Der HSV könnte sich noch aus eigener Kraft in die Entscheidungsspiele retten. Das Problem: Selbst Sportchef Kreuzer scheint nicht mehr an die Rettung zu glauben

Hamburg. Auf den Tribünen der Imtech-Arena war am Montagmorgen fleißiges Treiben zu beobachten. Mit Hochdruckgeräten wurden die Sitzschalen abgespült, es wurde gehämmert und geschraubt, Aufkleber entfernt und Müll eingesammelt. Für den letzten Höhepunkt der Fußballsaison, das Länderspiel Deutschlands gegen Polen am 13. Mai in Hamburg, sollte schon mal vorab das ganze Stadion blitzeblank gemacht werden. Der Abfall einer langen Spielzeit, so der Arbeitsauftrag an die Putzkolonne, musste bis zum Abend verschwinden. Dass das zumindest im sportlichen Bereich eine schier unlösbare Aufgabe ist, wurde deutlich, als wenig später auch Sportchef Oliver Kreuzer den Innenraum der Arena betrat.

Offenbar hatte sich auch der HSV-Sportchef das große Reinemachen für den Vormittag nach dem desaströsen 1:3 in Augsburg vorgenommen. Er sei von der eigenen Mannschaft maßlos enttäuscht, sagte Kreuzer in die zahlreichen Mikrofone, die ihm entgegengestreckt wurden: „Wir haben alles vermissen lassen, waren gegen Augsburg in allen Bereichen unterlegen.“ Kreuzer, die Augen zusammengekniffen, die Hände in den Taschen, sparte nicht mit Kritik, sprach die am Vortag begangenen Fehler offen und ehrlich an: „Das war ein blutleerer Auftritt. Wir hatten nie den Hauch einer Chance.“ Doch statt sich dann in die in den vergangenen Wochen gern benutzen Floskeln („Wir werden uns nicht aufgeben, jetzt müssen wir alle noch enger zusammenrücken“) zu retten, überraschte der 48 Jahre alte Vorstand bei seiner 24-Minuten-Frage-und-Antwort-Runde mit einer so nicht erwarteten Botschaft: Die Hoffnung stirbt nicht zuletzt, sie ist beim HSV längst gestorben.

„Wenn man das Spiel am Sonntag gesehen hat, dann kann man berechtigte Zweifel am positiven Ausgang dieser Saison haben“, sagte Kreuzer, der auf ungläubige Nachfragen noch nachlegte: „Es fällt schwer, mit hundertprozentigem Glauben hinter der Hoffnung Klassenerhalt zu stehen.“ Nach den erschütternden Auftritten gegen Hannover (1:2), Wolfsburg (1:3) und Augsburg (1:3), das wurde am Montag deutlich, hat der Manager den Glauben an die eigene Mannschaft endgültig aufgegeben.

Menschlich dürfte Kreuzers Enttäuschung nach all den Rückschlägen in seinem ersten Jahr als Sportchef in Hamburg nachvollziehbar sein, rein professionell überrascht seine offen gezeigte Hoffnungslosigkeit. „Alleine können wir es nicht mehr schaffen, wir brauchen jetzt die Unterstützung der anderen“, sagte der Badener – und hat damit rein faktisch betrachtet Unrecht. Der HSV, man mag es nach der 19. Saisonniederlage kaum glauben, hat von den drei übrig gebliebenen Abstiegskandidaten zumindest von der Papierform her noch immer die beste Ausgangslage: Zwei Spieltage vor Schluss rangieren die Hamburger mit 27 Punkten und einer Tordifferenz von minus 20 noch immer einen Punkt vor dem 1.FC Nürnberg und zwei Punkte vor Schlusslicht Eintracht Braunschweig (beide Tordifferenz -28) auf dem plötzlich begehrten 16. Rang.

Letzte Ausfahrt Relegation – das sollte zwei Spieltage vor Saisonende, in denen man alles eben doch noch selbst in der Hand hat, die letzte Zielsetzung einer von A bis Z verkorksten Spielzeit sein. Doch um diesen Platz der letzten Hoffnung tatsächlich zu verteidigen, braucht man vor allem eines: Überzeugung. „Seit Wochen warte ich auf eine Reaktion der Spieler, aber sie bleibt aus“, sagte der desillusionierte Kreuzer, der die erhoffte Reaktion auch in den verbleibenden Spielen gegen München und Mainz nicht zu erwarten scheint: „Zu uns kommt am Wochenende mit Bayern die beste Mannschaft der Welt, und unsere Konkurrenten haben machbare Gegner.“ Nicht mal der von Trainer Mirko Slomka für den Saisonendspurt verpflichtete Bioenergetiker Joseph Kuhnert aus Nürnberg machte Kreuzer vor dem Heimspiel gegen die Bayern Hoffnung auf Besserung: „Niemand setzt einen Pfifferling auf uns gegen die Bayern – nicht mal ein Geistheiler.“

Dabei könnten die Hamburger übernatürliche Kräfte (Kreuzer: „So etwas hat es zu meiner Zeit nicht gegeben. Da gab es nur kämpfen, grätschen, laufen.“) vor dem Saisonfinale durchaus gut gebrauchen. Denn sollte der HSV den erhofften Relegationsplatz wider Erwarten doch verteidigen können, würden mit Paderborn, Greuther Fürth oder dem 1. FC Kaiserslautern in den Entscheidungsspielen um den Klassenerhalt schlagbare Gegner warten. Dabei scheint ein Wiedersehen mit den Fürthern, die der HSV bereits in der zweiten DFB-Pokalrunde mit 1:0 bezwingen konnte, derzeit am realistischsten. Nachdem die Franken nur eines der vergangenen fünf Spiele gewinnen konnten, rutschte die Mannschaft um Ex-HSV-Torhüter Wolfgang Hesl am vergangenen Wochenende erstmals nach 16 Spieltagen in Folge von einem direkten Aufstiegsrang auf Platz drei ab.

Fürth rutschte nach nur einem Sieg aus fünf Spielen auf den dritten Rang ab

„Die Nervenbelastung in der Relegation wird riesig sein. Aber mir ist eigentlich ziemlich egal, wer unser Gegner in der Relegation wäre“, sagte Kreuzer, der trotz schwindender Hoffnung seit einer Woche alle drei möglichen Relegationsgegner intensiv beobachten lässt. So war auch beim Montagsspiel des 1. FC Kaiserslautern beim 1. FC Union Berlin, das vor 20.000 Zuschauern 1:1 (Tore: 1:0 Brandy/9., 1:1 Lakic/40.) endete, mit Sören Meier ein Hamburger Scout auf der Tribüne in Berlin dabei. Größte Unbekannte des Trios der Zweiten Liga dürfte aber wohl der SC Paderborn sein, der sich unter Ex-HSV-Profi André Breitenreiter zur in diesem Jahr größten Überraschung im Unterhaus der Bundesliga entwickelt hat.

Nach knapp einer halben Stunde ist die Fragerunde beendet. Während die Arbeiter noch lange nicht mit ihren Aufräumarbeiten fertig sind, verschwindet Sportchef Kreuzer nach seinem Großreinemachen wieder im Bauch der Arena – nicht ohne den überraschten Reportern doch eine der sonst üblichen Überlebensfloskeln zu hinterlassen: „Wer weiß: Vielleicht ermauern wir uns ja doch irgendwie einen Punkt gegen die Bayern. Man darf den Glauben an die eigene Stärke nie verlieren.“

Denn wer den Glauben an sich selbst verliert, das weiß natürlich auch Kreuzer, der hat ohnehin verloren.

Das Restprogramm um die Relegation: In der Bundesliga trifft der HSV (16. Platz/27 Punkte/-20 Tore) auf Bayern (H) und Mainz (A), Nürnberg (17./26/-28) spielt gegen Hannover (H) und Schalke (A), und Braunschweig (18/25/-28) muss gegen Augsburg (H) und Hoffenheim (A) ran. In der Zweiten Liga spielt Paderborn (2./56 Punkte/+12 Tore) gegen Aue (A) und Aalen (H) , Fürth (3./54/+18) trifft auf Cottbus (A) sowie Sandhausen (H) und Kaiserslautern (4./51/+14) hat es mit Dresden (H) und Düsseldorf (A) zu tun.