Der HSV-Vorsitzende Carl Jarchow über seine persönliche Zukunft, ein neues Minus und seine Erwartungen an die kommende Saison

Hamburg. An diesem Montag reist der HSV-Vorsitzende Carl Jarchow ins Trainingslager nach Glücksburg nach. Im Abendblatt erklärt der 59-Jährige, warum er sich aktiv an der Neugestaltung des Clubs beteiligen will.

Hamburger Abendblatt:

Herr Jarchow, mit welchen Gefühlen gehen Sie in die neue Saison?

Carl Jarchow:

Mit sehr positiven. Nach wie vor spüre ich Erleichterung und Demut nach dem Klassenerhalt, eine große Entspannung. Die Mitgliederversammlung haben wir sehr gut hinter uns gebracht. Auch wenn wir in der jetzigen Übergangsphase die eine oder andere Ruckeligkeit zu bewältigen haben, freue mich auf die neue Saison und hoffe, dass es uns gelingt, die Mannschaft vernünftig zusammenzustellen.

Vor einem Jahr haben Sie reichlich mediale Prügel dafür kassiert, weil Sie sich mit Vereinen wie Wolfsburg und Schalke auf Augenhöhe wähnten.

Jarchow:

Ich habe damals nur gesagt, dass wir nach dem Erreichen von Tabellenplatz sieben und einer spielerisch eher mäßigen Saison besser sein wollen. Man kann sich ja nicht hinstellen und als Saisonziel formulieren: Wäre ja schön, wenn wir dieses Mal Zehnter werden. Im Übrigen bin ich auch vor der neuen Saison der Meinung, dass wir uns verbessern sollten …

Bleibt die Konsolidierung einziges Ziel? Was sollte sich der HSV vornehmen?

Jarchow:

Wir haben eine riesige Bringschuld gegenüber unseren Fans und der Stadt Hamburg, vernünftige sportliche Leistungen zu bringen. Unser Ziel muss es sein, eine Kontinuität zu schaffen, was uns in den vergangenen Jahren nicht geglückt und ganz klar unser Versäumnis ist. Dietmar Beiersdorfer, dem neuen Hauptverantwortlichen Sport, würde man keinen Gefallen tun, ihm zu viel Last auf den Rücken zu legen. Das Team sinnvoll zu ergänzen und Schritt für Schritt besser zu werden, das muss unser Anspruch sein.

Wie viel Finanzspielraum hat der HSV?

Jarchow:

Ein Budget können wir erst nach dem 1. Juli verabschieden. Derzeit sind wir mit dem künftigen AG-Aufsichtsrat dabei abzuklären, wie groß dieser Spielraum ist.

Ziel Ihres Vorstands war es, kein Minus mehr zu erwirtschaften. Bedingt durch den sportlichen Misserfolg, ist von einem neuen Millionenminus die Rede.

Jarchow:

Für den HSV e.V. wird es zum 30. Juni ein leichtes Minus geben, nicht nur aufgrund zusätzlicher Ausgaben, auch durch fehlende Einnahmen. Wir haben bei den TV-Einnahmen mit einem anderen Ranking kalkuliert.

Das klingt nach weniger als den kolportierten fünf Millionen Euro Minus.

Jarchow:

Es wird auch weniger sein.

Wie stimmen Sie sich mit Beiersdorfer ab? Und warum fängt er nicht früher an?

Jarchow:

Er wird schon jetzt mit einbezogen, ist bei Gesprächen und Abstimmungen überall dabei. Es ist seine eigene Entscheidung, dass er sich noch öffentlich zurückhält, da sein Arbeitsvertrag mit dem Übergang in die Fußball-AG erst ab dem 1. Juli beginnt.

Wie definieren Sie denn Ihre künftige Rolle in der AG?

Jarchow:

Ich möchte dem Vorstandsvorsitzenden Beiersdorfer meine volle Unterstützung geben, damit er in dieses Amt möglichst reibungslos reinkommt und nicht an der Entwicklung der Mannschaft gehindert wird.

Nun gab es die Forderung von Klaus-Michael Kühne auch an Sie, sofort zurückzutreten. Warum sagen Sie nicht: Dann macht doch euren Mist alleine?

Jarchow:

Weil ich nach dreieinhalb Jahren in dieser Tätigkeit weiß, dass man nicht emotional handeln sollte. Man ist es gewöhnt, angegriffen zu werden, positive und negative Kritik zu erhalten. Für mich zählt nur eines: Ich habe eine Aufgabe zu erfüllen. Mir liegt der HSV am Herzen, und ich möchte alles dafür tun, dass dieser Übergang gelingt. Da interessieren mich derartige Forderungen von außen wirklich nicht.

Trotzdem ist für Sie der 1. Juli eine Zäsur. Unterm Strich ist es sportlich und wirtschaftlich nicht wie gewünscht gelaufen. Was sagen Sie denen, die fordern, dass es Zeit sei, den Platz zu räumen?

Jarchow:

Es stimmt, wir sind sportlich nicht da, wo wir sein wollten. Vor drei Jahren haben wir eine gewisse Situation vorgefunden und es nicht geschafft, über das Erreichen sportlicher Ziele die wirtschaftliche Situation zu verbessern. Ich stehe dazu, setze mich damit offensiv auseinander und kann Ihnen versichern, dass ich nicht vorhabe, alles zu versuchen, mein Leben lang einen Posten beim HSV zu bekleiden. Ich habe einen laufenden Vertrag. Der HSV muss mich bezahlen, also tue ich auch was dafür. Dabei geht es nicht um langfristige Planungen oder ein Festhalten am Amt.

Mit Karl Gernandt führt ein Vertrauter Kühnes künftig den Aufsichtsrat. Erschweren und belasten solche Forderungen nicht die künftige Zusammenarbeit?

Jarchow:

Nein, das erwarte ich nicht.

Wann beschäftigen Sie sich mit Ihrer Zukunft? Sie könnten ja Anfang 2015 nur noch als Präsident des e.V., der gleichzeitig AG-Aufsichtsrat ist, weitermachen.

Jarchow:

Mit Verlaub, das ist eine typische Medienfrage. Die Medien interessieren sich immer mehr für Personen als für Inhalte. Die Frage, ob ich mir das weiter vorstellen kann, stellt sich erst Ende des Jahres, das ist derzeit völlig offen. Mal sehen, wer sich sonst noch so berufen fühlt.

Nach den vielen gesammelten Erfahrungen: Was ist wichtig, damit beim HSV wieder der Erfolg zurückkehrt?

Jarchow:

Unser Basisgeschäft ist der Fußball. Wir müssen sehen, dass wir möglichst schnell auf eine andere Spur kommen. Wir haben ja kein Problem auf der Einnahme- oder der Vermarktungsseite, nur stößt man auch hier an Grenzen ohne sportlichen Erfolg. Dabei ist wichtig, die richtigen Leute auf den wichtigen Posten zu haben.

Zum Beispiel den richtigen Trainer.

Jarchow:

Ich glaube, wir haben den richtigen Trainer. Im Umfeld der Mannschaft haben wir einiges verändert. Jetzt gilt es, die richtige Mischung an Spielern zu finden, junge Leute aufzubauen, die zu Identifikationsfiguren reifen können. Pierre-Michel Lasogga wäre ein Kandidat dafür.

Werden Sie sich dafür einsetzen, dass Oliver Kreuzer dabei mitwirken kann?

Jarchow:

Ich führe mit Didi Beiersdorfer alle Diskussionen sehr offen und detailliert. Ich will jetzt hier keinen weiteren Druck ausüben, mache aber kein Geheimnis daraus, dass ich Oliver Kreuzers Arbeit sehr schätze.