Das Nordduell zwischen dem HSV und Werder Bremen ist zum Existenzkampf geworden

Hamburg. Der alte Kurvenklassiker, er wird nicht mehr zu hören sein. Es sei denn, jemand möchte sich lustig machen oder mit Galgenhumor glänzen. Doch dafür ist die Lage auf beiden Seiten eigentlich zu ernst. „Die Nummer eins im Norden sind wir“, das stimmen die Fans jetzt in Niedersachsen an. In Wolfsburg, wo neben dem Geld jetzt auch der Erfolg ist. Der einstige Stolz des Nordens, der HSV und Werder Bremen, sind vor ihrem 101. Bundesligaderby am Sonntag (15.30 Uhr/Sky und Abendblatt.de) zu Abstiegskandidaten degeneriert. Umso wichtiger ist die Partie zwischen dem 17. der Tabelle und dem 16. „Ich erwarte ein sehr großes Engagement, Leidenschaft, Wille und Emotionen von unserer Mannschaft“, sagt HSV-Profifußball-Direktor Peter Knäbel. „Und natürlich einen Sieg.“

Gerade fünfeinhalb Jahre ist es her, dass sich der HSV und Werder innerhalb von 19 Tagen in vier Spielen im Halbfinale des Uefa-Cups, des deutschen Pokals und in der Bundesliga im Duell um die Champions-League-Teilnahme gegenüberstanden (Und immer setzte sich Werder durch). Es kommt einem vor wie eine halbe Ewigkeit. Nur Marcell Jansen ist auf Hamburger Seite noch von damals im Kader übrig. Er fällt am Sonntag wegen Adduktorenproblemen aber aus. Clemens Fritz und Sebastian Prödl sind bei Bremen noch dabei. Trainer, Sportchefs, Aufsichtsräte – nichts ist bei beiden Vereinen mehr, wie es damals war. Wie die nebenstehende Grafik zeigt, ist bei den Vereinen seit 2009 gründlich etwas schiefgegangen. Der Abstieg aus dem Europacup in den Tabellenkeller verlief parallel.

Im Jahr nach dem Werder-Trauma erreichte der HSV 2010 noch einmal das Halbfinale in der Europa League, war nur zwei Spiele gegen den FC Fulham vom Endspiel im heimischen Volkspark entfernt. Und scheiterte. Allerdings war zu diesem Zeitpunkt Dietmar Beiersdorfer schon nicht mehr als Sportchef tätig, er hatte den Club im Sommer 2009 nach dem „Werder-Desaster“ und Differenzen mit Präsident Bernd Hoffmann verlassen. Einen Nachfolger für Beiersdorfer fand der Aufsichtsrat nicht, Hoffmann war auch für die sportliche Entwicklung verantwortlich und agierte dabei glücklos. Im Sommer 2010 verpasste das Team die Teilnahme am Europapokal, unter den Folgen leidet der Verein noch heute. 2009/10 schloss der HSV noch mit einem Gewinn von 280.000 Euro ab, danach verbuchte er Verluste von 4,9 Millionen, von 6,6 Millionen und in der vergangenen Spielzeit von 9,8 Millionen Euro. Die Gesamtverbindlichkeiten betragen knapp 100 Millionen Euro.

Noch immer muss der HSV über 40 Millionen Euro pro Jahr für Spielergehälter ausgeben, die angestrebte Reduzierung auf 32 Millionen ist nicht gelungen. Erst nach dieser Saison ergeben sich da für den Verein durch zahlreiche auslaufende Kontrakte finanzieller Hochkaräter Möglichkeiten. Werder Bremen hat diesen Umbruch bereits hinter sich. Knapp 30 Millionen Euro statt einst rund 50 Millionen beträgt der Gehaltsetat für das Profiteam. Die teuren Stars der Vergangenheit sind längst gegangen. Bei den vier Vergleichen 2009 standen noch Topstars wie Tim Wiese, Naldo, Diego, Torsten Frings, Mesut Özil, Claudio Pizarro und Per Mertesacker im Bremer Team. Von dieser Qualität ist Werder heute natürlich weit entfernt. Am kommenden Mittwoch muss Werders Geschäftsführer Klaus Filbry zum dritten Mal hintereinander auf der Mitgliederversammlung rote Zahlen verkünden. Acht Millionen Euro soll das Minus betragen, 2012 waren es 13,9 Millionen, vor einem Jahr betrug die Unterdeckung 7,9 Millionen Euro. Die Plätze 13, 9, 14 und 12 belegte Werder Bremen in der Liga in den letzten Jahren, der Umsatz ist von 130 Millionen auf 90 Millionen gesunken. Die finanzielle Notlage führte letztlich vor rund einem Monat auch zum Rücktritt von Willi Lemke als Aufsichtsratsvorsitzenden, er hatte stets auf eine harte Haushaltsdisziplin geachtet, sein Nachfolger Marco Bode hat nun signalisiert, notfalls auch in „Risiko“ zu gehen, sollte dies in der Winterpause nötig sein.

Die fehlenden sportlichen Erfolge der beiden erbitterten Nordrivalen machen sich auch bei den Einnahmen aus der TV-Vermarktung bemerkbar. Da der Erfolgsfaktor eine Rolle bei der Berechnung der Anteile spielt, erhält der HSV in diesem Jahr 24,6 Millionen Euro, Werder immerhin noch 26,8 Millionen. Der SC Freiburg allerdings 29 Millionen und Hannover 32 Millionen. Einen Abstieg können sich schon deshalb der HSV und Werder überhaupt nicht leisten, zehn Millionen Euro fehlen dann allein aus der TV-Vermarktung.

Schon deshalb ist die Partie am Sonntag emotional ebenso aufgeheizt wie die Spiele, als es noch um den Europacup ging und die Teilnahme an der Champions League. Werder kommt dabei nach der Entlassung von Robin Dutt mit dem neuen Trainerduo Viktor Skripnik/Torsten Frings. Und viel Selbstvertrauen nach drei Siegen in Folge. „Das Derby ist ein extrem wichtiges Spiel für die Fans und den ganzen Verein. Wir wissen, dass ein Sieg gegen den HSV einen ganz neuen Schub für uns alle geben kann und sind uns daher um die Bedeutung dieses Spiels bewusst“, sagt Mittelfeldspieler Felix Kroos.

Der HSV appellierte bereits öffentlich an seine Fans, bei der Partie einen neuen Lautstärke-Rekord aufzustellen. „Jede Anfeuerung für unser Team ist noch einmal eine zusätzliche Motivation. Gegen Leverkusen haben uns die Fans ein Stück weit getragen“, sagt Trainer Joe Zinnbauer und ergänzt: „Ich hoffe, dass es gegen Werder so laut wird wie noch nie.“ Gegen Bremen beginnen nun insgesamt fünf Partien gegen Teams in ähnlich tiefen Tabellenregionen. Es folgen Augsburg, Mainz, Freiburg Stuttgart. „Mit dem Derby beginnen Spiele gegen Teams, mit denen wir uns auf Augenhöhe befinden“, sagt Dennis Diekmeier. „Wir müssen jetzt zusehen, dass wir punkten.“