Mit starken Paraden rettete der tschechische Torhüter dem HSV das glückliche 1:1 bei Greuther Fürth – und den Klassenerhalt für die Hamburger in der Bundesliga

Fürth. Für einen Moment war der ganze Trubel vergessen. Als Jaroslav Drobny am Sonntag zehn Minuten nach dem Abpfiff in den Spielertunnel eingebogen war, wartete vor der Kabinentür ein alter Weggefährte: David Jarolim. An seiner Hand seine Tochter mit dem blauen HSV-Trikot, Nummer 14 natürlich. Die beiden Tschechen benötigten keine Worte, um ihr Glücksgefühl zum Ausdruck zu bringen. Eine herzliche Umarmung zwischen den Männern, dann bückte sich der HSV-Torwart zu Jarolims Kind, tätschelte es kurz, wechselte ein paar Worte mit ihr. Völlig entspannt. Ganz so, als ob er gerade von einem erfrischenden Spaziergang zurückgekehrt sei. Dann verschwand Drobny in der Kabine.

Auch in der Stunde seines vielleicht größten Triumphs wollte der Hamburger Torwart, der erneut für den verletzten René Adler im Tor gestanden hatte(s. Bericht unten), wie gewohnt lieber nur seine Taten sprechen lassen. Dabei hätte er so viel zu erzählen gehabt nach dem Zitter-1:1 gegen Greuther Fürth, das den Hamburgern nach dem 0:0 vom Hinspiel dank der Auswärtstorregel für den Klassenerhalt genügte.

Drobny hätte erzählen können, wie er fast 60 Minuten lang einen recht ruhigen Nachmittag verlebt hatte. Dass die Fürther auch ein wenig nervös gewesen seien und sein Team besser gestanden hatte, nicht so viele Lücken für die schnellen Franken zuließ wie noch am Donnerstag. Für eine Beruhigung der strapazierten HSV-Seele hatte in der 14. Minute Pierre-Michel Lasogga nach einer Ecke von Rafael van der Vaart per Kopf gesorgt. Wer auch sonst?

Doch dann nahm das Elend seinen Lauf. Als Zoltán Stieber durch die Beine von Jiracek Stephan Fürstner bediente, der dem HSV-Keeper aus elf Metern keine Chance ließ (59.), begannen für die 2500 mitgereisten Hamburger und alle HSV-Fans am Fernseher die wohl schlimmsten, aufreibendsten 30 Minuten aller Zeiten. Allen war klar: Nur ein Tor, und der HSV ist draußen. Abgestiegen. Abpfiff. Schluss mit dem viel besungenen „Niemals Zweite Liga“.

„Das war Körperverletzung“, stöhnte Vorstand Joachim Hilke, während Stadionchef Kurt Krägel sein Alter um zehn Jahre nach oben korrigierte und Trainer Mirko Slomka von der härtesten Zeit als Trainer sprach.

Den Spielern auf dem Platz war es nicht anders gegangen. „Ich habe ständig auf die Uhr geschaut“, sagte Dennis Diekmeier, dem wie allen anderen Spielern zentnerweise der Druck auf den Schultern lastete. „In den letzten 20 Minuten war bei einigen Spielern nichts mehr im Tank“, beschrieb Slomka treffend, wie die Kraftreserven seiner Mannschaft rapide nachließen.

Rafael van der Vaart ließ sich lange vor Spielende auswechseln („Mir tat alles weh“). Pierre-Michel Lasogga, der gerade erst von seiner Verletzung genesen war, schleppte sich nur noch über den Platz. Bei Marcell Jansen ging fast gar nichts mehr. Und dann diese Nervosität, diese Hektik, diese Anspannung! Herzinfarktgefahr im Stadion.

Spieler wie Hakan Calhanoglu oder Diekmeier brauchten nur kurz, um diesen unglaublichen Stress in pure Erleichterung zu verwandeln, sie strahlten vor Glück. Und noch eine halbe Stunde nach dem Abpfiff drangen laute Gesänge aus der HSV-Kabine wie: „Ohne Drobny wär’ hier gar nichts los.“

Ja, Drobny. Würde der legendäre Radioreporter Herbert Zimmermann noch leben, er hätte in der Schlussphase, als der 34-Jährige mehrfach retten musste, in sein Mikro geschrien: „Jaro, du bist ein Fußballgott!“ Zugegeben, etwas euphorisch, aber berechtigt aus Sicht aller HSV-Sympathisanten. „Er ist der Gewinner dieser beiden Spiele“, beglückwünschte ihn Slomka. Und Calhanoglu jubelte: „Drobo war schon immer mein Lieblingsspieler.“ Er behielt als einziger HSV-Profi Ruhe.

Manch ein Spieler fühlte, als die Anspannung aus seinem Körper entwich, aber kaum Freude. „Wahnsinn. Wahnsinn. Ich bin leer. Ich bin tot“, sagte Heiko Westermann mit ausdruckslosen Augen und gab zu, wie sehr ihm der negative Druck zugesetzt hatte. „Jetzt, nach dem Spiel, ist der Zeitpunkt gekommen, um zu sagen: Ihr könnt mich alle mal.“ Was er damit meinte: Wenn die Spieler ab Montagmittag, wenn sie sich am Stadion noch einmal getroffen haben, in den Urlaub verabschieden, will er nichts mehr hören oder sehen.

„Ich glaube, dass der Club so eine Saison nicht noch einmal überstehen würde“, mahnte Westermann noch. „In den vergangenen Jahren ist beim HSV einiges schiefgelaufen. Der HSV gehört in die Bundesliga und muss eigentlich auch international spielen.“

Der Verteidiger, der seit 2010 für die Hamburger spielt und alle schwierigen Phasen der Neuzeit durchlitten hat, dachte in der Stunde der Rettung vor allem an die Anhänger: „Für sie freut es mich am meisten. Sie haben es wirklich verdient.“

Wo aber blieb Lasogga? Die Hupe des HSV-Busses erklang von 20.40 Uhr an mehrfach, doch vom Torjäger, der sein elftes Auswärtstor dieser Saison erzielt hatte, war immer noch nicht zu sehen, weil er bei der Dopingkontrolle festhing. Offenbar half er, um endlich Wasser lassen zu können, nicht mit stillem Wasser nach. Als sich schließlich die Tür öffnete, sang er sofort lauthals „Sechsmal deutscher Meister, dreimal Pokalsieger, immer Erste Liga, HSV“, und das war der Einsatz für Drobny, sein Schweigegelübde zu brechen und in gleicher Lautstärke mitzusingen.

Lasogga war es auch, der direkt nach dem Abpfiff beinahe für eine Schlägerei gesorgt hätte. Als Schiedsrichter Knut Kircher die Partie abgepfiffen hatte, provozierte der Leihstürmer die Fürther Ersatzbank offenbar mit Worten und Gesten, weshalb Goran Sukalo gegen Lasogga handgreiflich wurde, was dieser aber gepflegt ignorierte. Als der Bus schließlich mit Lasogga an Bord um 20.55 Uhr die Trolli-Arena verließ, war dieses kleine Scharmützel jedoch längst vergessen. „Niemals Zweite Liga, niemals, niemals …“, sangen die HSV-Fans freudetrunken.

Alle, die diesen Sonntagnachmittag live erleben durften, werden ihn nie vergessen. Aber noch einmal erleben? Bitte nie mehr. Niemals.