim nimmt jetzt vor allem die Verantwortlichen in die Pflicht, bei künftigen Transfers Prioritäten zu setzen. „Jetzt sind die Scouts gefragt, mögliche Neuzugänge auch beim Training zu beobachten, wer gibt immer alles, wer ist dauernd verletzt und so weiter. Jeder Bundesligaspieler hat irgendwas, was ihn auszeichnet. Doch die besten Profis haben fast alle eine professionelle Einstellung und eine super Mentalität, das macht am Ende den Unterschied.“

So liegt es jetzt an Coach Joe Zinnbauer, für das Spiel gegen Mainz am Sonntag (15.30 Uhr) den Spagat zu schaffen, genau die Profis auszuwählen, die in jeder Phase der Partie Verantwortung übernehmen und dennoch in der Lage sind, den Gegner auch fußballerisch zu fordern.