Kein Wunder, dass sich der HSV-Aufsichtsrat mit möglichen Nachfolgern beschäftigt

Mal angenommen, die HSV-Mannschaft wäre eine Schulklasse: Welche Note im Abschlusszeugnis hätte sich der Jahrgang 2012/13 verdient?

Aus Thorsten Finks Perspektive macht es Sinn, von einer "ordentlichen Saison" zu sprechen. Im vergangenen Jahr bewahrte der 45-jährige Fußballlehrer den Bundesliga-Dino vor dem erstmaligen Gang in die Zweitklassigkeit. Das im Sommer 2012 ausgegebene Ziel "einstelliger Tabellenplatz" wurde ebenfalls erreicht.

Betrachtet man aber die Platzierungen der letzten zehn Jahre, so ergibt sich aus den Tabellenständen ein Durchschnittswert von sieben - exakt der Rang also, den der HSV in dieser Saison belegte. Will sagen: Finks Verdienst ist es, den Club wieder in die Tabellenregion zurückgeführt zu haben, wo er hingehört, also ins gehobene Mittelfeld. Das ist befriedigend, mehr aber auch nicht angesichts des Aufwands.

Dass die Zielvereinbarung nur mit einem finanziellen Kraftakt erreicht wurde, fließt negativ in die Gesamtbewertung ein. Nach einigen total verhauenen Prüfungen zum Start rüstete der klamme HSV den Kader massiv nach - für 17 Millionen Euro kamen Rafael van der Vaart und Petr Jiracek.

Die Transferpolitik stimmt insgesamt bedenklich: Van der Vaart hat großen Anteil daran, dass die Versetzung des HSV in die Stufe 2013/14 nie gefährdet war, nur: der Name van der Vaart steht für die Vergangenheit, nicht für die Zukunft des Vereins.

Dass es zwei, drei Typen des Kalibers van der Vaart - und acht Jahre jünger - bräuchte, um die nächste Hürde Europapokal nehmen zu können, hat auch Fink längst erkannt. Mit dem derzeitigen Kader bleibt auch in der kommenden Serie die Rückkehr auf die europäische Bühne nur ein Traum, von der Champions League ganz zu schweigen. Und um die Mentalitätsdefizite im Team offenzulegen, hätte es des schmachvollen 2:9 in München nicht einmal bedurft. Wie so oft gilt es zu bilanzieren: Die Mischung stimmt nicht.

Womit wir direkt bei der Personalie Frank Arnesen angekommen sind. Seit zwei Jahren managt der Däne nun den HSV. Die Gleichung sollte lauten: Ein international gut vernetzter Sportchef mit seinem Gefolge kostet zwar viel Geld, holt sein Gehalt aber locker ein, indem er den Club mit jungen, noch bezahlbaren hochbegabten Talenten versorgt.

Keine Frage: Arnesens Verdienst ist es, René Adler zum HSV geholt zu haben. Dass sich der Torwart zum Sensationstransfer dieser Serie entwickelt hat, steht außer Zweifel. Was aber die Vereinsfunktionäre und auch das Umfeld vermissen, ist eine Vision für die Rückkehr des HSV unter die Top-Five der Liga. Sie vermissen Kreativität beim Verkauf von nicht mehr benötigtem Personal. Und sie vermissen die Identifikation mit der Raute - Arnesen scheint beim HSV noch immer nicht wirklich angekommen.

Unterm Strich krankt es seit dem Abgang von Dietmar Beiersdorfer im April 2009 auf der wichtigsten Position eines Profi-Clubs. Kein Wunder, dass sich der Aufsichtsrat mit möglichen Nachfolgern wie DFL-Geschäftsführer Andreas Rettig beschäftigt.

So wird der HSV sehr bald wieder den nächsten Neuaufbau vermelden, was nicht nur mit zusätzlichen Kosten verbunden sein wird, sondern auch den so treuen Fans wieder einmal vor allem eines abverlangt: Geduld. Schließlich war es in der Bundesliga schon immer so: Konstant gute Leistungen sind auch, aber nicht nur eine Frage der Qualität innerhalb einer Mannschaft, sondern auch der Qualität der Führung. Niemanden dürfte es deshalb wundern, wenn am Ende unter dem Zeugnis der HSV-Schulklasse 2013/14 wieder nur ein "ordentlich" stehen wird. Eine gefährliche Entwicklung. Denn Mittelmaß will niemand auf Dauer teuer bezahlen.