Auf Schalke geht es für den HSV um Platz vier - und die Sanierung der Clubfinanzen. Bei einem Erreichen der Champions-League-Quali winken schon mal 2,1 Millionen Euro Prämie.

Hamburg. Zugegeben, es gehört etwas Fantasie dazu, sich diesen Fall vorzustellen. Nehmen wir an, ein HSV-Fan hätte erst das Pokal-Aus bei Drittligist Karlsruhe und dann auch noch die ersten drei Saisonpleiten gegen Nürnberg, Bremen und Frankfurt miterlebt. Als sich der frustrierte Anhänger dann zu einer siebenmonatigen Schiffsreise rund um die Welt aufmachte - ohne Satellitenschüssel und Pay-TV-Sender an Bord -, musste er das Schlimmste befürchten. Ganz sicher hätte er aber nie vermutet, dass der HSV vier Spieltage vor Saisonende noch Chancen auf das Erreichen der Champions League hat.

"Ich will nicht groß darüber reden. Schalke ist erster Anwärter auf Rang vier. Aber bei einem Sieg kann sich jeder selbst ausrechnen, was wir erreichen könnten", sagt HSV-Trainer Thorsten Fink. Die Rechnung ist ganz einfach: Gelingt am Sonntag (17.30 Uhr, Sky, Liga total! live) auf Schalke ein Erfolg, würde der HSV die Gelsenkirchener an Punkten überholen. Weil die direkte Konkurrenz allesamt auswärts spielt - Gladbach in Wolfsburg, Frankfurt in Mainz und Freiburg in München -, könnten die Hamburger sogar auf Platz vier vorrücken. Auf den Rang, der zur Teilnahme an der Champions League berechtigt. Theoretisch.

Angesichts des drohenden Millionen-Fehlbetrags im laufenden Geschäftsjahr von bis zu 20 Millionen Euro kämen die Einnahmen aus der Königsklasse einer finanziellen Soforthilfe gleich. Denn: Sollten die Hamburger die Qualifikationsrunde zur Champions League erreichen, kassiert der Club 2,1 Millionen Euro an Prämie. Für die Teilnahme an der Gruppenphase fließen 8,6 Millionen Euro vom europäischen Verband Uefa, dazu kommen beträchtliche Ausschüttungen aus dem "Marktpool". Borussia Dortmund scheiterte beispielsweise vergangene Saison bereits in der Gruppenphase, kassierte dennoch 25,3 Millionen Euro - plus Zuschauereinnahmen.

Doch selbst die Teilnahme an der Europa League wäre in der aktuellen finanziellen Notlage des HSV ein Segen. Neben dem Antrittsgeld in Höhe von 1,3 Millionen Euro könnte der HSV - nach dem Überstehen der Play-off-Runde - in den Gruppenspielen 200.000 Euro pro Sieg einstreichen, 100.000 Euro gibt es für ein Unentschieden. So richtig lohnend wird es ab der K.-o.-Runde: So kassierte Nordclub Hannover 96 in der Saison 2011/12 durch das Erreichen des Viertelfinales alleine an Prämien von der Uefa 10,5 Millionen Euro.

Die Zuschauereinnahmen in der Europa League wären schwer zu kalkulieren, könnten je nach Attraktivität des Gegners pro Partie zwischen 700.000 und zwei Millionen Euro brutto einbringen (abzüglich der Betriebskosten). Da ließe es sich sicher verschmerzen, dass die aktuelle Bilanz zunächst noch weiter ins Minus rutschen würde, schließlich werden beim Erreichen eines Europacuprangs mehrere Hunderttausend Euro an Spielerprämien fällig.

In der Clubführung gibt man sich angesichts der enormen Volatilität der Leistungen optimistisch-zurückhaltend. "Ich schiele nicht in Richtung Champions League", sagt der Vorsitzende Carl Jarchow, "realistisch ist für mich das Ziel Europa League. Nach dreijähriger Abstinenz wäre die Qualifikation für diesen Wettbewerb der erste Schritt in die richtige Richtung."

Schließlich würde die Teilnahme an der Europa League nicht nur direkt den Kontostand entlasten, sondern wäre auch ein Signal, eine Kehrtwende nach der längeren Phase des Misserfolgs mit dem Fast-Abstieg in der vergangenen Saison. Ein Europacup-Platz könnte dem in der Kritik stehenden Manager Frank Arnesen etwas Ruhe in der Sommerpause verschaffen, zudem sind Akteure eines Europa-League-Teilnehmers begehrter auf dem Transfermarkt.

Ein HSV, der nach oben strebt, ist attraktiver für neue Spieler, er lockt auch die Zuschauer auf die teuren Plätze, in die Logen und Business-Sitze, und er lockt Sponsoren an, die nicht nur mit dem Urgestein-Image des HSV werben wollen. Unterm Strich geht es für den HSV in den verbleibenden vier Spielen also nicht nur um mögliche Prämienzahlungen der Uefa, sondern um noch viel mehr. Bezogen auf die Partie in Gelsenkirchen geht es darum, die Minichance für die Champions League angesichts der unerwarteten Ausgeglichenheit (und Schwäche) der anderen Europacup-Aspiranten zu nutzen.

Doch es ist nur das erste von vier Endspielen. Bei einer Niederlage und entsprechenden Ergebnissen der Rivalen wäre die Europa League immer noch greifbar in den restlichen Spielen gegen Wolfsburg, Hoffenheim und Leverkusen. Die Mannschaft, deren Charakter und Leistungsbereitschaft zuletzt häufiger infrage gestellt wurde, hat die Chance zu beweisen, dass sie realisieren kann, wie sehr sie ihrem Club helfen kann, und entsprechend engagiert auftritt. Damit ein Fan nicht enttäuscht feststellen muss: Schade, Chance vertan, am besten, ich gehe wieder zurück aufs Schiff.