Der HSV holte sieben seiner neun Punkte in dieser Bundesliga-Saison gegen Champions-League-Teilnehmer. Nun soll auch beim Tabellenzweiten Wolfsburg gepunktet werden.

Hamburg. Dass angeblich das nächste immer das schwerste Spiel sei, ist eine gleichermaßen oft bemühte, langweilige, aber laut HSV-Trainer Josef Zinnbauer auch zutreffende Fußballfloskel. So dauerte es am vergangenen Sonnabend tatsächlich nur ein paar Stunden, ehe Zinnbauer den hart erkämpften 1:0-Sieg gegen Bayer Leverkusen abgehakt und den kommenden Gegner VfL Wolfsburg vor Augen hatte. Während ein Großteil seiner Spieler den vor der Partie kaum für möglich gehaltenen Heimerfolg noch beim Italiener Enzo am Großneumarkt feuchtfröhlich feierte, saß der Fußballlehrer bereits wieder daheim im Wohnzimmer auf dem Sofa. TV-Studium in Eimsbüttel. „Ich habe mir abends noch das ‚Aktuelle Sportstudio‘ im ZDF angesehen und muss schon sagen, dass ich vom Auftritt der selbstbewussten Wolfsburger beeindruckt war“, sagt Zinnbauer, „Trainer Dieter Hecking kann momentan mit einer breiten Brust auftreten.“

Beeindruckt war der HSV-Coach aber auch schon vor den Duellen gegen Bayern München („die beste Mannschaft der Welt“), Borussia Dortmund („ein tolles Team“) und Bayer Leverkusen („eine brutale Offensivpower“). Nur gewinnen konnte keiner der drei deutschen Champions-League-Teilnehmer gegen die Hamburger, nicht mal für ein Törchen reichte es. Sind gute Gegner also gut für den HSV?

„Ich muss gestehen, dass ich mir momentan eher einen anderen Gegner wünschen würde als die Wolfsburger“, stapelt Zinnbauer tief. „Wolfsburg ist nicht nur eine der Topmannschaften der Liga, der VfL ist derzeit die Topmannschaft, der direkte Bayern-Jäger.“ Der Tabellenzweite aus Niedersachsen sei mit herausragenden Einzelkönnern wie Linksverteidiger Ricardo Rodriguez (Marktwert: 28 Millionen Euro), Mittelfeldabräumer Luiz Gustavo (22 Millionen Euro) oder Offensivallrounder Kevin De Bruyne (20 Millionen Euro) auf allen Positionen doppelt besetzt, habe einen quantitativ und qualitativ kaum vergleichbaren Kader und spiele zudem auch noch richtig attraktiven Offensivfußball. Und auch wenn Zinnbauer es nicht sagt: Genau deshalb hat der HSV selbst bei den formstarken Wölfen eine echte Siegchance: „Wir haben keine Chance – und genau die wollen wir nutzen.“

Mutiges Unterfangen

Zinnbauer weiß, dass sich seine Mannschaft schwertut, wenn sie vom Gegner dazu gedrängt wird, selbst das Spiel zu machen. An guten Tagen stolpern sich die Hamburger dann ein 0:0 wie in Köln zurecht. An schlechten Tagen gehen sie wie beim 0:3 gegen Paderborn oder beim 0:3 in Berlin unter. Und obwohl der smarte Coach noch auf seiner ersten Pressekonferenz einen ballbesitzorientierten Offensivfußball propagiert hatte, ließ er sich schnell überzeugen, seine Spielphilosophie anzupassen. Seit der frühere U23-Trainer da ist, trainiert er nichts anderes so ausdauernd wie das aggressive Spiel gegen den Ball, altmodisch auch Pressing genannt. Diese Art von überraschendem Überfallfußball ist ein mutiges Unterfangen. Die Spieler sind ständig auf der Jagd. Doch wenn nur einer der elf Jäger auf dem Feld bei dieser risikoreichen Art der Verteidigung nicht mitzieht, ist das ganze Konzept buchstäblich für die Katz. Dabei ist es Zinnbauer egal, ob der Gegner Bayern München oder, wie im Test am Dienstagnachmittag, Germania Egestorf/Langreder heißt.

Ob man dieses kraftraubende Spiel wie auch am Sonnabend gegen Leverkusen eine ganze Saison lang durchhalten könnte, will ein Medienvertreter am Dienstag von Zinnbauer wissen. „Es ist machbar“, antwortet der Trainer selbstbewusst, obwohl er genau weiß, dass zwischen dem Jubel über den Überraschungserfolg gegen Bayer und dem ernüchternden Auftritt im Pokal gegen Bayern (1:3) manchmal nur vier Tage liegen. Oder eben nur ein falscher Laufweg, ein falsches Nachrücken oder auch ein ziemlich falscher Rückpass.

„Man darf nicht vergessen, dass wir Zeit brauchen, bis alle meine Art des Fußballs verinnerlicht haben“, sagt Zinnbauer, der doch eigentlich wissen sollte, dass Zeit so ziemlich das einzige ist, was einem Bundesligatrainer wohl niemals gewährt wird.

Zinnbauers Schlüsselspieler

Ein Wettlauf mit der Zeit steht bis zum Sonntag vor allem Valon Behrami bevor. Zinnbauers Schlüsselspieler („Er ist der Chef“) ist nach seinem Abstecher zum Schweizer Nationalmannschaftsarzt Cuno Wetzel (das Abendblatt berichtete) wieder zurück in Hamburg. Am Dienstag ließ der Mittelfeldabräumer, der wie kein Zweiter beim HSV das Spiel des Gegners antizipiert und Pässe abfängt, sein linkes Knie mit einer Stromtherapie pflegen. „Er würde am liebsten gleich wieder trainieren, auch wenn das aus medizinischer Sicht vielleicht gar nicht so sinnvoll wäre. Er ist aber hartnäckig und lässt sich auch vom Arzt nichts sagen“, sagt Zinnbauer, der trotz des erfolgreichen Versuchs der sogenannten Doppelacht mit Lewis Holtby und Rafael van der Vaart im offensiven Mittelfeld seinem niederländischen Nationalspieler keine Einsatzgarantie gegen Wolfsburg ausstellen will. „Für keinen Spieler ist es einfach, wenn er nicht weiß, ob er spielt oder nicht. Aber eine Garantie bekommt bei mir keiner.“ Auch nicht der Kapitän.

Am Donnerstag will sich Zinnbauer zunächst aber noch mal live vor Ort beeindrucken lassen. Statt TV-Studiums von der Couch aus steht Wolfsburgs Europa-League-Spiel gegen FK Krasnodar auf dem Programm. Die Russen hatten ja bereits beim 2:4 im Hinspiel eindrucksvoll bewiesen, wie man nicht gegen Wolfsburg spielen sollte. Fehlt also nur noch der von Zinnbauer erhoffte Nachweis, wie man es besser macht.