90 Minuten im Borchers mit rund 200 HSV-Anhängern zwischen Hoffen und Bangen

Hamburg. Am Ende regiert die Ratlosigkeit. Der HSV hat mal wieder verloren, ist aber erst mal gerettet. Er hat ganz gut angefangen, bis den Spielern mal wieder die Puste ausging. Früher war Mainz der Karnevalsverein, jetzt machen sie sich bundesweit über die Raute lustig. Im Borchers in Eppendorf ist den 200 HSV-Fans das Lachen vergangen.

Dicht an dicht standen sie zuvor in dem gemütlichen Kneipen-Café. Leidensgenossen allesamt, vereint in ihrer Liebe zum HSV, die sie mit blau-weiß-schwarzen Schals und Trikots dokumentieren. Michael aus Niendorf hat seinen Schal sogar die ganze Woche lang zu Hause auf einen rot-weißen Bayern-Schal gelegt. „Damit die Siegergene übertragen werden.“

Hat nicht wirklich geklappt. Nach 90 Minuten plus Nachspielzeit schleichen die Getreuen eher bedröppelt hinaus in den Hamburger Regen. Es ist 17.20 Uhr. Auf der großen Leinwand im hinteren Raum erklärt Heiko Westermann die fünfte Niederlage in Folge. „Mach aus, ich kann es nicht mehr hören“, sagt einer. Immerhin ist die Beerdigung des Dinos noch einmal verschoben worden. „Niemals 2. Liga – niemals, niemals“, trällert einer vor sich hin. Es erinnert an das Pfeifen im Walde.

Dabei sind eine Stunde zuvor im Borchers erstmals laute HSV-Rufe zu hören. Es steht 1:1, die Mannen von Mirko Slomka rennen, und das mehr als sonst, lassen über mehrere Stationen gekonnt den Ball laufen, und als Hakan Calhanoglu einem Gegenspieler an der Seitenlinie das Leder weggrätscht, mischen sich ungläubiges Staunen und neue Hoffnung in die Gesichter der Fans. „Ohne Scheiß, Alter, so was habe ich in der gesamten Saison noch nicht einmal gesehen.“

Drei Minuten später trifft Malli für Mainz. Yunus Malli. Der schnelle, offensive Mittelfeldspieler ist U21-Nationalspieler unter Horst Hrubesch. Dass sie der HSV-Legende seit Jahren eine Mitwirkung im Verein verweigern, ist für die Fans einer der vielen Gründe für den Niedergang des Clubs. „Der kennt doch jeden deutschen Nationalspieler von der U17 an.“

Schon in der Halbzeit haben sie draußen bei Bier und Pausenzigarette noch einmal lautstark die schlimmsten Fehler der Vergangenheit aufgezählt. „Wie kann man für einen Drittliga-Manager wie Kreuzer eine halbe Million Euro Ablöse bezahlen, aber wegen fehlender 100.000 Euro die Fußballfrauen aus der Bundesliga abziehen?“, sagt Peter. „Das hat doch System beim HSV“, sagt Jonas, „für Fink haben sie doch auch 650.000 Euro Ablöse gezahlt.“

Sie kennen sämtliche Zahlen und reden sich in Rage über die millionenteure Rückkehr von Rafael van der Vaart, die Abhängigkeit von Milliardär Kühne, den aufgeblähten Aufsichtsrat, den desolaten konditionellen Zustand der Profis, die horrenden Beraterkosten in Höhe von 350.000 Euro für Michael Meier bei der Verpflichtung Bert van Marwijks und den gewaltigen Schuldenberg mit Verbindlichkeiten in Höhe von 100 Millionen Euro.

Sie haben sich irgendwann in diesen Klub verliebt. „Ich bin fast 20 Jahre lang auswärts mitgefahren“, sagt Manfred. Nun verzweifeln sie an ihrer Liebe. „Darauf noch eine Runde.“ Borchers-Chef Jan Kleinert, 40, und sein flinkes Team am Tresen haben alle Hände voll zu tun. Zumindest hier sorgt der HSV noch für sprunghafte Umsätze. Noch.

Sie hoffen fast unisono auf die Rückkehr des ehemaligen Sportchefs Dietmar Beiersdorfer. „Mit Didis Abgang begann doch der Niedergang.“ Und natürlich hoffen sie, dass der Dino, 50, vielleicht doch noch überlebt. Auch wenn sich manch einer inzwischen mit dem Abstieg arrangiert hat. „Weißt du was“, sagt Peter: „Wenn du nichts mehr erwartest, kannst du auch nicht mehr enttäuscht werden.“