Werder-Choach Robin Dutt spricht vor dem Nordderby über positive Effekte bei Trainerwechseln und die richtige Führung einer Mannschaft

Bremen . - Ob beim Einkaufen, Joggen, auf dem Trainingsplatz, bei Gesprächen mit Fans und Medienvertretern, jede Unterhaltung, jede Frage drehe sich seit dem Abpfiff der Partie in Frankfurt am vergangenen Sonntag um das Derby gegen den HSV, sagt Robin Dutt, seit dieser Saison Trainer in Bremen. Im Abendblatt-Gespräch redet der 49-Jährige aber weniger über das Nordduell („Ein Sieg im Derby könnte uns ein Stück weit durch den Frühling tragen“), sondern mehr über die Besonderheiten eines Trainerlebens.

Hamburger Abendblatt:

Herr Dutt, was war Ihr erster Gedanke, als Sie vom Trainerwechsel in Hamburg hörten?

Robin Dutt:

Schon wieder vor unserem Spiel! Auch in der Hinrunde war zuvor Thorsten Fink entlassen worden, Rodolfo Cardoso saß auf der Bank.

Also ein gutes Omen für Werder Bremen? Schließlich haben Sie damals beim HSV 2:0 gewonnen.

Dutt:

Eher in die Richtung, dass wir unsere Beobachtungen der vergangenen Wochen wie beim letzten Mal in die Tonne werfen konnten.

Fühlt man als Trainer mit den entlassenen Kollegen mit?

Dutt:

Auf jeden Fall. Als Trainer muss man damit rechnen. Bert van Marwijk ist erfahren und weiß, dass so etwas zum Geschäft dazu gehört. Aber für den Menschen van Marwijk ist es schlimm, wenn ihm in Form einer Freistellung das Vertrauen entzogen wird.

Wird zu vielen Bundesligatrainern zu schnell das Vertrauen entzogen?

Dutt:

Ich habe gerade von einer Studie gelesen, wonach der überwältigende Teil von Trainerwechseln keinen nachhaltig positiven Effekt hatte. Ich müsste Ihnen also mit Ja antworten. Auf der anderen Seite fällt doch auf, dass sich ein Wechsel in den ersten zwei, drei Spielen häufig positiv auswirkt.

Gibt es zu wenig gute Trainer, oder hat man zu wenig Respekt vor der Arbeit?

Dutt:

Es ist, und das meine ich gar nicht negativ, unheimlich schwierig, die tatsächliche Arbeit eines Trainers einzuschätzen: Ist er fachlich, emotional und nachhaltig der Richtige für den Verein? Ich möchte auch nicht tauschen mit einem Vorstand, der dieses Urteil zum Wohle eines Vereins fällen muss.

Fast immer befindet sich ein Club bei einem Trainerwechsel in einer Krisensituation. Was kann denn ein Trainer in wenigen Tagen verändern?

Dutt:

Ich nenne diesen Mechanismus ‚den Reset-Knopf drücken‘, der bei einem neuen Trainer automatisch gedrückt wird. Alles Bisherige hat keine Gültigkeit mehr. Alles, was jetzt kommt, ist neu. Jeder hat noch mal einen neuen Reiz, einen neuen Fokus und eine hohe Konzentration. Gerade diese Konzentration kann einen Spieler in ein kurzfristiges Leistungsoptimum bringen.

Was aber, wie die Erfahrung zeigt, nicht zehn Spiele lang funktionieren muss...

Dutt:

Richtig. Weil ein Optimum an Leistung auch viel mit mentaler Stärke und Konzentration zu tun hat. Aber man hat kurzfristig die Möglichkeit, sich auf die neuen Dinge zu konzentrieren, weil die alten nicht mehr relevant sind. Ich benutze als Trainer im Amt durchaus auch mal den Reset-Knopf.

Wie funktioniert das?

Dutt:

Indem ich vor die Mannschaft trete und sage: Hört mal zu, wir haben eine unschöne Situation erlebt. Reset! Macht die Köpfe frei und konzentriert euch auf das, was wir jetzt für wichtig erachten. Stammformation? Gibt es nicht mehr! Jeder hat die Chance, sich neu zu beweisen. Damit habe ich häufig eine neue Fokussierung erreicht und als Bestätigung einen positiven Effekt.

Ist diese permanente Veränderung, um Fußballspieler zu stimulieren, ein Schlüssel, um die gewünschte Nachhaltigkeit zu erreichen?

Dutt:

Schauen Sie: Profispieler haben Fähigkeiten, die der Trainer womöglich nicht hat, der seinerseits aber auch über eine gewisse Qualität verfügt. Es geht darum, die richtige Balance zu finden. Wenn ich den Spielern gar nichts mit auf den Weg gebe, kann die Qualität unkoordiniert auf dem Platz verloren gehen. Gebe ich den Spielern zu viel vor, projiziere ich meine Ideen zu stark auf sie, hemme ich womöglich die Kreativität und den Entscheidungsprozess des einzelnen Spielers. Es kann eine Spielsituation geben, in der ein Spieler eine bessere Entscheidung im Kopf hat, als sie mir als Trainer eingefallen ist.

Wie findet ein Trainer diese Reset-Taste?

Dutt:

Entscheidend ist das Vertrauensverhältnis zu deiner Mannschaft. Es muss möglich sein, sich selbst kritisch vor der Mannschaft zu hinterfragen.

Fehler zuzugeben ist erlaubt? Schwächt das nicht die Autorität des Chefs?

Dutt:

Nur durch Vertrauen kommt Autorität. Autorität ohne Vertrauen ist eine Diktatur anstelle eines kooperativen Miteinanders. Bei einem Vertrauensverhältnis ist es völlig normal, Fehler auch zugeben zu können. Vor Ihrer Frau würden Sie doch auch einen Fehler zugeben.

Das sagen Sie.

Dutt:

Gut, sagen wir, von Einzelfällen abgesehen. (lacht)

Wie lange braucht es, bis eine Handschrift eines Trainers zu erkennen ist?

Dutt:

Fußballerisch?

Gemeint ist eine erkennbare Fußballkultur, eine gemeinsame Entwicklung.

Dutt:

Ich würde unterscheiden zwischen der emotionalen Zusammenarbeit mit der Mannschaft und der fußballerischen Komponente. Punkt eins kann im Laufe der ersten Vorbereitung vollzogen werden. Die sportliche Entwicklung hängt von vielen Faktoren ab: Wie kannst du trainieren, wie viele Verletzte gibt es, kannst du konstant mit deinen Jungs arbeiten? Sind diese Umstände gut, kann man schon nach sechs, acht Wochen etwas erkennen. Bei vielen Verletzten oder notwendigen Umstrukturierungen kann dieser Prozess bis zu zwei Jahre dauern.

Kommt es auch darauf an, welchen Rückhalt man im Verein genießt?

Dutt:

Ich behaupte, als Bundesligatrainer muss man ein 50:50-Prinzip befolgen: 50 Prozent deines Tuns müssen ausgerichtet sein auf das Hier und Jetzt, auf den Spieltag. Und 50 Prozent müssen Aufbauarbeiten für die kommenden Jahre einnehmen. Bei 100 Prozent Einsatz auf den Sonnabend ist es eine Frage der Zeit, bis die Ergebnisse nicht mehr stimmen und das Vertrauen weg ist. Setzen Sie nur alles in die Nachhaltigkeit, kann es sein, dass Sie die kommende Woche nicht überstehen.

Sie haben den Job als DFB-Sportdirektor aufgegeben. Welches waren die Momente, in denen Sie merkten: Genau deshalb arbeite ich wieder als Bundesligatrainer?

Dutt:

Wie damals in Freiburg habe ich bei Werder Leute um mich herum, die mir das Vertrauen schenken, auch in schwierigen Zeiten, und mir den Eindruck vermitteln: Wir wollen, dass es mit dir klappt. Andererseits, so billig sich das anhört, ist es das Wechselbad der Gefühle. Direkt im Tagesgeschehen zu sein, gefeiert zu werden, wenn du gewinnst, Prügel einzustecken nach Niederlagen. Es klingt schizophren: Ich habe genau das vermisst, was wir als Trainer immer anprangern. Wir sagen ja auch häufig, dass wir nicht immer kurzfristig bewertet werden wollen.

Wie schnell schafft man es, als Trainer eine Identifikation aufzubauen?

Dutt:

Das ist bei jedem Verein anders. Ganz ehrlich: In Bremen war diese Identifikation sehr schnell vorhanden, deshalb habe ich auch diesen sicheren Job beim DFB verlassen. Dieses anfängliche Gefühl hat sich in den Monaten danach bestätigt. Emotionaler Höhepunkt war sicher die Pressekonferenz nach dem Leverkusen-Spiel.

Darf man in einem Gespräch mit Ihnen noch den Namen Thomas Schaaf in den Mund nehmen?

Dutt:

Hundertprozentig.

Wie sieht Ihr Kontakt aus?

Dutt:

Wir hatten gleich zu Beginn ein längeres Telefonat und danach mehrfach SMS-Kontakt, wollten uns mehrfach gegenseitig zum Essen treffen, was bis heute leider nicht geklappt hat. Wir haben ein sehr entspanntes Verhältnis, weil ich seine Arbeit sehr schätze. Dass ich mich bei Werder so wohl fühle, hat auch viel mit den Werten dieses Vereins zu tun, die durch Persönlichkeiten wie Schaaf gefördert wurden.

Wir müssen noch etwas klären: Sie haben Anfang der Woche gesagt, dass Sie für den richtigen Nordverein arbeiten ...

Dutt:

Ich glaube, dass ich vom Naturell besser nach Bremen als nach Hamburg passe. Vor meinem Wechsel von Freiburg nach Leverkusen wollte ich mich aus sportlichen Gesichtspunkten verändern. In Bremen habe ich den Wunsch, sportlich sesshaft zu werden, als Trainer Teil eines Vereins zu werden und nicht zu schauen, wie es für mich als Trainer nach oben geht. Berater oder Manager würden wahrscheinlich stöhnen, wie man so was sagen kann, aber ich kann nicht jeden Tag ein anderes Wappen küssen, es geht darum, authentisch zu bleiben. Wenn man sich aus Überzeugung für Bremen entschieden hat, muss man sich daran gewöhnen, dass man in diesem Sportlerleben vermutlich nicht mehr als Trainer in Hamburg tätig sein wird. So wie man als Jürgen Klopp, wenn man einigermaßen gradlinig ist, nicht mehr bei Schalke unterschreibt.

Klingt nachvollziehbar. Zweifelhaft bleibt dennoch, ob Sie beim richtigen Nordclub arbeiten.

Dutt:

Das müssen Sie als Vertreter des Hamburger Abendblatts ja sagen. Aber ich könnte ja für Sie mal fragen, ob eine Stelle beim „Weser-Kurier“ frei ist.

Danke. Nicht nötig.