Gladbachs Coach Lucien Favre und HSV-Trainer Bert van Marwijk treffen am Sonnabend erstmals aufeinander. Die beiden haben sehr viel mehr gemeinsam, als man denkt

Hamburg. Auf den ersten Blick haben HSV-Trainer Lambertus „Bert“ van Marwijk und Gladbachs Coach Lucien Favre nicht viele Gemeinsamkeiten. Der eine Niederländer, der andere Schweizer. Der eine angeblich ein harter Hund, der andere Katzenbesitzer. Der eine ein „Lieblings-Kritikopfer“ von Johan Cruyff, der andere überzeugter Bewunderer der Holland-Legende. Doch manchmal lohnt bekanntlich auch ein zweiter Blick. Und wer genau hinschaut, der kann vor dem Aufeinandertreffen der beiden anerkannten Fußballlehrer an diesem Sonnabend im Volkspark (15.30 Uhr/Sky und im Liveticker bei abendblatt.de) mehr als nur eine Parallele erkennen. Tatsächlich sind sich die beiden Trainer sehr viel ähnlicher, als manch einer denken mag – zumindest auf den zweiten Blick.

Gleich zweimal sollte Lucien Favre neuer Trainer in Hamburg werden

Was kaum einer weiß: Gladbachs Favre war bereits zweimal kurz vor einem Engagement als HSV-Trainer. 2009 reiste der damalige Sportchef Dietmar Beiersdorfer extra in die Schweiz, um beim damaligen Hertha-Trainer auszuloten, ob er sich die Nachfolge Martin Jols vorstellen könnte. Der detailverliebte Favre überzeugte in den Gesprächen mit seiner ausführlichen Spielanschauung und seiner Argumentationstiefe im taktischen Bereich, doch der HSV entschied sich letztendlich für Bruno Labbadia. Als dieser Fehler nach nicht einmal einem Jahr behoben wurde, unternahmen die ehemaligen Vorstände Bernd Hoffmann und Katja Kraus einen zweiten Versuch. Dreimal traf man sich zu konspirativen Gesprächen, tauschte sich über die Feinheiten des Fußballs aus – und fand dann doch wieder nicht zueinander. Hoffmann und Kraus hatten Zweifel, ob der Fußballexperte Favre auch genug Medienexperte ist, um sich in der Pressestadt Hamburg zurechtzufinden.

Derlei Zweifel schien Sportchef Oliver Kreuzer beim nicht weniger introvertierten van Marwijk nicht gehabt zu haben. Obwohl der Niederländer ähnlich viel Spaß an Interviews – als HSV-Trainer hat er noch kein einziges gegeben –, Journalistenrunden oder Pressekonferenzen hat wie sein Schweizer Kollege, zögerte Kreuzer nach seinem ersten Termin mit van Marwijk in Düsseldorf keinen Moment, den Vize-Weltmeister zu verpflichten: „Alles, was er zum HSV sagte, hatte Hand und Fuß. Er war unglaublich gut vorbereitet.“

Die Akribie ist wohl die augenscheinlichste Gemeinsamkeit van Marwijks und Favres. Beide wollen ihr Spiel durchsetzen, bereiten sich aber trotzdem detailliert auf jede Eventualität vor. So liebt es Favre, in seinem Arsenal von DVDs zu stöbern, um sich neue Anregungen und Ideen zu holen. Dabei sind weder das Schweizer Superhirnli, so Favres Spitzname, noch van Marwijk, Ritter im Orden von Oranien-Nassau, besonders experimentierfreudig. Die Wahrung der Ordnung ist essenziell, am System und an der Grundidee wird festgehalten. Beide sind keine kühnen Trainer, schon gar keine Draufgänger, eher konservative Fußballlehrer.

Favre und van Marwijk sind keine Diktatoren oder Despoten, sie sind Überzeugungstäter. Gladbachs Nationalspieler Max Kruse gibt gerne zum Besten, dass Favre sogar seine Fußhaltung bei der Ballannahme im Training korrigiert, Hamburgs Supertalent Hakan Calhanoglu meinte nach der ersten gemeinsamen Trainingswoche mit van Marwijk, dass er erst jetzt gemerkt hätte, was er alles nicht konnte. Die beiden Fußballlehrer greifen immer wieder aktiv ins Training ein, schieben die Profis wie Schachfiguren hin und her. Ballbesitz, Balleroberung und schnelles Umschaltspiel sind die Ziele, die beide Strategen gleichermaßen predigen, dabei aber niemals die defensive Grundordnung vernachlässigen.

Trotzdem würden sich der Niederländer und der Schweizer selbstverständlich als Offensivtrainer bezeichnen. In der Bundesliga hat mit Ausnahme von Hoffenheim (25 Saisontore) kein Club mehr Treffer erzielt als Gladbach und der HSV (beide 23). Unter van Marwijk haben die Hamburger in vier Spielen 13 Treffer erzielt, die Gladbacher benötigten ein Spiel mehr für die gleiche Anzahl. Favre schwört auf sein Offensivtrio mit Kruse (fünf Tore/sechs Vorlagen), Juan Arango (3/4) und Raffael (5/2), van Marwijk setzt auf Rafael van der Vaart (6/5), Pierre-Michel Lasogga (6/0) und Maxi Beister (3/4).

Im Fall des Niederländers van Marwijk ist es wenig verwunderlich, dass den heute 61-Jährigen das holländische „Voetbal totaal“ geprägt hat. Doch auch den fünf Jahre jüngeren Favre, der an diesem Sonnabend seinen 56. Geburtstag feiert, hat die sogenannte Ajax-Schule nachhaltig beeindruckt. Mit der Amsterdamer Legende Cruyff steht er genauso im Kontakt wie mit Arsenals Arsene Wenger. Doch anders als sein HSV-Kollege, der vier Jahre lang die niederländische Nationalmannschaft führte, lehnte der Gladbacher gerade erst ein Engagement als Bundestrainer der Schweiz ab, auch bei Bayern München war er bereits als Nachfolger von Louis van Gaal ernsthaft im Gespräch.

Gemein haben die beiden, dass sie am liebsten im Geheimen arbeiten würden. Taktik und Startaufstellung werden gehütet wie ein Staatsgeheimnis, selbst wenn keine Überraschungen zu erwarten sind. Beide trainieren einmal in der Woche unter Ausschluss der Öffentlichkeit, auf der Spieltagspressekonferenz wird lediglich ein festes Repertoire an Standardantworten abgespult. Wer auf einen spontanen Spruch oder Witz hofft, wird enttäuscht.

Selbst abseits des Rasens haben Favre und van Marwijk Parallelen. Im Prinzip ist das Privatleben tabu – und doch weiß man über die beiden Trainer, dass sie am besten außerhalb ihrer Arbeitsstätten Abstand gewinnen können. Der Französisch sprechende Favre versucht einmal die Woche mit seiner Frau nach Brüssel zu fahren, wo die beiden gerne auch mal ins Kino gehen, um einen Film in ihrer Muttersprache zu sehen. Van Marwijk fährt einmal die Woche, meistens am Dienstag, in die Heimat ins niederländische Deventer.

An diesem Sonnabend um 17.20Uhr werden sich die beiden mit großer Wahrscheinlichkeit die Hände schütteln. Wirklich zufrieden, das lässt sich bei allen Parallelen nicht ändern, wird wohl nur einer von beiden sein.