Der Stammtorhüter lässt sich von den schwachen Auftritten in der Vorbereitung nicht beunruhigen. Trainer Fink schätzt die Siegermentalität Adlers, der rechtzeitig zum Saisonstart seine langwierige Knieverletzung auskuriert hat.

Hamburg. Es ist voll an diesem Mittwoch in der BoConcept-Lounge in der ersten Etage des HSV-Stadions. Der NDR hat einen Termin, die „Bild am Sonntag“ wartet, und auch zwei Fernsehteams von Sky und Hamburg 1 sind schon da. René Adler, mit dem offenbar jeder HSV-Reporter Hamburgs an diesem Mittag sprechen möchte, kommt ein wenig zu spät, trägt Trainingshose, Flipflops und einen gesunden Teint. „Mir geht es gut“, sagt er in das erste Mikrofon, das ihm fordernd entgegengestreckt wird. Er sei fit, habe ein gutes Gefühl und freue sich auf Schalke.

Was sich im ersten Moment nach einer ganzen Reihe von Belanglosigkeiten anhören mag, ist wahrscheinlich die beste Nachricht der gesamten HSV-Vorbereitung: Hamburgs Nationaltorhüter René Adler, der sich vor exakt 70 Tagen beim unbedeutenden Länderspielsieg gegen Ecuador einen Kapseleinriss im Knie zugezogen hatte und seitdem ausfiel, ist endlich wieder genesen. Halleluja. „René hat die Siegermentalität, die wir unbedingt brauchen“, betont Trainer Thorsten Fink, „er ist ganz einfach hungrig nach Erfolgen.“

Wie recht Fink doch hat, wird schnell deutlich, als sämtliche Kameras in der ganz in Weiß gehaltenen Lounge ausgeschaltet sind und Adler sich tief in einen ebenso weißen Ledersessel direkt am Fenster fallen lässt. „Jeder versucht doch vor dem Saisonstart ein wenig herumzueiern, weil die Leute Angst haben, ihre Ziele nicht zu erreichen“, sagt der 28-Jährige, der sich zur Verdeutlichung seiner Botschaft sogar einen Ausflug ins Derbe erlaubt: „Das ist doch Bullshit. Jeder weiß doch, dass wir in der vergangenen Saison Siebter wurden, da kann es doch nicht unser Anspruch in diesem Jahr sein, ein oder zwei Plätze schlechter zu sein.“ Der Torhüter wirkt konzentriert, fokussiert, sogar ein bisschen angriffslustig: „Europa ist das einzige logische Ziel für uns.“

Adler redet, wie er Fußball spielt: immer offensiv ausgerichtet, den übernächsten Spielzug noch vor der nächsten Steilvorlage bereits im Kopf. Selbstverständlich habe auch er die eher ernüchternden Testspielergebnisse in der Vorbereitung mitbekommen, beunruhigt sei er aber keineswegs. „Vorbereitung ist Vorbereitung, wenn wir das erste Spiel auf Schalke gewinnen, interessiert das doch keinen Menschen mehr.“ So ganz kann Adler seinen Ärger über den mageren 2:0-Testsieg am Vorabend gegen den Sechstligisten Etelsen, bei dem er erstmals seit mehr als zwei Monaten wieder im Tor stand, aber nicht überspielen: „Wenn man in so einem Spiel nicht alles gibt, dann ist das eine weggeworfene Trainingseinheit.“

Wie wichtig dem akribischen Arbeiter die täglichen Einheiten sind, dürfte sogar jeder HVV-Fahrgast mitbekommen haben. „Glaube, Liebe, Training“ steht auf Hunderten Adler-Bildern, die auf überdimensionalen Plakaten an Hamburgs Bus- und Bahnhaltestellen angebracht sind und als Motto des HSV für die kommende Saison stehen sollen. Den Glauben an seine eigene Stärke hat der Keeper in den vergangenen Monaten nie verloren, die Liebe zum Spiel ebenso wenig. Doch am wichtigsten für seine punktgenaue Rückkehr zum Bundesligastart war wohl sein Trainingsfleiß. „Ich trainiere tendenziell eher zu viel. Aber ich brauche dieses Gefühl, alles gegeben zu haben. Ich lebe für meinen Beruf.“

Vielleicht auch ein bisschen arrogant

Adler ist selbstbewusst, perfektionistisch, vielleicht auch ein bisschen arrogant, aber vor allem erfolgsbesessen. Als der 18 Jahre alte Youngster Matti Steinmann am Dienstag kurz vor Schluss im Test gegen Etelsen einen ungenauen Pass spielte, stellte der Nationalkeeper das Talent umgehend nach dem Schlusspfiff noch auf dem Platz zur Rede. „Es stößt bei mir schon auf Unverständnis, wenn man als junger Spieler nicht die Chance nutzt, sich bei den Profis entsprechend zu präsentieren“, sagt der gebürtige Leipziger, der gerne als Gentleman auftritt, aber auch sehr deutlich und sogar rüde sein kann.

Sein hoher Anspruch dürfte auch Resultat der unglücklichen Umstände sein, durch die Adler äußerst unglücklich seinen einstigen Stammplatz in der Nationalmannschaft aufgeben musste. Seitdem eine Rippenverletzung den damaligen Leverkusener davon abhielt, zur WM 2010 in Südafrika als Deutschlands Nummer eins zu fahren, ist der Keeper ein Getriebener zwischen Anspruch, Wirklichkeit und Erfolg. „Wir können unseren Job nur eine begrenzte Zeit ausüben, und ich möchte möglichst lange erfolgreich Fußball spielen“, sagt Adler, der sich aber schon jetzt darauf festlegt, dass ihm ähnliches Unglück kein zweites Mal wiederfahren wird: „Ich bin absolut davon überzeugt, dass ich zur WM nach Brasilien fahre.“

An Selbstbewusstsein hat es Adler ohnehin nie gemangelt. Mentale Stärke kann man aus seiner Sicht genauso trainieren wie das Abfangen von Flanken oder Abstößen. „Ich hinterfrage sehr viel. Wahrscheinlich bin ich so einer, der tendenziell eher ein bisschen zu viel nachdenkt. Das weiß ich aber, und daran kann man arbeiten.“ Adler führt sogar vor den Spielen Buch darüber, was er sich für die nächste Partie vornimmt, was seine Ziele sind. Für ihn ist das eine Art Ritual, das er zusammen mit seinen Mentaltrainern entwickelt hat.

Allzu viel dürfte in dem Büchlein vor dem Saisonauftakt gegen Schalke aber noch nicht drinstehen. „Ich kann nicht versprechen, dass wir gewinnen, aber ich kann versprechen, dass wir alles geben“, sagt er. Und was sich wieder wie eine dahingesagte Belanglosigkeit anhört, ist ihm erneut sehr ernst. „Dieses Spiel wird das Highlight der ganzen Woche sein“, sagt Adler, der sich nach seinem einstündigen Gesprächsmarathon verabschiedet. Was bleibt, ist ein Eindruck: Adler ist wieder da.