Dennis Diekmeier hat mit Nürnberg zweimal die Ausscheidungsspiele erlebt – van der Vaart betritt Neuland.

Hamburg. Es braucht nur Sekundenbruchteile, bis die Erinnerungen an die beiden Relegationsspiele der Saison 2008/09 bei Michael Oenning wieder präsent sind. „Vor dem Anpfiff standen die Chancen bei gefühlt 20:80 Prozent“, erzählt der damalige Nürnberg-Trainer, „aber die frühe Führung in Cottbus nach 13 Minuten hat Kräfte freigesetzt. In unserem Spiel steckte unglaublich viel Tempo, woran natürlich auch Dennis Diekmeier beteiligt war.“

Als Rechtsverteidiger half der damals 19-Jährige auf der rechten Abwehrseite mit, dass die Nürnberger 3:0 triumphierten und nach dem 2:0 im Rückspiel den Aufstieg feiern konnten. Ein Jahr später musste Diekmeier erneut in die K.-o.-Duelle. Mit ihm gelang im Hinspiel gegen Augsburg ein knapper 1:0-Erfolg, beim 2:0 im Rückspiel fehlte er. „Ich habe die Relegation als reine Nervenschlacht kennengelernt, mit zunehmender Spielzeit wird es immer schwerer“, warnt Diekmeier, der 2010 nach Hamburg wechselte und an diesem Donnerstag (20.30 Uhr) in Hamburg und am Sonntag (17 Uhr) auswärts mit dem HSV gegen den Zweitligadritten Greuther Fürth antreten muss. „Gerade deshalb müssen wir als Favorit von Beginn an für klare Verhältnisse sorgen.“

Auch Oenning, der den HSV 2011 trainierte und noch immer in der Hansestadt lebt, glaubt: „Sollte es Hamburg gelingen, in Führung zu gehen, wird es eine klare Angelegenheit. Die Mannschaft hat sich zuletzt besser präsentiert, auch taktisch klüger agiert. Sie darf aber nicht den Fehler machen, blind in ihr Verderben zu rennen. Das Ziel muss sein, möglichst ohne Gegentor zu bleiben. Cottbus hat uns durch seine offensive Ausrichtung viele Kontersituationen ermöglicht.“

Unterm Strich ist Oenning sicher, dass sich der HSV nicht die Chance entgehen lassen wird, den Klassenerhalt in den beiden Extraspielen zu schaffen. Den größeren Druck sieht er jedoch eindeutig beim Bundesliga-Dino. „Wir als Zweitligist sind damals recht unbefangen in die Aufgabe gegangen, die Nervenbelastung und die Anspannung ist für den HSV wesentlich größer.“

Eine Einschätzung, mit der Oenning nicht falsch liegt, wie Rafael van der Vaart indirekt bestätigt. Vor dem letzten Spieltag in Mainz, als der direkte Abstieg drohte, habe man vielen Mitspielern die Anspannung und Nervosität angesehen, was aber kein Nachteil sein müsse, glaubt er. „Man muss einfach versuchen, das in positive Energie auf dem Platz umzuwandeln.“

Der Begriff der Relegation entstammt dem lateinischen „relegatio“ und bedeutet Verweisung oder Verbannung, er passt also im Grunde perfekt zur Lage des jeweiligen Erstligaclubs, der den Gang in die Zweite Liga in den Qualifikationsspielen noch verhindern kann. Ein flüchtiger Blick auf die Historie der bisherigen Relegationsspiele könnte allerdings zu einer leichten Beruhigung der Hamburger Nerven beitragen (siehe Tabelle). In bisher 15 Duellen gelang es dem jeweiligen Zweitligaclub nur fünfmal, den höherklassigen Verein zu bezwingen.

Doch diese Betrachtung ist wenig aussagekräftig. Nach der Wiedereinführung der Relegationsspiele zur Saison 2008/09 ist die Bilanz ausgeglichen. Die Kluft zwischen den beiden Ligen, abgesehen von den Topclubs, hat sich im Laufe der Jahre offenbar verringert. Wie schwer es ist, gegen Zweitligaclubs zu bestehen, wissen Clubs wie der HSV längst aus den Pokalduellen. So quälte sich der Verein unter Interimstrainer Rodolfo Cardoso in der zweiten Runde zu einem mühevollen 1:0 gegen Fürth (Torschütze Lasogga). „Wir haben uns gegen die Fürther schwergetan. Sie sind fußballerisch gut und stark in den Zweikämpfen. Es werden enge Spiele“, prognostiziert van der Vaart.

Ob es ein Nachteil ist, dass neben Diekmeier nur noch Hakan Calhanoglu (mit dem KSC) über Erfahrung mit dieser Art von Ausscheidungsspielen verfügt, muss sich zeigen. Wie sehr der Abstiegskampf zu Leistungseinbrüchen führen kann, zeigte sich nicht zuletzt bei van der Vaart, der aber rechtzeitig vor den finalen Spielen wieder in Form zu kommen scheint. „Ich fühle mich besser als in den vergangenen Wochen“, bestätigte der 31-Jährige gestern, „wenn mir jetzt noch ein Tor gelingt, bin ich endgültig wieder zurück. Und ich habe das Gefühl, dass ich das wichtigste Tor der Saison erst noch schießen muss.“

Genauso wichtig sei es aber, defensiv stabil zu stehen: „Zu Null zu spielen wäre ein Vorteil. Sollten wir ein Gegentor bekommen, könnte es schwer werden.“ Ob die katastrophale Auswärtsbilanz des HSV mit neun Niederlagen in Serie in Fürth reißt, ist schließlich mehr als fraglich. Ein gutes Omen gibt es allerdings: Der letzte Auswärtssieg von Mirko Slomka, damals noch als Trainer für Hannover 96 aktiv, gelang vor über einem Jahr am 31. Spieltag gegen Fürth.

Ein Anlass zu übermäßigem Jubel wäre der Klassenerhalt nicht: „Wir wissen sehr wohl, dass wir nichts zu feiern haben“, betont Diekmeier. „Aber mit der Relegation könnten wir das Schlimmste verhindern und dürften mit einem Erfolgserlebnis in die Sommerpause gehen.“