2011 wurde dem HSV das damals ablösefreie Talent angeboten. Der Club lehnte ab, der Braunschweiger wechselte zu Bayer und wurde Nationalspieler

Hamburg/Berlin. Bei der Kinopremiere von „Die Mannschaft“ durfte Karim Bellarabi am Montagabend noch nicht dabei sein. Nur die 23 Weltmeister waren auf den roten Teppich vor dem Cinestar am Potsdamer Platz geladen, Neu-Nationalspieler wie der Leverkusener Saisonüberflieger mussten im Hotel bleiben. Böse ist Bellarabi aber nicht, ganz im Gegenteil. „Ich bin unglaublich froh, dass ich hier dabei sein darf“, sagte der Nationalmannschaftsfrischling brav, als er am Mittwochmittag in einem Berliner Autohaus am Salzufer Rede und Antwort stand.

Tatsächlich hätte längst nicht jeder damit gerechnet, dass es der 24 Jahre alte Spätentwickler wirklich mal so weit bringen würde. Was kaum einer weiß: Besonders in Hamburg waren die Zweifel groß. So ist es gerade mal etwas mehr als drei Jahre her, dass der damals 21-Jährige dem HSV angeboten wurde. Sogar ablösefrei. Beraterschwergewicht Volker Struth, der bereits erfolgreich Mladen Petric und Dennis Diekmeier zum HSV vermittelt hatte, gab als Erster den Tipp. Von einem jungen Deutschmarokkaner, der extrem schnell und technisch zumindest talentiert sei, schwärmte der Agent, der aber gar nicht Bellarabis offizieller Berater war. Trotzdem wurde der HSV hellhörig. Besonders Clubchef Bernd Hoffmann soll damals sehr angetan gewesen sein. Doch die eigenen Scouts, die Bellarabi mehrfach beobachteten, rieten ab: nicht konstant genug, taktische Mängel. Fazit: keine Verstärkung.

Das Ende der Geschichte ist bekannt: Der schöne Araber, so die wörtliche Übersetzung von Bellarabi, wechselte ablösefrei nach Leverkusen statt nach Hamburg. Bei Bayer kam der Youngster aber in der ersten Saison auch nur auf zehn Einsätze, im zweiten Jahr gerade noch zu acht Spielen. Trotzdem waren Leverkusens Verantwortliche weiterhin von Bellarabis Talent überzeugt. Und als der pfeilschnelle Offensiv-Allrounder dann in der Saison 2013/14 für ein Jahr zurück nach Braunschweig zu seinem Förderer und Trainer Torsten Lieberknecht verliehen wurde, gelang ihm endlich der verspätete Durchbruch.

Lieberknecht war es auch, der dem gebürtigen Berliner, der im nicht ganz einfachen Bremen-Huchting aufgewachsen ist, schon sehr früh eine Nationalmannschaftskarriere voraussagte. „Das stimmt“, bestätigte Bellarabi am Mittwoch, „bereits in der A-Jugend hat mir Torsten gesagt, dass ich später mal in der Nationalmannschaft spielen werde. Er war einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben.“

Beim HSV hält sich der Ärger über die verpasste Chance in Grenzen. Es kommt schließlich immer wieder vor, dass sich gescoutete Talente erst später entwickeln. Und Bellarabi ist längst nicht der einzige Hochkaräter, den der Club hätte holen können. Unlängst hatte Ex-Trainer Martin Jol verraten, dass er Madrids Gareth Bale vergleichsweise günstig hätte holen können. Auch Edin Dzeko wurde dem HSV einst billig angeboten, genauso wie Dortmunds Henrikh Mkhitaryan. Beim BVB-Kollegen Ilkay Gündogan saßen die früheren Trainer Armin Veh und Michael Oenning sowie Ex-Sportchef Bastian Reinhardt schon im Wohnzimmer bei den Eltern. Gündogan soll seinerzeit gefragt haben, wo er denn unterschreiben solle. Das tat er wenige Monate später – bei Borussia Dortmund.

Und Bellarabi? Der dürfte froh sein, nun bei Bayer in der Champions League und für die DFB-Auswahl auf Torejagd zu gehen. „Ich wurde vom ersten Tag an gut im Nationalteam aufgenommen“, sagt der Spätstarter. Manchmal geht eben doch alles ganz schnell.