Im 100. Nordderby wird es vor allem auf Werders Torjäger Petersen und Lasogga ankommen. Doch gerade um den HSV-Stürmer gibt es große Sorgen

Hamburg. Mirko Slomkas Blick verriet mehr, als es dem Trainer lieb war. Ob man sich um Pierre-Michel Lasogga Sorgen machen müsse, wurde der HSV-Trainer nach dem Vormittagstraining gefragt – und Slomka, die Stirn in Falten gelegt, die Augen zusammengekniffen, brauchte erst einmal ein paar Sekunden, um nach den richtigen Worten zu suchen. „Ich mache mir schon Sorgen um ihn“, sagte der Fußballlehrer mit ernster Miene, „es ist schwierig, wenn man so lange nicht trainiert hat.“

Lasogga, 1,89 Meter groß, 88 Kilo schwer, die Statur eines Schwergewichtsboxers, gilt beim HSV als die personifizierte Nichtabstiegsversicherung. Elf Tore in nur 16 Spielen hat der bullige Angreifer in dieser Spielzeit erzielt – und dieser Retter droht nun auszufallen? Ausgerechnet Lasogga?? Ausgerechnet im Nordderby??? Während der Verein am Dienstag mitteilte, dass der Stürmer nach seinem Muskelfaserriss beim Rückrundenauftakt geschont werde, hieß es am Mittwoch plötzlich, dass Lasogga Rücken habe. Rücken? Der Mann, der ein Kreuz wie ein Möbelpacker hat, soll an der Volkskrankheit Nummer eins leiden?? Am Vormittag, als sich seine Kollegen auf einem Nebenplatz auf das 100. Nordderby vorbereiteten, ließ sich der 22 Jahre alte Angreifer im Stadion behandeln, mittags fuhr er nach Hause. Ob er denn am Donnerstag wieder trainieren könne? Slomka zuckte mit den Schultern: „Wir versuchen alles, wirklich alles.“

Wie schwer der Ausfall des Top-Torjägers wöge, wissen auch die Bremer. Als Nils Petersen, der Lasogga Werders, zwischen dem zehnten und 13. Spieltag wegen eines Teilabrisses des Innenbandes im linken Knie fehlte, setzte es in vier Spielen drei Niederlagen. Petersen, der seit zwei Jahren an der Weser spielt, war in der vergangenen Saison mit elf Toren treffsicherster Bremer und führt auch in dieser Spielzeit wieder die interne Torjägerliste an. Und natürlich war er es auch, der gleich doppelt beim 2:0-Hinspielsieg Werders in Hamburg traf. Da war es auch wenig verwunderlich, dass der Stürmer in seinem ersten Spiel nach fünfeinhalb Wochen Verletzungspause am 30. Oktober in Hoffenheim in nur 45 Minuten einen Treffer erzielte und einen vorbereitete. Toreschießen ist wie Fahrradfahren, das verlernt man eben nicht.

Doch niemand in der Bundesliga hat diese Binse wohl derart verinnerlicht wie Hamburgs Lasogga. Nach überstandenem Kreuzbandriss und Sprunggelenksverletzung – die Mediziner sprachen von einer Teilruptur des Außenbandes und Knochenmarksödem im Sprungbein im linken Knöchel – traf der Angreifer in seinen ersten acht Spielen für den HSV achtmal. Und nach seinem Muskelfaserriss im Oberschenkel, der ihn Anfang der Rückrunde zu zwei Spielen Pause zwang? Zwei Treffer in zwei Partien, dazu noch die Vorlage zum 1:0 gegen Dortmund. Nur Lasoggas Torjägerliste ist wohl noch länger als seine Krankenakte.

Gerade weil Lasogga für den HSV und Petersen für Werder die unstrittigen Hauptfiguren im Drehbuch des mit Spannung erwarteten 100. Nordderbys (Sa, 15.30 Uhr/Sky und im Liveticker bei abendblatt.de) sind, wäre ein Ausfall einer der beiden nicht auszudenken. Und obwohl die Torgaranten zumindest optisch grundverschieden wirken, gibt es zwischen den beiden mehr Parallelen, als man denken könnte. Wie Lasogga, der seinen Durchbruch vom talentierten Stoßstürmer zum umworbenen Toptorjäger erst als Berliner Leihprofi in Hamburg schaffte, konnte sich auch Petersen in der Bundesliga erst durchsetzen, als er sich von Bayern nach Bremen verleihen ließ. Werder, in einer ähnlich angespannten Finanzsituation wie der HSV, reckte und streckte sich, um den Angreifer im Sommer schließlich für drei Millionen Euro fest zu verpflichten. Der 25 Jahre alte Angreifer sei „eine wichtige Identifikationsfigur für Bremen“, sagte Werders Sportchef Thomas Eichin: „Er hat gezeigt, dass er perfekt hierher passt.“

Das hat in Hamburg auch Lasogga vom ersten Moment an, nachdem er am letzten Tag der Transferfrist von Hertha BSC ausgeliehen worden war. Der Dauerläufer arbeitete sich förmlich in die Herzen der Fans, die kein Trikot häufiger kauften als das des Berliners, der doch so gut wie sicher den Verein im Sommer schon wieder verlassen wird. Denn anders als der in seinem Leihjahr gut spielende Petersen, der nach einer Saison gekauft wurde, haben Lasogga und der HSV ein ganz simples Problem: Der Stürmer spielt nicht gut, er spielt zu gut. Längst sind neben dem wohl chancenlosen HSV auch Clubs wie Leverkusen, Dortmund und Wolfsburg sowie zahlungskräftigere Vereine aus England auf den früheren U21-Nationalspieler aufmerksam geworden.

Verhandelt wird trotzdem. Mit Kerstin Lasogga, der Mutter des Fußballers. Sie kümmert sich um alle Angelegenheiten ihres Filius mit ähnlicher Akribie wie im Fall von Petersen dessen Vater Andreas. Blut ist dicker als Wasser. Petersen senior telefoniert nach jeder Partie als Erstes mit seinem Sohn, er ist Papa, Mentor und Berater zugleich. Frau Lasogga reicht ein Telefonat nicht aus, sie ist bei Spielen ihres Ältesten im Stadion, sogar in Abu Dhabi im Trainingslager schaute sie vorbei.

In Bremen am Sonnabend dürften beide auf der Tribüne vor Ort sein – mit der gemeinsamen Hoffnung, dass auch beide Söhne auf dem Rasen dabei sind.