Ein Besuch an der Fanbasis: Der Hamburger Michael Flenker sammelt seit 20 Jahren HSV-Souvenirs. Seine Wohnung gleicht einem Museum

Hasloh. Der HSV hatte gerade erbärmlich 0:3 gegen Hertha BSC verloren, als ein Kollege aus der Redaktion mit einer Visitenkarte ins Büro kommt: „Wenn du mal eine Stimme des Volkes brauchst: Hier hast du sie. Mein Bekannter leidet unter dem Abstiegskampf wie ein Hund.“ Unter dem Namenszug stand „Gas, Wasser, Scheiße“, versehen mit dem Zusatz „Spezialist für Rohrverlegung“. Direkter kann man seinen Beruf wohl nicht definieren. Die Karte, die außerdem ein HSV-Logo zierte, wanderte als Memo unter die transparente Schreibunterlage.

Die Hamburger verloren danach munter weiter, erst im Pokal gegen die Bayern, dann in der Liga in Braunschweig. Bert van Marwijk musste gehen, Mirko Slomka trat seinen Rettungsdienst an. Und wieder blieb der Blick an der Karte hängen, die förmlich flüsterte: Ruf mich an! Vor dem Nürnberg-Spiel ist der Termin endlich vereinbart. In Hasloh, 15,9 Autokilometer entfernt von der HSV-Arena, lebt Michael Flenker. Als sich die Tür der Dreizimmerwohnung öffnet, wird schnell klar: Hier lebt nicht nur der Installateur mit seiner Ehefrau Sylvia, zwei Kaninchen, zwei Hunden und einer Katze – das Kind heißt HSV.

Im Flur steht eine Glasvitrine, randvoll mit Club-Devotionalien: Keramikbär, Kaffeebecher, Stadionmodell, Pins, Gläser. Auch die Flurwände hängen voll mit Fotos, Wandtellern, einer Gründungsurkunde für das HSV-Museum und – dem Hochzeitsfoto, direkt über Sergej Barbarez. „Das hier ist mein Liebling“, sinniert Sylvia, und meint natürlich Barbarez, während ihr Mann den Fotografen ins Büro lotst, in dem nun wirklich kein Fleck mehr rautenlos ist. HSV-Vorhänge an den Fenstern, HSV-Mannschaftsfotos, HSV-Trikots, HSV-Wimpel, HSV-Modellzüge.

HSV. HSV. HSV. HSV. HSV.

Sein größter Schatz: Die Kutte des Fanclubs Germany („Noch nie gewaschen!“) über einem Uralt-Trikot mit dem BP-Sponsorschriftzug, die Flenker früher in der Westkurve im alten Volksparkstadion trug. Block E natürlich. „Im Keller lagern noch acht Kisten mit Schals und Wimpeln, die ich abhängen musste“, sagt Flenker beiläufig. Schon klar, da hat jemand sein Veto eingelegt. Obwohl seine Frau ebenso die Raute im Herzen hat und (fast) alles für ihren Mann tut. „Zu seinem 40. Geburtstag vor fünf Jahren habe ich den Dino Hermann engagiert“, zeigt sie stolz auf ein Foto mit dem lebensgroßen Plüschtier, „das war vielleicht ein Hallo.“

Ungefähr vor 20 Jahren muss es gewesen sein, als die Sammelleidenschaft erwachte. Wenn sie heute im Fanshop auftauchen, werden die Flenkers mit Küsschen begrüßt. Warum er anfing? Die Frage hat sich Flenker nie gestellt. Es ist einfach so gekommen, mit den (inzwischen angestaubten) Erfolgen, den deutschen Meisterschafen und Europapokaltriumphen. „In meinem Schlafzimmer liegen so viele HSV-T-Shirts, ich könnte zwei Monate jeden Tag eins anziehen, ohne waschen zu müssen.“ Egal, ob bei der Arbeit oder in einer Karnevalssitzung, irgendwas mit dem HSV-Logo trägt er immer am Leib. Was ihn sein Hobby schon gekostet hat? „Keine Ahnung. Ich habe mal angefangen zu zählen, aber bei 3500 Euro aufgegeben.“ Neulich, erzählt er, war er im Museum und dachte sich: „Da muss ich nicht noch mal hin, das habe ich ja selbst alles.“ Natürlich ein Flachs. Aber nur ein ganz kleiner.

Wir setzen uns an den Esstisch. Flenker holt eine Holsten-Dose aus der Küche, natürlich mit HSV-Logo anlässlich der 50-jährigen Bundesligazugehörigkeit. Wie wird es bloß nächste Saison sein? „Wir brauchen nicht drum herum reden: Es wird eng, auch wenn ich hoffe, dass die Jungs es schaffen.“ Seit dem Neubau des HSV-Stadions fiebert Flenker mit seiner Frau bei jedem Heimspiel auf der Nordtribüne, Block 24C, Reihe zwei, mit. „Die haben noch Glück, dass immer noch über 50.000 Fans kommen für die Sch..., die sie so oft spielen.“

Flenker redet sich in Rage, für dicke Luft sorgt seine Frau mit ihrem Zigarettenqualm. Er kritisiert den Verkauf von Artjoms Rudnevs, die fehlende Bindung der Profis zum HSV: „Ich sehe kaum noch einen Spieler, der hinter der Raute steht. Die wissen gar nicht, was die wahren Fans durchmachen, und das schon seit Jahren. Sie müssten sich mal vor Augen halten, wie wir Anhänger leiden. Ohne uns wären die doch gar nix.“ Und ja, verlieren sei erlaubt, aber auf das Wie komme es doch an. „Die verdienen so viel Geld, die müssen doch in der Lage sein, 90 Minuten über den Platz zu laufen und sich den A**** aufzureißen“, wirft Sylvia ein. Schon lange kauft sich ihr Mann keine Trikots mit Spielernamen mehr („Lohnt sich nicht“), sondern lässt sie mit „Flenki 68“ beflocken.

Einmal in Fahrt, kritisiert Flenki auch die Führung („Von Tuten und Blasen keine Ahnung“) und nimmt die teuren Abfindungen ins Visier: „Wir zahlen pro Saison für zwei, drei Trainer. Neulich hat einer hinter uns im Stadion gesagt: So einer wie der Tomaten-Heini aus Holland bekommt 200.000 Euro im Monat, er ist noch immer Angestellter des Vereins. Den würde ich zum Bierverkaufen in die Kurve stellen. Wissen Sie was: Der Mann hat recht!“

Sein bester Freund hat ihm kürzlich die Gretchenfrage gestellt. Ob er auch gegen Sandhausen ins Stadion ginge? Zu 90 Prozent ja, habe er geantwortet. Aber eigentlich sind es 100 Prozent. „Dann erst recht. Einmal HSV, immer HSV. Du musst gerade dann hinter deinem Verein stehen, wenn es nicht läuft. Mir käme es nie in den Sinn, den Verein zu wechseln.“ Lebenslang blau-weiß-schwarz. „Mit einem von dem Knochenclub könnte ich nie befreundet sein.“ Knochenclub? „Na, die mit dem Totenkopf.“

Bei ihm habe es Übelkeit hervorgerufen, dass das letzte Derby gegen St. Pauli in die Hose ging, sagt er sinngemäß. Auf den Originalwortlaut dieser Aussage im derben (Fäkalien-)Slang sei hier verzichtet. Er gibt zu: „Ich kann die einfach nicht ab. Ich freue mich doppelt, wenn wir gewinnen und die vom Knochenclub verlieren.“ Auf eines aber kann er verzichten: ein Relegationsspiel zwischen dem HSV und St. Pauli. „Ich befürchte, dann könnte es zu kriegsähnlichen Zuständen kommen. Und wenn mir einer mit einem dummen Spruch käme ...“ Er spricht den Satz nicht zu Ende, aber seine Botschaft ist eindeutig: Er hat Angst vor sich selbst und befürchtet, sich womöglich in einer aggressiven, aufgeladenen Stimmung nicht beherrschen zu können.

Gibt es eigentlich auch eine HSV-freie Zone? Wir starten zu einer zweiten Wohnungsbegehung. Dass sich auf der Toilette ein blauer Deckel mit Club-logo findet, ist beinahe selbstverständlich. Zurück im Wohnbereich fällt der Blick auf den Glascouchtisch mit integriertem Stadionmodell. „Habe ich extra passend gekauft.“ Ist schon klar. Zwei weitere Vitrinen mit HSV-Utensilien finden sich auch noch im Wohnzimmerschrank. Auf dem Balkon hängen ein HSV-Windspiel und eine HSV-Fahne. Ist ein Blick ins Schlafzimmer erlaubt? Bitte sehr. An den Wänden hängen noch mehr Mannschaftsfotos. Der reine HSV-Wahnsinn. Geht die Liebe denn auch über den Tod hinaus? Ehrensache. „Später will mein Mann mal auf dem HSV-Friedhof begraben werden“, bestätigt Sylvia. „Ob ich davon dann was mitkriege, ist was anderes“, fügt er beim Abschied hinzu. Aber es ist eben unvorstellbar, dass er einmal nicht mehr vom HSV umgeben ist.

Wir verabreden uns für den Montag zur Nachbetrachtung des Nürnberg-Spiels. „Der Einsatz war da“, sagt Flenker am Telefon und flachst: „Mit einem Stürmer vorne drin hätten wir die aus dem Stadion geschossen.“ Er erzählt, dass er in seiner Firma mit großem, natürlich ironischem Tamtam begrüßt worden sei: „Europa, wir kommen!“ Doch er selbst ist weit davon entfernt, euphorisch zu werden: „Mal sehen, wie sich die Jungs in Stuttgart präsentieren. Das war ja so oft das Problem, dass sie sich nach einer guten Leistung wieder ausgeruht haben.“ Die Furcht vor dem Abstieg ist ungebrochen. Das Leiden in der Familie Flenker geht weiter.