HSV-Sportdirektor Oliver Kreuzer erklärt, warum der Jungstar bleiben muss und er selbst auch ohne Vorstandsamt weiterarbeiten würde

Hamburg. Mit dem iPad unter dem Arm kommt Oliver Kreuzer, 48, zum Gespräch mit dem Abendblatt in die Lobby des Elysée-Hotels. Als er vor dem Interview noch schnell die tägliche Presseschau des HSV durchsieht, schüttelt er nur mit dem Kopf: „Schau an, der Hakan hat also wieder gesprochen.“ In der „Sport Bild“ erneuerte Hakan Calhanoglu, 20, seinen Wechselwunsch: „Ich möchte den Verein definitiv verlassen. Meine Perspektive sehe ich ganz klar bei Bayer Leverkusen. Wenn der HSV meinen Wechsel blockiert, weiß ich nicht, ob ich weiter so locker und leicht spielen könnte.“ Seinen Meinungswandel gegenüber Februar, als er seinen Vertrag bis 2018 verlängert hatte, begründet er mit mangelnder Perspektive: „Ich bin mit großer Hoffnung hierhergekommen, aber ich habe sie verloren.“ Das Verhalten von Clubchef Carl Jarchow, der mit einem Journalisten öffentlich wettete, dass der türkische Nationalspieler beim HSV bleiben würde, interpretiert er als „respektlos“. Zudem sei ein Wechsel für den HSV ein gutes Geschäft: „Ich gebe dem HSV viel zurück.“ Der Verein würde „mindestens zehn Millionen mehr“ kassieren als die 2,5 Millionen Euro, für die er vor der Saison vom KSC gekommen war. Calhanoglus Äußerungen sind eine Steilvorlage für das Interview.

Hamburger Abendblatt:

Herr Kreuzer, Hakan Calhanoglu erhöht den Druck auf den HSV. Ist es nicht doch sinnvoller, ihn jetzt für weit über zehn Millionen Euro abzugeben, statt einen unzufriedenen Spieler halten zu wollen?

Oliver Kreuzer:

Das wäre genau das falsche Signal. Vor drei Monaten hat uns Hakan gesagt, welche große Perspektive er beim HSV sieht, wie sehr er sich zu diesem Verein bekennt, dass er hier helfen möchte, etwas aufzubauen. Und jetzt soll auf einmal alles anders sein? Nein, das können wir nicht akzeptieren.

Aber er will nun mal die Champions-League-Hymne auf dem Platz hören.

Kreuzer:

Die Hymne war im Februar genauso schön wie jetzt. Nein, ich sehe Hakan für uns als einen Schlüsselspieler in den kommenden Jahren. Im Übrigen halte ich es auch für besser für ihn, sich hier beim HSV zu entwickeln.

Calhanoglu sagt, er will ein Weltstar wie Messi oder Cristiano Ronaldo werden.

Kreuzer:

Noch ist er ein Spieler, der viel dazulernen kann. In der Rückwärtsbewegung, in taktischen Dingen. Und er kann körperlich noch robuster werden für das notwendige Tempo beim schnellen Umschaltspiel nach vorn.

Wie erklären Sie sich den Sinneswandel?

Kreuzer:

Vielleicht haben ihm Berater oder das familiäre Umfeld signalisiert, dass er jetzt schon unbedingt international spielen müsse. Oder dass er hier zu wenig verdient. Aber die Frage stellt sich sowieso nicht. Hakan hat bei uns einen langfristigen Vertrag ohne Ausstiegsklausel. Punkt.

Andererseits wäre eine Millionen-Transfereinnahme angesichts klammer Kassen schon gut.

Kreuzer:

Im Abstiegsfall hätten wir darüber vielleicht nachdenken müssen. Aber jetzt sind wir finanziell so aufgestellt, dass wir auf diese Transfersumme nicht angewiesen sind.

Hat er mit seiner Kritik an der mangelnden Perspektive des Vereins nicht doch recht? Woher nehmen Sie die Zuversicht, dass in der kommenden Saison irgendetwas besser werden wird, zumal der Gehaltsetat noch von etwa 43 auf 38 Millionen Euro reduziert werden muss?

Kreuzer:

Zunächst einmal haben wir jetzt mit Mirko Slomka einen Trainer, der dafür sorgen wird, dass die Mannschaft eine Top-Vorbereitung machen wird. Mirko achtet extrem auf Fitness, die Jungs werden körperlich zu 100Prozent fit in die neue Saison gehen. Welch große physischen Defizite wir hatten, war ja in der Schlussphase des zweiten Relegationsspiels in Fürth deutlich zu sehen.

Nur eine bessere Fitness wird am Ende nicht reichen.

Kreuzer:

Deshalb soll die Mannschaft in der kommenden Saison auch ein anderes Gesicht bekommen. Wir brauchen neue Impulse, neue Reizpunkte. Die neuen Spieler sollen den Konkurrenzkampf im Team neu entfachen. Druck erzeugt bekanntlich Leistung.

Welchen Spielertyp suchen Sie?

Kreuzer:

Wir brauchen Spieler mit Qualität, erfolgshungrige Profis mit einer positiven Ausstrahlung.

Auf welchen Positionen?

Kreuzer:

Wir müssen sicherlich in der Offensive was tun. Im Mittelfeld etwa haben wir zwar sehr gute Fußballer, aber uns fehlen Torgefahr und Kopfballstärke.

Neueinkäufe bei reduziertem Etat setzen voraus, dass Sie Spieler abgeben.

Kreuzer:

Die Verträge von Rincon und Tesche laufen aus, beiden Spielern haben wir mitgeteilt, dass wir mit ihnen nicht mehr planen. Auch die Leihgaben Ola John und Ouasim Bouy werden uns wieder verlassen. Aber natürlich müssen wir auch schauen, dass wir uns von dem einen oder anderen Spieler mit laufendem Vertrag trennen.

Welche Fehler werfen Sie sich konkret vor, was die vergangene Saison angeht?

Kreuzer:

Rückblickend war die Trainingsgruppe zwei...

.... in die Sie Spieler wie Tesche, Rajkovic oder Mancienne abgeschoben haben...

Kreuzer:

... ein Fehler. Wir wollten den Spielern damit ein letztes Signal geben, dass sie sich einen neuen Verein suchen sollen. Das hat nicht funktioniert, die Spieler bestanden auf ihren Verträgen. Ich würde heute auch nicht mehr Artjoms Rudnevs an Hannover ausleihen. Aber im Winter spielte er keine Rolle mehr. Trainer Bert van Marwijk wollte sogar lieber mit Calhanoglu als hängender Spitze spielen als mit Artjoms.

Auch mit Bert van Marwijk haben Sie sich geirrt.

Kreuzer:

Bert hat in der Vergangenheit oft bewiesen, dass er sehr wohl ein sehr guter Trainer ist. Nach acht Niederlagen in Folge sahen wir uns aber gezwungen zu reagieren.

Haben Sie bei der Kaderplanung insgesamt zu sehr auf die Trainer gehört?

Kreuzer:

Die Verpflichtungen von Jacques Zoua (der Stürmer kam vor der Saison auf Wunsch von Thorsten Fink zum HSV, die Red.) oder Ola John (kam in der Winterpause auf Empfehlung von van Marwijk, die Red.) wurden ja schon oft diskutiert. Ich will mich daran nicht mehr beteiligen. Aber im Vergleich zu Transfers aus den vergangenen Jahren waren diese nur Peanuts. Unsere Krise in der abgelaufenen Bundesligasaison an ihnen festzumachen kann ich nicht nachvollziehen.

Herr Kreuzer, noch ist offen, ob Sie nach der Mitgliederversammlung am Sonntag noch entscheiden können. Stimmen mehr als 75 Prozent für HSVPlus, kommt die Ausgliederung der Profiabteilung – und wahrscheinlich Dietmar Beiersdorfer als neuer Vorstandschef. Wer auch immer dann unter ihm Sportchef wird, hat kein Vorstandsmandat mehr.

Kreuzer:

Es ist nicht meine Aufgabe, dies hier zu kommentieren. Deshalb von mir dazu nur so viel: Ich bin gern bereit, auch ohne Vorstandsamt hier weiterzuarbeiten. Auch ein Michael Zorc bei Borussia Dortmund macht seinen Job, ohne dem Vorstand anzugehören. An dem Amt als stellvertretender Vorstandschef klebe ich überhaupt nicht. Im Gegenteil: Als reiner Sportchef hätte ich noch mehr Zeit, mich ganz auf Kaderplanung und Nachwuchsarbeit zu konzentrieren.

Sie sind oft attackiert worden, standen zudem unter großem Spardruck. Was reizt Sie noch an Hamburg?

Kreuzer:

Es ist richtig, dass es aus den Gremien immer wieder hieß: sparen, sparen, sparen. Aber das war auch in Ordnung. Doch jetzt sehe ich gerade mit HSVPlus die Chance, etwas Neues hier aufzubauen. Ich mag die Raute und die Stadt sehr.