Beim Spiel gegen Bayer Leverkusen hat der HSV-Chef bereits unter starken Schmerzen im Knie gelitten. Nun droht Behrami in Wolfsburg auszufallen. Wie kaputt ist der Schweizer wirklich?

Hamburg. Am Sonntag und Montag war Valon Behrami nicht zu sprechen. Auch nicht für die Anhänger vom HSV-Fanclub Kehdingen, die den Hamburger Mittelfeldchef zu gerne am Wochenende in ihrem Bauernstübchen in Drochtersen empfangen hätten. Doch der Schweizer musste den zuvor fest zugesagten Trip in die niedersächsische Provinz kurzfristig absagen. Termine in der Schweiz, so hieß es etwas mysteriös.

Behrami sagt ungerne ab. Wenn er gebraucht wird, dann ist er da. Doch weil Behrami eben so ist, wie er ist, musste er am Tag nach dem Sieg gegen Leverkusen in die Heimat. Kein Familienbesuch, sondern ein Termin beim Schweizer Nationalmannschaftsarzt Cuno Wetzel. „Mir fehlen noch 20 bis 30 Prozent. Ich habe noch immer Schmerzen“, sagte der Fußballer nach dem 1:0-Erfolg gegen Bayer, und verriet dabei offenbar nur die halbe Wahrheit.

Die ganze Wahrheit verriet Trainer Josef Zinnbauer. „Valon hat ein überragendes Spiel gemacht. Und das vor allem, weil er eigentlich gar nicht spielen konnte“, berichtete der Coach nach dem Sieg gegen Leverkusen, der vor allem auch ein Sieg Behramis über die Schmerzen war. „Auch in der Halbzeit sagte Valon zu mir: Trainer, ich kann eigentlich nicht mehr. Ich habe dann gesagt: Spiel weiter, bis du wirklich nicht mehr kannst“, so Zinnbauer, der auf diesen Moment nicht lange warten musste: „Schon vor dem Wiederanpfiff hat Valon noch mal Wechsel signalisiert. Während des Spiels habe ich dann aber nichts mehr gehört. Das ist schon sensationell, wie sich Valon aufopfert.“

Beiersdorfer bewundert Leidenschaft

Die Quittung für seinen Einsatz erhielt der Mittelfeldkämpfer am nächsten Tag. Nationalmannschaftsarzt Wetzel, der Behramis geschundenen Körper wie kein Zweiter kennt, war offenbar nicht ganz so begeistert wie Zinnbauer. Patellasehnenprobleme, Mittelfußknochenriss, Haarriss im Handknochen, Fußstauchung, Innenbandriss, Außenbandriss, Kreuzbandriss, Leisten-OP, Oberschenkelzerrung, Adduktorenzerrung – es gibt nichts, was Wenzel bei Behrami noch nicht behandelt hat. Doch besonders das linke Knie, das dem 29 Jahre alten Fußballer nicht erst seit einem erneuten Schlag aus dem Spiel gegen Hertha BSC (0:3) Probleme bereitet, macht dem Mediziner diesmal Sorgen. Ein erneuter Einsatz Behramis am kommenden Sonntag (15.30 Uhr, Liveticker auf abendblatt.de) gegen den VfL Wolfsburg, so der Arzt, sei deshalb – mal wieder – sehr unwahrscheinlich.

Das letzte Wort ist aber noch nicht gesprochen. Nicht bei Behrami. „Auch wenn ich mal nicht trainieren kann, bin ich bei den Spielen bei 100 Prozent“, sagte der Kämpfer bereits zum Anfang der Saison, als er zwischen den Spielen schon mehr pausieren als trainieren musste. „In der Woche zwischen den Spielen bin ich tot. Da geht oft überhaupt nichts.“ Doch am Wochenende, da geht es dann meistens eben doch. Nicht mit Spritzen, auch nicht mit Tabletten. Sondern mit Willensstärke. „Diese Leidenschaft habe ich immer bewundert“, sagt HSV-Chef Dietmar Beiersdorfer. „Besonders beeindruckend finde ich, dass Valon nie müde wird, diese Qualitäten abzurufen.“

Nur eine Frage drängt sich bei der Geschichte vom nimmermüden Helden auf: Wie lange kann das gut gehen?

Für eine Antwort reicht ein Blick in Behramis umfassende Krankenakte nicht aus. Valon Behrami, im albanischen Titova Mitrovica geboren, musste schon früh lernen zu kämpfen. Bereits mit fünf Jahren zog er mit seiner Familie aus dem Kosovo, wo das Bruttoinlandprodukt pro Kopf ein Zehntel des EU-Durchschnitts beträgt und wo mit 31 Prozent die Arbeitslosenquote noch heute die höchste in ganz Europa ist, in das schweizer Kanton Tessin. Zwei Koffer hatten die Behramis dabei, Vater Ragip schleppte Salamikisten in Lastwa-gen, Mutter Halime hat geputzt. „Meine ganze Familie erwartet, dass ich unbedingten Willen zeige“, sagte Behrami mal der „Sportbild“, als er erklären sollte, warum er in jedem Spiel bis ans Äußere geht: „Weil meine Mentalität vom Ehrgeiz bestimmt ist. Wenn du mit nichts kommst, bleibt dir nur ein Weg: arbeiten, um etwas zu erreichen. Dieser Ehrgeiz steckt tief in mir.“

Bis ans Limit

Und Behrami kämpfte. Zunächst als Kind, um als sogenannter Secondo dauerhaft in der Schweiz bleiben zu dürfen. Mehrmals drohte im italienischsprachigen Südtessin die Ausweisung, erst nach zwölf Jahren wurde Behrami eingebürgert. Und auch auf dem Fußballplatz ging Behrami bis ans Limit – und oft darüber hinaus. „Ein Leben ohne Schmerzen kann ich mir gar nicht vorstellen. Wenn ich bei dem Stil, den ich spiele, keine Schmerzen hätte, würde ich was falsch machen“, sagte der Mittelfeldabräumer der Schweizer Zeitung „Blick“, und wagte einen wenig verheißungsvollen Ausblick auf die Zeit nach dem Fußball: „Mein Körper wird nach der Karriere kaputt sein.“

HSV-Chef Beiersdorfer wusste um Behramis Einstellung, als er dem Fighter im Sommer in einem Hotel in Mailand einen Wechsel nach Hamburg schmackhaft machen wollte. „Sein Wille ist beeindruckend. Diese Komponente war genau das, was ich unbedingt beim HSV wollte“, sagt Beiersdorfer, der Behrami schon in seiner Amtszeit als Sportchef nach Hamburg lotsen wollte. Doch die 6,3 Millionen Euro, die West Ham United seinerzeit für den Schweizer Nationalspieler zahlte, waren selbst dem damals noch besser gestellten HSV zu viel. Dass der Preis für den dreifachen WM-Teilnehmer seitdem in den Keller ging, kann kaum mit Behramis Leistungen erklärt werden. Für den SSC Neapel absolvierte der Führungsspieler in der vergangenen Saison trotz seiner üblichen Wehwehchen 21 Spiele in der Serie A und stand in allen sechs Champions-League-Vorrundenspielen auf dem Platz. Viel mehr waren es eben jene Wehwehchen, die in Fachkreisen längst die Runde machten. Besonders die Verschleißerscheinungen im Knie gaben Grund zur Sorge. Einerseits. Machten Behrami, an dem auch Atlético Madrid und Inter Mailand Interesse gehabt haben sollen, aber für den HSV bezahlbar. Andererseits.

„Verletzungen gehören bei mir einfach dazu“, sagt Behrami, der sicherlich auch bis zum Sonntag gegen Wolfsburg alles geben wird, um wieder auf dem Platz zu stehen. „Der Kampf ist der Schlüssel zum Erfolg“, sagte Behrami am Sonnabend, und wollte damit den Erfolg der Mannschaft gegen Leverkusen erklären. Was er nicht sagte: Es ist die Erklärung seines Lebens.