Erst Spieler, dann Sportchef – jetzt soll der Dietmar Beiersdorfer den HSV führen.

Hamburg. Dieser potenzielle Neuzugang elektrisiert die HSV-Fans: Dietmar Beiersdorfer steht vor einer Rückkehr zum HSV als Vorsitzender der Fußball-AG. Zu klären sind im Wesentlichen noch drei Punkte: Einigt sich der 50-Jährige mit dem künftigen Aufsichtsratschef Karl Gernandt auf die Vertragsdetails? Wie viel Geld wird Beiersdorfer von Klaus-Michael Kühne zur Verfügung gestellt bekommen, um ein schlagkräftiges Team aufzubauen? Und vor allem: Unter welchen Bedingungen lässt ihn sein Zenit St. Petersburg ziehen, wo er bis 2015 unter Vertrag steht?

Die führende russische Sporttageszeitung „Sovetsky Sport“ schrieb, dass die Zenit-Bosse über einen vorzeitigen Abschied Beiersdorfers noch nicht abgestimmt hätten, mit der Arbeit ihres Sportchefs aber nicht voll zufrieden seien. „Ich lasse mich gerne daran messen, ob er uns zusagt“, sagt Gernandt, der keine Zweifel daran ließ, dass er Beiersdorfer unbedingt zum HSV lotsen will. Doch wer glaubt, dass dieser bereits Anfang dieser Woche präsentiert werden kann, sah sich getäuscht. Es gab und gibt erheblichen Redebedarf. Gelingt aber ein Abschluss, wäre es bereits Beiersdorfers drittes Gastspiel in Hamburg: Als Spieler gewann er den DFB-Pokal 1987, als Sportchef war er mitverantwortlich für die letzten erfolgreichen Europapokalzeiten des HSV. Seitdem sind fast fünf Jahre vergangen.

Der Abschied in Hamburg. Am 23. Juni 2009 war nach fast sieben Jahren die erste Ära als Funktionär beim HSV vorbei, mit dem damaligen Aufsichtsrat (an der Spitze Horst Becker) wurde der eigentlich noch bis Dezember 2010 laufende Vertrag vorzeitig aufgelöst. „Entweder Bernd Hoffmann oder ich, einer muss weg“, vor diese Wahl hatte Beiersdorfer damals das Kontrollgremium gestellt. Dort das Alphatier Hoffmann, auf der anderen Seite der abwägende Zweifler und Zauderer – zunächst hatte das Duo viele Jahre gut zusammengearbeitet, beispielhaft bei Nigel de Jong. Nachdem Beiersdorfer, der vielfach sein gutes Gespür für Spieler bewies, den Niederländer für den HSV entdeckt und für 1,5 Millionen Euro verpflichtet hatte, verkaufte ihn Hoffmann trotz einer Ausstiegsklausel, die ein paar Monate später gegriffen hätte, für 18 Millionen Euro zu Manchester City.

Doch am Ende ging nichts mehr. Die verlorenen Halbfinals gegen Werder Bremen im DFB- und im Uefa-Pokal 2009 sorgten für Frustration und verstärkten die Dissonanzen. „Die Kompetenzüberschreitungen hatten zuletzt System“, klagte Beiersdorfer im Abendblatt-Gespräch und befürchtete: „Dem HSV geht die Seele verloren.“

Der Abschied aus Hamburg wurde ihm mit einer Abfindung in Höhe von einer Million Euro versüßt.

Die Zeit bei Red Bull. Im November 2009 trat Beiersdorfer das Amt des sportlichen Leiters für das „Red Bull Global Soccer Project“ an, das Gesamtprojekt Fußball der Energy-Getränkemarke. Dort hatte er die Verantwortung für alle Standorte des Konzerns. Beiersdorfer arbeitete sich akribisch ein, durchleuchtete alle Stellen und ließ keinen Stein auf dem anderen. Auf der einen Seite kümmerte er sich um die Kaderplanung der New York Red Bulls, die in der folgenden Saison vom schlechtesten zum besten Team der Vor-Play-off-Saison aufstiegen, auf der anderen Seite begann der gebürtige Fürther in Leipzig mit einer kompletten personellen Neuausrichtung.

Konsequente Maßnahmen, die nicht überall auf Begeisterung stießen, in Sachen Nachwuchsförderung, Scouting und Talententwicklung aber neue Maßstäbe setzten. So war es dem Sportchef zu verdanken, dass der heute 22 Jahre alte Brasilianer André Ramalho in der Abwehr des Salzburger Teams in dieser Saison für Furore sorgte. Vor knapp fünf Jahren fiel das Talent Beiersdorfer in der Red-Bull-Akademie in São Paulo auf und wurde als erster Spieler nach Österreich transferiert.

Beiersdorfers Arbeit war mittel- und langfristig ausgerichtet – was ihm am Ende ein wenig zum Verhängnis wurde. RB Leipzig schien zu der Zeit in der Regionalliga hängen zu bleiben, der geplante Durchmarsch wollte nicht auf Anhieb gelingen. Und auch in Salzburg lief nach einem tollen ersten Jahr sportlich nicht mehr alles nach Plan. Der später gefeuerte Trainer Huub Stevens stand stark in der Kritik, die auf seinen „Spezi“ Beiersdorfer abfärbte. Zudem waren Red-Bull-Boss Dietrich Mateschitz und Beiersdorfer grundverschiedene Charaktere. Schlussendlich trennte man sich im April 2011 in Salzburg „einvernehmlich“ – doch Beiersdorfer fühlte sich in seiner Arbeit einfach zusehends eingeschränkt.

Die Zeit bei St. Petersburg. Seit August 2012 ist Beiersdorfer Sportchef bei Zenit St. Petersburg. Bei der Verpflichtung machten die Club-Oberen deutlich, dass sie sich unter ihm eine Weiterentwicklung der Jugendarbeit versprechen. Allerdings verfügt Zenit mit dem Erdgasunternehmen Gazprom über einen äußerst potenten Eigentümer, der die Jugendarbeit im Sommer 2012 vorerst redundant werden ließ und knapp 90 Millionen Euro für die Transfers von Hulk und Axel Witsel bereitstellte, die Beiersdorfer abwickelte. St. Petersburg wurde unter dem deutschen Sportchef zweimal Vizemeister in der Liga und erreichte in Europa League und Champions League das Achtelfinale.

Privat hatte sich Beiersdorfer nach eigenem Bekunden schnell in St. Petersburg eingelebt, doch seine Familie pendelte zwischen Hamburg und der zweitgrößten russischen Stadt: ein halbes Jahr hier, ein halbes Jahr dort. Russische Medien verglichen ihn bereits mit Shakespeares „Hamlet“, um auf sein zögerliches Verhalten hinzuweisen. Tenor: Der Sportchef passe mit seiner abwägenden Art nicht nach Russland. Wenn er weg will, könne er gehen – Reisende solle man nicht aufhalten.