Im Abendblatt-Interview kritisiert HSV-Aufsichtsratschef Manfred Ertel die fehlende Gier mancher Spieler auf den internationalen Fußball

Hamburg. Als Treffpunkt zum großen Europa-Interview wählt Manfred Ertel einen Hauch von Südeuropa aus. Im portugiesischen Café Transmontana auf St. Pauli appelliert der HSV-Aufsichtsratschef an die Profis des Vereins, sich der Chancen in dieser Saison bewusst zu werden.

Hamburger Abendblatt: Herr Ertel, beim "Spiegel" sind Sie als Auslandsredakteur Europa-Experte. Trauen Sie sich denn beim HSV überhaupt noch das Wort "Europa" laut auszusprechen?

Manfred Ertel: Unbedingt. Die Chance ist doch trotz allem immer noch extrem gut. Man hat den Eindruck, dass es in dieser Saison eine Art Schneckenrennen um Europa gibt. Und bei diesem Rennen ist doch keiner der Konkurrenten wirklich schneller oder stärker als der HSV. Im Gegenteil: Wir sind substanziell besser als mancher unserer Konkurrenten, uns mangelt es nur an Konstanz, und das ist enttäuschend.

Trainer Thorsten Fink betont, die Mannschaft sei noch nicht reif für Europa.

Ertel: Natürlich ist es das gute Recht des Trainers, in der Analyse nach einem schwachen Spiel derartiges zu betonen. Er stellt sich damit ja auch schützend vor die Mannschaft. Andererseits finde ich es aber auch richtig und wichtig, dass sich unsere Führungsspieler in den vergangenen Tagen nach vorne getraut und ihre europäischen Ambitionen offensiv ausgesprochen haben. Das zeigt, dass sie den Charakter und die Mentalität mitbringen, diese Ziele zu erreichen. Ich frage mich allerdings manchmal, ob tatsächlich alle Spieler diese Ziele auch wirklich verinnerlicht haben.

Wie sehr ärgert es Sie, dass der HSV Europa gegen Teams wie Augsburg oder Fürth zu verspielen droht?

Ertel:

Von dem Augsburg-Spiel bin ich sehr enttäuscht, sogar ein wenig verärgert. Zum wiederholten Male haben wir es versäumt, einen Riesenschritt Richtung Europa zu machen. René Adler hat Recht, wenn er sagt, dass Europa nicht auf dem Silbertablett serviert wird. Dieses Ziel ist nur möglich, wenn jeder 100 Prozent und manchmal auch ein bisschen mehr gibt, doch das vermisse ich bisweilen bei dem einen oder anderen.

Was genau meinen Sie?

Ertel: Es kann doch nicht sein, dass beim Stand von 0:1 gegen Augsburg in der 89. Minute darüber debattiert wird, wer einen Einwurf ausführt. Da fehlt mir der mentale Kick, bis zur letzten Minute alles für den Sieg zu geben.

Diesen mentalen Kick kitzelt Uli Hoeneß bei den Bayern mit Wutreden heraus. Würden Sie sich Ähnliches wünschen?

Ertel: Es wäre vermessen, uns mit den Bayern zu vergleichen. Ich habe schon das Gefühl, dass Thorsten Fink in seiner Ansprache die richtigen Worte findet. Er hat oft genug bewiesen, dass er die Spieler aus einer gewissen Lethargie wachrütteln kann. Da braucht er keine zusätzliche Unterstützung. Und trotzdem würde es nicht schaden, wenn sich der eine oder andere Spieler mehr klarmacht, was das Ziel Europa für unsere Fans, die Zuschauer und den ganzen Verein eigentlich bedeutet ...

... und für die Finanzen.

Ertel: Jeder weiß doch, dass wir das Geld gut gebrauchen können, auch für künftige Verstärkungen. Niemand würde den Spielern den Kopf abreißen, wenn sie alles versucht haben, am Ende aber einen internationalen Startplatz knapp verpassen. Kritisch finde ich es nur, wenn man manchmal mit dem Gefühl nach Hause geht, dass eben nicht jeder alles gegeben hat. Dann haben wir alle zusammen ein Problem.

Kann man mit der Europa League überhaupt noch so richtig Geld verdienen?

Ertel:Das große Geld wird in der Champions League verdient, aber in unserer Situation hilft jede Zusatzeinnahme. Anders als in Stuttgart, wo bei internationalen Spielen teilweise weniger als 20.000 Zuschauer kamen, würden in Hamburg doch mehr als 40.000 Fans ins Stadion pilgern, unsere Fans sind heiß auf Europa. Auch bei der Vermarktung und bei Sponsoren hätte man durch die Europa-Teilnahme andere Argumente.

Muss das Ziel in der kommenden Saison aus finanziellen Gründen die Qualifikation zur Champions League sein?

Ertel: Wir sind uns alle einig, dass wir aus sportlichen Gründen in den nächsten zwei Jahren unter die Top Fünf wollen. Man darf doch nicht vergessen, dass wir die Mannschaft für dieses Ziel mit einem finanziellen Kraftakt verstärkt haben, wir sind im Sommer bis an unsere Schamgrenze gegangen. Da ist es doch selbstverständlich, dass wir uns alle entsprechende Resultate erhoffen.

Ist es ausgeschlossen, dass die Mannschaft im Sommer noch mal verstärkt wird, sollte Europa verpasst werden?

Ertel: Ausgeschlossen ist gar nichts. Der Vorstand arbeitet derzeit an einem Finanzkonzept, das er uns zeitnah zur Abstimmung vorlegen wird. Die finanzielle Konsolidierung hat höchste Priorität.

Die kann aber nur funktionieren, wenn Sportchef Frank Arnesen im Sommer endlich Spieler verkaufen kann.

Ertel: Arnesen hat in diesem Jahr erstklassige Arbeit als Einkäufer geleistet, als Verkäufer haben er und der Vorstand die Zügel nicht nur selbst in der Hand. Wenn ein Spieler mit einem guten Vertrag aus der Vergangenheit bei uns bleiben will, trotz fehlender sportlicher Perspektive, dann kann man ihn nicht zum Gehen zwingen. Allerdings hat der Vorstand immer wieder betont, dass der Kader verkleinert werden muss. Daran muss man sich dann auch messen lassen - umso mehr, wenn Europa in dieser Saison verpasst wird.