Hamburger verwandeln nur 3,4 Prozent ihrer Schüsse, jagen den Minusrekord aus dem Jahr 1966. Zinnbauer setzt gegen den VfL Wolfsburg wieder auf sichere Defensive

Hamburg. Zehn Spiele, vier Tore. 900 Minuten Fußball und nur durchschnittlich alle 225 Minuten mussten Gegner den Ball aus dem eigenen Netz holen. In sechs Spielen trafen die Stürmer des HSV in dieser Saison gar nicht. Als Bundesliga-Dino mit über 51 Jahren ununterbrochener Teilnahme an der höchsten deutschen Spielklasse hat man natürlich die Chance auf viele Rekorde – aber diese Hamburger Minusleistung, die will doch wirklich niemand: Kein Team schoss nach zehn Spielen weniger Tore. Schlimmer noch, derzeit ist der HSV sogar auf dem Weg, die historisch schwache Bilanz von Tasmania 1900 Berlin zu unterbieten. Der schlechteste Bundesligist aller bisherigen Zeiten stieg 1965/66 mit 15 Toren in 34 Partien ab. Macht der HSV so weiter, dann landet er am Saisonende bei 13,6 Treffern.

Zählt man die Torschüsse aller Vereine in der laufenden Bundesligasaison, liegt der HSV gar nicht so schlecht da. Von den bislang 117 Torschüssen der Hamburger fanden allerdings nur 3,4 Prozent den Weg ins Netz. Das ist mit einigem Abstand die schwächste Quote aller Bundesligisten. Schalke 04, das beste Team in Sachen Chancenverwertung ist bei 14,4 Prozent seiner Schussversuche erfolgreich. Der Tabellenzweite VfL Wolfsburg, bei dem der HSV am Sonntag (15.30 Uhr/Sky und Liveticker auf abendblatt.de) zu Gast ist, hat 12,3 Prozent seiner Chancen zu 20 Treffern verwertet. „Von der aktuellen Form des Gegners ist das unsere bislang schwerste Aufgabe“, sagte HSV-Trainer Joe Zinnbauer am Freitag. „Der VfL ist eine bärenstarke Mannschaft. Gegenüber dem Leverkusen-Spiel müssen wir noch eine Schippe drauflegen.“ Zweikampfstärke und eine kompakte Defensive sollen wieder zum Erfolg führen. „Wir wollen stabil stehen“, sagt Zinnbauer, „wir werden vielleicht nicht so viele Torschüsse haben wie die Wolfsburger, aber wir werden versuchen aus der Abwehr heraus nach vorne zu spielen und Tore zu schießen.“

Beim Versuch aber ist es bislang zu oft geblieben. „Wir müssen noch daran arbeiten, uns mehr Torchancen herauszuspielen“, sagt auch Mittelfeldspieler Lewis Holtby. „Wir müssen die Automatismen nach vorne verfeinern.“ 117 Torschüsse hat sein Team bislang zustande gebracht. Immerhin. Es gibt sogar sieben Clubs, die noch schlechter sind. „Auch bei mir ist im Spiel nach vorne durchaus noch Luft nach oben“, räumt Holtby, der 2009 eine Anfrage aus Wolfsburg hatte, selbstkritisch ein, „vielleicht sollten wir im Aufbauspiel auch mal einfach spielen.“

Testspiele wie der 8:2-Sieg am Mittwoch gegen den niedersächsischen Oberligisten Egestorf/Langreder helfen auch beim Aufbau von Sicherheit vor dem gegnerischen Tor. Auch wenn der Gegner fünftklassig war. Für einen Stürmer wie den mit zwei Treffern besten HSV-Torschützen Pierre-Michel Lasogga, der ebenso wie Kapitän Rafael van der Vaart nach Verletzung noch nicht bei einhundert Prozent ist, sind Erfolgserlebnisse auch gegen unterklassige Mannschaften gut für das Selbstvertrauen. Zinnbauer hat seine Spieler außerdem in der vergangenen Woche intensiv theoretisch geschult. Viel Video, viel Analyse. „Die Mannschaft hat gut gearbeitet in der letzten Woche. Wichtig ist, dass wir anfangen, unser Spiel selbst zu gestalten“, sagt Zinnbauer und ergänzt: „Wir müssen uns in der Offensive Stück für Stück ranarbeiten.“

Nur so kann es wohl gehen, alte Stürmererfahrung. „Man kann das natürlich trainieren, die Sicherheit und das Selbstvertrauen im Abschluss“, sagt Roy Präger: „Bei mir galt immer die Devise: So, wie du trainierst, spielst du auch. Es ist gut für das Selbstvertrauen, wenn man im Training Gas geben kann.“ Präger schoss zwischen 1999 und 2002 in 83 Bundesligaspielen für den HSV 18 Tore, für den VfL Wolfsburg war der heutige Leiter der Wolfsburger Fußballschule insgesamt in 154 Partien 54-mal erfolgreich. Er kennt das Gefühl, wenn der Ball partout nicht reingehen will. „Der HSV hat sich bis jetzt schwergetan, sich Chancen zu erarbeiten. Das hat man ja am Saisonanfang gesehen, bei fünf Spielen ohne Torerfolg“, sagt der 43-Jährige. „Solch eine Flaute, die geht schon aufs Gemüt. Das war bei mir auch so. Als Stürmer brauchst du Chancen. Aber man muss sich immer sagen, irgendwann kommen die Möglichkeiten, wenn alle gemeinsam dafür arbeiten“, so Präger.

Seine Wolfsburger haben die Kurve in dieser Saison offenbar bekommen. Der Tabellenzweite der Bundesliga hat seine letzten sieben Pflichtspiele gewonnen, am Donnerstag demonstrierte er in der Europa League beim 5:1 gegen die Russen von FK Krasnodar seine Klasse. „Bei uns ist die Mannschaft seit zwei Jahren gut zusammengewachsen“, sagt Präger: „Die sieben Jungs, die die WM gespielt haben, machen alle einen unglaublich guten Job. Dazu kommen die jungen Spieler, die sich dem hohen Niveau in der Mannschaft sehr gut angepasst haben.“ Mit dem Belgier Kevin De Bruyne hat Wolfsburg den Top-Scorer der Liga in seinen Reihen (ein Tor, sieben Vorlagen).

Hoffnung auf einen erfolgreichen Auftritt macht Zinnbauer die gute Abwehrarbeit der vergangenen Wochen. „Wir fahren nicht dahin, um der nächste Wolfsburg-Happen zu sein.“ Immerhin gab es gegen die drei Champions-League-Teilnehmer München, Dortmund und Leverkusen keinen Gegentreffer. Auch das Spiel gegen Köln ging mit „weißer Weste“ aus, gegen die starken Teams aus Mönchengladbach und Hoffenheim gab es nur ein Gegentor – die Basis aller Erfolge. Angreifen und dann mit 0:3 verlieren, das ginge nicht.

„Auch der FC Chelsea unter Trainer José Mourinho hat vor allem defensiv gespielt und damit Meisterschaften gewonnen“, sagt der HSV-Coach. „Die Defensive gewinnt die Punkte, und wenn wir einen mitnehmen, dann wäre ich sehr zufrieden.“

Und dafür muss man nicht mal selbst ein Tor schießen.