Seit Sommer dieses Jahres verstärkt der Brasilianer die Abwehr. Im Abendblatt-Interview spricht der HSV-Neuzugang über Wortungetüme, schlaflose Nächte und verrückte Hamburger.

Hamburg. Selbst beim Frühstücksbüfett im Hotel Elysée fragt Cléber neugierig nach: Was es mit diesem Franzbrötchen auf sich habe, will der HSV-Profi wissen. Doch statt der Hamburger Frühstücksspezialität belässt es der gebürtige Bahianer bei einem Turm aus frischem Obst. „So ähnlich sieht auch mein Frühstück in Brasilien aus“, sagt er vor seinem ersten ausführlichem Interview in Deutschland.

Hamburger Abendblatt: Cléber, stimmt es, dass Sie noch nie Schnee gesehen haben?

Cléber: Noch nie. Und wenn es schneit, werde ich mich zu Hause einschließen.

Im Internet wurde bereits gespottet, dass Sie wohl eher vom ersten Schnee als vom ersten HSV-Sieg überrascht werden. Können Sie darüber lachen?

Cléber: Ein Auge lacht, das andere weint. Der Start war zwar nicht gerade toll, aber wir werden uns schon bemühen, dass wir den einen oder anderen Sieg feiern können, bevor es in Hamburg schneit.

Wie lange knabbern Sie an so einem Fehler wie vor dem 0:1 gegen Frankfurt, als Sie über den Ball hauten?

Cléber: Lange. Als ich abends im Bett lag, musste ich immer wieder an diese Szene denken. Ich konnte deswegen nicht mal schlafen. Ich bin dann erst gegen 7 Uhr eingeschlafen und als dann 40 Minuten später um 7.40 Uhr der Wecker klingelte, war es sofort wieder das Erste, an das ich denken musste.

Sie waren vor dem Wechsel noch nie in Europa. Wie ist es denn hier?

Cléber: Alle sind sehr nett zu mir, aber natürlich ist für mich hier alles neu und anders. Ich war ja vorher noch nie im Ausland gewesen. Jeden Tag werde ich hier aufs Neue überrascht. Ich konnte es zum Beispiel gar nicht glauben, dass es hier extra Straßen für Fahrräder neben den Straßen für Autos gibt. In Brasilien fährt niemand Fahrrad, höchstens mal im Urlaub.

Ihr Wechsel wurde Ende August in nur wenigen Tagen vollzogen. Was wussten Sie vorher über Hamburg?

Cléber: Gar nichts. Drei Wochen vor dem Wechsel habe ich das erste Mal vom HSV gehört. Im Internet habe ich dann erst einmal Hamburg gegoogelt. Dort stand, dass Hamburg eine der reichsten Städte Deutschlands ist. Und dass es sehr grün ist. Ich habe dann auch Paolo Guerrero (Ex-Mitspieler bei Corinthians, die Red.) ausgefragt. Er sagte mir, dass die Leute hier sehr zurückhaltend sind, dass man hier aber gut leben kann.

Hatten Sie Angst vor dem Abenteuer in eine ganz fremde Welt?

Cléber: Doch. Ein bisschen schon. Vor allem vor der deutschen Sprache. Ich hatte ein wenig Angst davor, dass ich hier ganz alleine auf mich gestellt bin. In Brasilien habe ich meine Familie und meine Freunde. Als ich in den Flieger nach Deutschland stieg, habe ich alles hinter mich gelassen. Das hat mir schon ein bisschen Angst gemacht. Aber gleichzeitig war es auch eine Herausforderung für mich. Es ist ein ganz neuer Anfang. Ich weiß, dass ich ab und an leiden werde und dass es hart werden kann. Aber ich will diese Herausforderung unbedingt bestehen.

Auch Ihre Landsmänner Thiago Neves und Alex Silva wurden wie Sie für viel Geld nach Hamburg gelockt und scheiterten, weil sie sich nie wirklich adaptierten. Warum tun sich Brasilianer so schwer fernab der Heimat?

Cléber: Jeder ist anders, aber natürlich ist es für Brasilianer oft nicht ganz einfach. Man kommt nicht nur mit der Sprache und dem ständig wechselnden Wetter durcheinander, sondern sogar mit der Uhrzeit. Man muss sich immer wieder daran erinnern, dass Deutschland fünf Stunden vor Brasilien ist. Und auch an das Essen muss man sich erst einmal gewöhnen. Wir sind Fleisch, Bohnen und Reis gewohnt, hier gibt es irgendwie immer Pasta.

Mit Edson Büttner hat der HSV Ihnen einen persönlichen Betreuer zur Seite gestellt. Wofür brauchen Sie ihn eigentlich?

Cléber: Er gibt mir Sprachunterricht und hilft mir auch sonst viel. Sowohl bei Gesprächen mit dem HSV als auch bei Terminen wie zum Beispiel mit der Bank. Er hat mir auch geholfen, ein Haus zu finden. Kommende Woche ziehe ich in mein eigenes Zuhause nach Rissen, was extrem wichtig für mich ist.

Wie oft lernen Sie in der Woche Deutsch?

Cléber: Jeden Tag. Mein erstes Wort, das ich gelernt habe, war Abseitsfalle. Aber diese Sprache treibt mich noch in den Wahnsinn. Schauen Sie mal hier (zeigt auf sein iPhone und spricht langsam auf Deutsch): Batterieladezustand. Was ist das für ein Wortungetüm? (lacht)

Keiner Ihrer Mannschaftskollegen spricht portugiesisch. Wie verständigen Sie sich über Nicht-Fußballthemen?

Cléber: Einfach ist es nicht. Aber zum Beispiel mit Valon Behrami, der ja italienisch spricht, kann ich mich sehr langsam unterhalten. Er ist ziemlich geduldig mit mir. Denn obwohl ich jeden Tag Deutsch lerne, traue ich mich noch nicht so recht, mit den Jungs auch deutsch zu sprechen.

Was machen Sie an einem Tag wie diesem, an dem trainingsfrei ist?

Cléber: Ich bin eher ein sehr ruhiger Typ, am liebsten bin ich zu Hause. Heute werde ich mit Edson ein wenig Deutsch lernen und ansonsten eher im Hotel bleiben.

Sie müssen doch mal rauskommen! Hamburg ist schön, was hat Ihr Betreuer Edson Ihnen gezeigt außer Hotel und Volkspark?

Cléber: Ich habe eine Sightseeingtour mit einem Doppeldeckerbus gemacht. Wir waren im Zentrum und am Hafen, auch durch die Schanze bin ich mit Edson schon gebummelt. Er hat mir dieses komische Gebäude gezeigt, wie heißt das noch mal?

Die rote Flora?

Cléber: Genau. Einige Leute lagen auf Matratzen vor dem Gebäude. So etwas kenne ich aus Brasilien nicht.

Was brauchen Sie, um sich wirklich heimisch zu fühlen?

Cléber: Meine eigenen vier Wände, mein Grill und meine Musik. Ich liebe brasilianische Musik: Samba, Pagode, Funk.

Ihre Freundin und Ihr vierjähriger Sohn kommen demnächst nach Hamburg. Was hat Ihre Freundin gesagt, als Sie ihr offenbarten, nach Hamburg zu wechseln?

Cléber: Viel hat sie nicht gesagt. Sie weiß ja, dass es für einen Fußballer normal ist, weiterzuziehen. In Brasilien sagt man, dass Fußballprofis „Zigeuner“ sind. Noch sind sie und mein Sohn in Brasilien. Aber wir telefonieren viel. Auch meine Mutter ruft jeden Tag an und will wissen, wie es ihrem Sohn geht. Seit meiner Kindheit habe ich sie noch nie solange nicht gesehen wie jetzt.

Waren Ihre Eltern noch gar nicht hier?

Cléber: In ein Flugzeug steigen, zwölf Stunden fliegen und dann im kalten Deutschland sein? Das ist nichts für meine Eltern. Mein Vater hat sogar Flugangst. Ich hoffe, dass wir vielleicht über Weihnachten ein paar Tage frei bekommen und dass ich sie dann sehen kann. Dann soll es ja ohnehin hier ziemlich kalt sein, das ist nichts für mich.

Reizt es Sie gar nicht, mal auf der gefrorenen Außenalster spazieren zu gehen?

Cléber: Für kein Geld der Welt würde ich da raufgehen. Ein gefrorener See? Und die Hamburger gehen da wirklich rauf? Die müssen verrückt sein …