Der HSV-Manager verantwortet das Team, das er gar nicht zusammenstellte. Ob er das nun ändern darf, bleibt ungewiss

Hamburg. 15 Grad, Sonnenschein, blauer Himmel. Viel besser hätte HSV-Trainer Mirko Slomka den freien Tag nach dem 1:1 gegen Frankfurt nicht wählen können. An der Arena blieb es ruhig: Rafael van der Vaart und Petr Jiracek gingen für 45 Minuten laufen, Lasse Sobiech und Kerem Demirbay ließen sich kurz im Kraftraum blicken. Nur Oliver Kreuzer wollte von einem „freien Tag“ so gar nichts wissen. „Für einen Sportchef gibt es so was nicht“, sagte der Manager, der besonders am Montagvormittag von Termin zu Termin eilte. Doch zumindest am Nachmittag sollte vorerst Schluss mit dem Stress sein. Die flexible Büroarbeit, auf Neudeutsch „Home-Office“, verlegte Kreuzer kurzerhand ins Freie, um zumindest für ein paar Stunden mit dem Handy am Ohr das gute Wetter zu genießen.

Wirklich viel zu genießen hatte Kreuzer seit seiner Ankunft in Hamburg vor neun Monaten ja nicht. Als der 48-Jährige am 11. Juni des vergangenen Jahres verpflichtet wurde, war ihm schon klar, dass er kein Geld für kostspielige Neuzugänge zur Verfügung haben würde. Dass er aber einen Transferüberschuss von knapp neun Millionen Euro erwirtschaften müsste, war ihm wohl genauso wenig bewusst wie die Tatsache, dass er einen Kader zu verantworten hat, der – getreu dem Motto: Viele Köche verderben den Brei – von einer ganzen Armada von Köchen zubereitet wurde. 30 Spieler umfasste der Kader dieser Saison (siehe Text rechts), der von sämtlichen Verantwortlichen der vergangenen Jahre bunt und häufig ohne Plan zusammengestellt wurde.

„Bevor ich ins Amt kam, gab es beim HSV in der Führungsebene eine große Fluktuation. Das macht eine perspektivische Arbeit nicht einfacher“, sagt Kreuzer, der mit den Entlassungen von Thorsten Fink und Bert van Marwijk zu dieser Fluktuation allerdings maßgeblich beigetragen hat. So gelten Jacques Zoua und Lasse Sobiech als Wunschspieler Finks, die Niederländer Ola John und Ouasim Bouy kamen auf Empfehlung van Marwijks. „Wir haben alle Spieler gemeinsam geholt. Wenn ich nicht zugestimmt hätte, wäre keiner der Spieler gekommen“, sagt Kreuzer, der den schwarzen Peter nicht so einfach den Ex-Trainern hinschieben will.

„Jeder Trainer hat besondere Spielideen auf dem Platz. Dementsprechend versucht er auch, seinen Kader zusammenzustellen und zu trainieren“, sagt auch Neutrainer Slomka, „jetzt hakt es im Kader hier und da. Wenn alles funktionieren würde im Team, hätte die Mannschaft mehr Punkte geholt.“ Doch sind die Wünsche der jeweiligen Amtsträger, die alle immer eine andere Philosophie verfolgen, nicht das Hauptdilemma des HSV? „Das Gesamtkonzept stimmt nicht“, hatte der Mainzer Manager Christian Heidel das Vorgehen des HSV in einem bemerkenswerten Interview mit der „FAZ“ kritisiert: „Das Konzept muss der Verein vorgeben und sich dementsprechend sein Personal suchen. Beim HSV kommt stattdessen alle paar Monate ein neuer Trainer oder Manager mit seinem Konzept, und alles wird wieder auf den Kopf gestellt.“ Als Beispiel nannte Heidel die von van Marwijk geholten Bouy und John: „Gerade hat sich van Marwijk zwei Holländer geholt. Nun ist er Geschichte, und der neue Trainer will vielleicht gerade diese Holländer nicht.“

Überraschend stieß Heidels Grundsatzkritik in Hamburg statt auf empörte Ablehnung auf Zustimmung. „Christian Heidel hat mit vielen Aussagen recht“, sagt Managerkollege Kreuzer, der lediglich bei seiner Meinung bleiben will, dass ein Kader von Trainer und Sportchef gemeinsam zusammengestellt werden sollte: „Die Zauberformel heißt Kontinuität. Deswegen ist es auch keine Überraschung, dass Vereine mit wirtschaftlich überschaubaren Mitteln vor dem HSV stehen, obwohl wir einen größeren Umsatz und einen höheren Etat zur Verfügung haben.“

Während Kreuzer beim HSV einen Kader zu verantworten hat, den überwiegend längst entlassene Verantwortliche zusammengestellt hatten, konnte er beim KSC durchaus unter Beweis stellen, dass er auch perspektivisch arbeiten kann. Nach dem Abstieg in die Dritte Liga machte Kreuzer in Karlsruhe einen radikalen Schnitt, verpflichtete insgesamt 14 Profis, von denen elf noch immer das Korsett des aktuellen Tabellendritten der Zweiten Liga bilden. „Leider ist fehlende Kontinuität kein spezifisches HSV-Problem“, sagt der Wahl-Eppendorfer, „das ist leider fast überall so. Doch in Hamburg kommt schneller mal Unruhe auf, und dann wird laut danach geschrien, dass alles geändert werden muss.“

So war es auch vor ziemlich genau einem Monat, als neben Trainer Bert van Marwijk auch Vereinschef Carl Jarchow und Kreuzer selbst vor der sofortigen Entlassung standen. Der Trainer, traditionell das schwächste Glied, wurde tatsächlich beurlaubt, Jarchow und Kreuzer durften bleiben. Vorerst zumindest. Neben dem unkalkulierbaren Klassenverbleib hängt die Zukunft der Vorstände auch von der Strukturreform HSVPlus ab. „Ich will mich jetzt nur auf das Wesentliche konzentrieren – und das sind die kommenden zehn Partien. Über HSVPlus kann ich mir dann Gedanken machen“, sagt Kreuzer, der aber mit Slomka die Planungen für die kommende Saison vorantreibt. „Wir werden für alle Eventualitäten gewappnet sein. Allerdings ist es auch klar, dass kein Spieler einen Vertrag unterschreibt, solange die Liga nicht feststeht.“

Auch die Vertragsverhandlungen mit dem aktuellen Personal hat Kreuzer auf unbestimmte Zeit verschoben. Im Sommer laufen die Arbeitspapiere von Tomas Rincon, Robert Tesche und Sven Neuhaus aus, ein Jahr später dürften gar elf Spieler – darunter auch Rafael van der Vaart, Marcell Jansen und Heiko Westermann – ablösefrei wechseln. Aber erst wenn der Klassenerhalt fest steht, will Kreuzer wieder Perspektivgespräche führen – und dann auch irgendwann wieder das Wetter genießen.